Claudio Ranieri bei der AS Rom:Die Verheißung auf römischen Frieden

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Ein Sohn der Stadt und Beschützer aller römischen Wölfinnen und Wölfe: Claudio Ranieri, hier auf einem Wandgemälde in Testaccio, jenem Viertel, in dem er aufgewachsen ist. (Foto: Matteo NardoneI/Imago)

Der dritte Akt: Mit 73 Jahren übernimmt Claudio Ranieri noch einmal die AS Rom, seinen Herzensverein, der zuletzt in Tumulten versank. Er ist die letzte Hoffnung, für die Besitzer, für die Fans – und nicht zuletzt für den glücklosen Mats Hummels.

Von Felix Haselsteiner und Oliver Meiler

Knapp eine Woche ist inzwischen vergangen, seit am Flughafen Fiumicino die Hoffnung nach Rom zurückkehrte. Eine Menschenmenge, in Rot und Gelb gekleidet, hatte sich an einem Mittwochabend im November an Terminal 3 eingefunden, um einen Blick zu erhaschen auf den Mann, den sie in der Ewigen Stadt eigentlich bestens kennen: Es war tatsächlich Claudio Ranieri, der einem Flugzeug entstieg, das ihn aus London nach Rom gebracht hatte, wo sich in den Wochen zuvor Tumulte abgespielt hatten – die sich nun in erlösten Gesängen entluden.

„Claudio Ranieri, eh-eh-oh-oh“, sangen die Tifosi, die den Mister in einem wilden Pulk umgaben, aber nicht aufdringlich, um Fotos zu machen, sondern voller Bewunderung. Sie gaben bei dieser Ankunft den Ton vor, der seitdem die Geschehnisse in Rom bestimmt, es war eine neue Einigkeit. Alles wird gut, denn: „Claudio Ranieri è uno di noi“ – er ist einer von uns.

Zum dritten Mal in seiner Karriere ist Ranieri, 73, nun Trainer bei der AS Rom, gleichzeitig allerdings ist er auch der dritte Trainer, der in dieser Saison auf dem Gelände in Trigoria die Übungen anleitet. Was einiges darüber erzählt, warum die Tifosi so gelöst wirken. Einer von ihnen war nämlich auch Daniele De Rossi gewesen, Trainer bis Mitte September, dem die Anhängerschaft auch weiterhin viel verziehen hätte, aber der übermütig von den Vereinsgremien vor die Tür gesetzt wurde. Das artete in einer Meuterei ähnlichen Zuständen aus, die CEO Lina Souloukou wurde von Fans massiv angefeindet und trat kurz darauf zurück.

Schnell musste eine Lösung auf dem Trainerposten gefunden werden, und weil die Eigentümerfamilie aus den USA, die Friedkins, in der Hast die falsche Entscheidung traf, brach danach das Chaos aus: 53 Tage nur hielt die Amtszeit von Ivan Juric, der in jeglicher Hinsicht das Gegenteil von Ranieri war, weil ihm vom ersten Tag an niemand wirklich über den Weg traute und er nicht für die gute alte Zeit stand – sondern für biederen Fußball im Hier und Jetzt, der die Roma auf Tabellenplatz zwölf in der Serie A führte. Seine Entlassung war folgerichtig.

Ranieri kommt aus einem Arbeiterviertel, seine Eltern betrieben eine Metzgerei

Für einmal waren die Friedkins danach allerdings gut beraten, was ja nicht oft vorkommt, und zwar von Leuten, die Rom und den Romanismo verstehen, die Welt der Roma. Ranieri ist der größtmögliche Herzensbefrieder der Romanisti, wegen seiner besonderen Geschichte.

