Arturo Vidal:Bayern herzt den Anden-Bullen

Hertha BSC - FC Bayern München 0:2

In einer Hauptrolle der Bayern-Elf 2016: Arturo Vidal, mal Bösewicht, mal Haudrauf, immer aber gut bemaltes Schmuckstück im Münchner Mittelfeld.

(Foto: Thomas Eisenhuth/dpa)

Nach seiner Schwalbe kritisierten Trainer und Mitspieler Arturo Vidal. In Berlin wird er von der Mannschaft demonstrativ gefeiert. Gegen Atlético brauchen sie ihren Krieger dringend.

Von Javier Cáceres, Berlin

Das Olympiastadion in Berlin ist von undurchdringlicher Komplexität; zumindest, was seine Katakomben anbelangt: Es gibt unzählige Gänge und Türen, die nicht ausgeschildert sind. Die Bediensteten der Berliner Hertha können so manche Anekdote von Gästen erzählen, die sich dort verlaufen haben, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch mumifizierte Ex-Trainer gehoben werden, wenn in ferner Zukunft einmal Archäologen das Stadion begutachten sollten.

Am Samstagabend kam es Arturo Vidal ganz zupass, dass man auf seinen Wegen durch das Olympiastadion ein eigenes GPS-System braucht. Denn als der 2:0-Sieg der Münchner Bayern bei Hertha BSC feststand, schaffte er es als einziger, an allen Medienvertretern vorbeizulaufen. Durch irgendeine Nebentür. Und so stand ein Zivilangestellter des FC Bayern halb belustigt, halb verloren, mit einer roten Daunenjacke in der Mixed Zone, die er für Vidal herausgesucht hatte.

Und von Vidal blieb nur, was er auf dem Platz geleistet hatte.

Das war einiges. Er hatte wie gewohnt im Mittelfeld für Ordnung gesorgt, eine gelbe Karte gesehen, weil er Niklas Stark im Mittelfeld - mit beiden Beinen voraus - zu Boden gepflügt hatte. Vor allem aber hatte er erstens die meisten Ballkontakte der Partie - 127 und damit mehr als doppelt so viel wie der stärkste Herthaner in dieser Rubrik, Tolga Cigerci (58) -, und zweitens den wichtigen Treffer zum 1:0 erzielt. Unmittelbar nach der Pause, durch einen Fernschuss, den ebenfalls Stark, sein Opfer bei der gelben Karte, für Thomas Kraft unglücklich abfälschte. "Das Tor von Arturo war sehr, sehr wichtig", sagte Bayerns Trainer Pep Guardiola.

Streicheleinheiten nach der kollektiven Schelte

Zu den bemerkenswertesten Szenen, die sich nach dem Treffer des Chilenen abspielten, zählte die Art und Weise, wie er zelebriert wurde. Ausnahmslos alle Bayern stürmten auf den Anden-Bullen zu, tätschelten ihm den Haarkamm und streichelten ihm den Rücken. Vidal, das war eigentlich schon in allen seinen Stationen so, ist im Kreise seiner eigenen Mannschaft ungemein beliebt. Die jeweiligen Veteranen geigen ihm hin und wieder die Meinung, Vidal hat ja eine gewisses Talent, sich abseits des Platzes in Gegenden zu verlaufen, die mit den Katakomben des Olympiastadions nur gemein haben, dass sie schummrig und schlecht ausgeleuchtet sind. Dass nun aber das komplette Team der Bayern zur Gratulation antrat, hatte natürlich damit zu tun, dass Vidals Treffer ein Meilenstein auf dem Weg zum 26. Bundesligatitel war - der der erste wäre, den ein Chilene feiern darf.

Auf Twitter meldete sich Vidal zu Wort: "Exzellenter Triumph, Mannschaft!!! Drei wichtige Punkte für unser erstes Ziel!!! Mia san mia!!!", schrieb er, und hängte noch drei Emojis an die insgesamt neun Ausrufezeichen ran: drei Fäuste. Bei Vidal, dem Fußball-Punk, sind auch die Botschaften auf den Sozialnetzwerken Programm.

Allerdings steht Vidal seit Dienstag medial am Pranger - wegen seiner Schwalbe aus dem Pokalhalbfinale gegen Werder Bremen. Und so dürfen die Streicheleinheiten, die Vidal erhielt, wohl auch als Solidaritätsbekundungen interpretiert werden - nachdem er verbal sowohl von Trainer Guardiola ("Das war kein Elfmeter") und vor allem von Nationalspieler Thomas Müller ("Dafür gibt es keine Entschuldigung") erstaunlich offen kritisiert worden war.

Vidal kann der erste Chilene werden, der die Champions League gewinnt

Verdient hat er die Zuneigung allemal. Dass die Bayern noch immer ums Triple kämpfen können, hat nicht unwesentlich mit dem Chilenen zu tun, der gerade in den Champions-League-Partien gegen Juventus und Benfica Lissabon zu Hochform auflief. Mit Juventus hatte er im vergangenen Sommer in Berlin eine seiner größten Enttäuschungen erlebt: Im Champions-League-Finale unterlag er mit den Turinern dem FC Barcelona. Am Mittwoch reist er mit den Bayern nach Madrid, um bei Atlético Madrid eine Elf zu bezwingen, die den Fußball ähnlich kriegerisch begreift wie "el guerrero", so wird Vidal ja gern genannt.

Dass er auch nur ein Gramm seiner Opferbereitschaft zurückhält, darf ausgeschlossen werden. Formell ist zwar sein Landsmann Claudio Bravo, Tormann beim FC Barcelona, der erste Chilene, der die Champions League gewann. Bravo aber spielte in der vergangenen Saison in der Champions League nicht eine einzige Minute. Vidal kann also eigentlich immer noch erster chilenischer Champions-League-Sieger werden, und wer ihn kennt, weiß, dass ihm dies der Erfüllung eines Traums gleichkommt, der unter seinem Hahnenkamm schon seit Monaten hämmert. Wieder und immer wieder.

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