AS Rom:Der Mythos Totti hat Schaden genommen

FILE PHOTO - AS Roma's Totti claps at the end of their Champions League Group E soccer match against CSKA Moskow at the Olympic Stadium in Rome

Beendet im Sommer seine Karriere: Fußballer Francesco Totti vom AS Rom.

(Foto: REUTERS)
  • Der AS Rom möchte den Titel für seinen ewigen Kapitän Francesco Totti holen - der Rückstand auf Juventus beträgt zwei Spieltage vor Schluss aber vier Punkte.
  • Mit einem 3:1 konnte Rom die Juve-Meisterfeier auf dem eigenen Platz verhindern.
  • Totti mag nach einem Vierteljahrhundert in Rom nicht ans Aufhören denken und ignoriert stoisch das Unabwendbare.

Von Birgit Schönau, Rom

Leonardo Bonucci trägt immer eine düstere Miene in die Welt. Stets scheint sein Gesicht eine Mischung aus trotziger Entschlossenheit und verletztem Stolz auszudrücken, auch wenn das vielleicht gar nicht seiner wahren Gemütsverfassung entspricht. Am Sonntag jedoch, nach dem 1:3 von Juventus beim AS Rom, sprach Bonuccis Maske garantiert Leonardo aus der Seele. "Wir haben nicht wie Juve gespielt", knurrte der Verteidiger, er selbst natürlich eingeschlossen. Beim Ausgleich von Daniele De Rossi zum 1:1 war Bonucci nicht auf dem Posten.

"Es war", analysierte er später trocken, "als hätten wir den Stecker gezogen. So geht das aber nicht. Was uns hierhin gebracht hat, ist die Haltung, dem Gegner keinen Millimeter zu gewähren." In der Champions League ist Juventus unbesiegt ins Finale gezogen, in der italienischen Liga hatten die Turiner die bislang letzte Niederlage vor vier Monaten erlitten. Eine Fußballmaschine ohne Furcht und Tadel, angeführt vom schwarzen Ritter Leo Bonucci.

Davon war nun in Rom nichts zu spüren. Ohne Schwung und Selbstvertrauen wurschtelte sich Juve durch die zweite Halbzeit, so währte der Traum vom vorzeitig errungenen, sechsten Meistertitel in Serie nur 56 Minuten. Ein Unentschieden hätte gereicht, wenn sich im Stadio Olimpico nicht die Welt verkehrt hätte: Juventus spielte nach der Führung von Mario Lemina (21.) fahrig und untertourig wie jene Roma, die nach einer wilden Aufholjagd des SSC Neapel um den 2. Platz und damit die direkte Qualifikation für die Champions League zittern muss. Doch die Gastgeber traten selbstbewusst auf wie lange nicht mehr, mit einer unwiderstehlichen Offensive und mit Antonio Rüdiger, der in der Defensive den Bonucci gab.

Die Roma wollte um jeden Preis die Juve-Meisterfeier verhindern

Die Roma wollte um jeden Preis die Juve-Meisterfeier auf dem eigenen Platz verhindern. De Rossi, der ewige Vize des Über-Capitano Francesco Totti, hatte den Reigen eröffnet, der italienische Nationalspieler Stephan El Shaarawy (56.) und der belgische Mittelfeldmotor Radja Nainggolan (65.) setzten ihn fort.

Nainggolan hätte seinen verletzten Wadenmuskel schonen sollen, "aber er wollte unbedingt spielen", berichtete sein Trainer Luciano Spalletti. Tatsächlich übernahm der Belgier auch noch die Rolle von Edin Dzeko, der wegen einer Zerrung auf der Tribüne zuschauen musste. "Wir haben Persönlichkeit gezeigt", schwärmte Spalletti. Neapel wurde mit einem Punkt auf Distanz gehalten, doch die Roma muss auch die letzten beiden Spiele gewinnen, um ihr Saisonziel zu erreichen. Spallettis Weggang scheint dennoch beschlossene Sache zu sein.

"Ich hätte niemals nach Rom kommen dürfen", hatte der Trainer in der vergangenen Woche geklagt, als ihm wieder einmal die falsche Behandlung des Roma-Denkmals Totti vorgeworfen wurde. Da hatte Spallettis Elf beim AC Mailand 4:1 gewonnen - mit dem Kapitän auf der Bank. Das Publikum hatte Totti gefeiert, selbst Milan-Fans entrollten ihm zu Ehren ein Spruchband bei seinem mutmaßlich letzten Auftritt in San Siro. Doch Spalletti ließ Totti sitzen. Gegen Juventus gewährte er ihm 150 Sekunden in der Nachspielzeit. Die Fans klatschten stehend, doch Totti verließ den Platz mit einem Gesicht, das finsterer war als die Miene von Bonucci.

Totti denkt nicht ans Aufhören

Der Kapitän ist nach einem Vierteljahrhundert beim AS Rom am Ende und will es nicht wahrhaben. Im vorigen Jahr hatte Totti, der im September 41 Jahre alt wird, sich zwölf Monate Vertragsverlängerung ertrotzt, mit inbrünstiger Unterstützung einer ganzen Stadt. Doch diese Saison schadete dem Mythos eher, als dass sie ihn nährte. Totti ist für Kollegen und Klubführung zur Belastung geworden, sogar die Fans würden ihn jetzt gern in Rente schicken. Er selbst aber mag nicht ans Aufhören denken und ignoriert stoisch das Unabwendbare.

Und so standen die Fans am vorigen Mittwoch auch ohne Einladung von Totti im Morgengrauen Schlange, um sich die Tickets für das letzte Heimspiel am 28. Mai zu sichern. Binnen einer Stunde war das Stadion ausverkauft. Melancholie überzieht die Ewige Stadt. Man rüstet sich zu einem traurigen Zeremoniell, das nach dem Sieg über Juve aber noch ganz anders ausfallen könnte: Was, wenn Totti auf den letzten Drücker noch einmal Meister würde? Denn der Vorsprung der Turiner Erzrivalen schwindet von Woche zu Woche.

Juve-Trainer Massimiliano Allegri hat keine schmollende Diva in seinen Reihen. Aber die Müdigkeit nach einer sensationell gespielten Saison macht sich nun bemerkbar, da die Früchte geerntet werden sollen. Am Mittwoch tritt Juve zum Pokalfinale gegen Lazio an, ebenfalls im römischen Olympiastadion. Ein Mosaikteil für das historische Triple, das die Turiner in diesen Wochen anstreben. Vorher gibt es eine Papstaudienz, aber die Meisterfeier am Sonntagabend wäre Allegri lieber gewesen. Gegen die Roma hatte er zunächst auf vier Stammspieler verzichtet, seine Reserve konnte das Niveau nicht halten.

Noch scheint der Titelgewinn nur aufgeschoben zu sein, bis zum Sonntag, wenn Juventus den Aufsteiger Crotone empfängt. Aber so selbstverständlich wie noch vor Wochen ist ein Sieg nicht mehr. Zwei Unentschieden und eine Niederlage, sechs Gegentore in drei Spielen: Mit der Statistik lässt sich eine Krise kurz vor dem Ziel belegen. "Wir müssen schnell wieder in die Spur kommen", warnte Allegri. Sonst könnte aus dem Traum noch ein Trauma werden.

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