Aus Testaccio kommt Ranieri, einem Arbeiterviertel Roms, sehr zentral gelegen, zwischen Aventin und Tiber. Seine Eltern hatten dort eine Metzgerei. Testaccio ist ein mythischer Ort für die Anhänger, früher stand hier auch das alte Stadion der Roma: das Campo Testaccio. „Campo Testaccio“ ist auch der Titel eines berühmten Liedes, das die Fans vor jedem Heimspiel ins Olimpico schmettern. Als José Mourinho Trainer der Roma wurde, fand man in Testaccio ein Wandgemälde, das den Portugiesen auf einer Vespa zeigte, einen gelbroten Schal um den Hals. Mourinho wurde so von den Fans adoptiert. Ranieri braucht das nicht, er ist ein Sohn der Stadt. Man nennt ihn bis heute „Romano di Testaccio“, das ist eine Art Superlativ: römischer als die meisten Römer.

Und er ist selbst ein Romanista. Ranieri wurde im Nachwuchs des Vereins groß, er sollte eigentlich Stürmer werden. Karriere machte er als Verteidiger, weit weg von zu Hause, im kalabrischen Catanzaro – und später vor allem als Trainer. Durch die internationale Fußballwelt zog er im Lauf seiner Karriere und gewann unter anderem einen legendären Premier-League-Titel mit Leicester City. In Rom aber sehnte man ihn deshalb zurück, weil er in seiner ersten Amtszeit Anfang der Nullerjahre schon einmal ein Wunder vollbracht hat. Damals im September 2009, nach dem zweiten Spieltag der neuen Saison, bei null Punkten, hatte Luciano Spalletti hingeworfen. Es sollte Romas beste Ligasaison in der jüngeren Vergangenheit werden, beinahe hätte man den Titel gewonnen, es wäre der vierte gewesen. Am Ende gewann Inter, mit José Mourinho.

Ranieri ging damals auch in die Geschichte ein, weil er einmal in einem Derby gegen Lazio zur Halbzeit Francesco Totti und De Rossi auswechselte, die wichtigsten Bannerträger des Klubs, den Kapitän und den „Capitano futuro“ – ein Sakrileg, eigentlich unverzeihlich. Später sagte Ranieri, die zwei seien überdreht gewesen, beide schon verwarnt, das habe nicht gut ausgehen können. Das sagte er auch deshalb so locker und frei, weil Rom das Spiel gedreht hatte und gewann. Im Februar 2011 schmiss Ranieri hin, als seine Roma in Genua ein Spiel 3:4 verlor, nachdem sie 3:0 geführt hatte. Man rechnet ihm diesen Rücktritt hoch an, immer noch, als selbstlose Geste.

2019 kam er zurück, wieder einmal war der Verein in Not. Und Ranieri konnte nicht Nein sagen, weil man dem Herzen niemals absagt. „Wenn die Roma ruft, dann muss ich Ja sagen“, sagte er damals, den Satz wiederholte er fast wortgleich auch diesmal bei seiner ersten Pressekonferenz, in der man die Begeisterung Ranieris für die Aufgabe spürte. Herzlich war seine Herangehensweise, er adressierte mit besonderer Vorsicht die Sorgenkinder, die er wieder eingliedern möchte – den zuletzt angeschlagenen Stürmer Paolo Dybala und den so glücklosen Mats Hummels, den Ranieri allerdings in den höchsten Tönen lobte. Ob beide spielen werden am Sonntag, im schweren Auswärtsspiel gegen Tabellenführer Napoli, ist aufgrund von Verletzungen noch unklar. Aber anders als zuletzt ist klar: Sie gehören zu Ranieris Mannschaft – und damit auch zur Stadt.

Nun führt er wieder die Roma an, von der Seitenlinie aus, wo er gar nicht mehr stehen wollte. Einen wundervollen Abschied hatte Ranieri im vergangenen Sommer, nach seiner vermeintlich letzten Station auf Sardinien in Cagliari. Es erschienen Hommagen in den Zeitungen auf diesen Gentleman des Calcio, den sie nicht nur Mister, sondern auch Sir Claudio nennen. In langen Interviews schaute er zurück, zufrieden mit seiner Karriere, alles war gut und rund. Aber dann rief wieder die Roma in der Not, die Friedkins, vor allem aber die Romanisti – und er konnte wieder nicht Nein sagen. Er ist einer von ihnen.

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