Süddeutsche Zeitung

Arturo Vidal:Abschied vom Kämpferherz

  • Arturo Vidal wechselt vom FC Bayern nach Spanien zum FC Barcelona.
  • Dort unterschreibt der Chilene einen Vertrag über drei Jahre und soll neun Millionen Euro im Jahr verdienen.
  • In München wird seine fußballerische Qualität vermutlich ersetzbar sein - anders als sein großer Wille.

Von Tim Brack

Manchmal konnte er sein Kämpferherz nicht mehr in Zaum halten. Dann dachte er nicht mehr an Taktik, dann griff er einfach an. Seine Mitspieler beim FC Bayern folgten ihm nicht immer sofort. In diesen Augenblicken lief Arturo Vidal eben alleine los, setzte Gegenspieler unbeirrt unter Druck, wie es in keinem Fußball-System der Welt vorgesehen ist. Oder er hob zu einer seiner berüchtigten Grätschen ab, wie sie in keinem Nachwuchsleistungszentrum der Welt gelehrt werden. Manchmal war das genau richtig, dann verlieh er der Mannschaft und sich selbst Orientierung. Manchmal war es auch falsch. Dann ging viel schief.

Am Freitagnachmittag war Vidal weder orientierungslos noch alleine, als er in ein Auto stieg am Tegernsee, wo die Bayern sich gerade für die anstehende Saison fit machen. Mit dabei war Hasan Salihamidzic, der Sportdirektor. Als die beiden losfuhren, war Vidals Ziel schon vielen klar: der FC Barcelona. Die Wechselgerüchte hatten sich in den letzten Tagen verdichtet. Am Freitagabend verkündeten beide Klubs, dass Vidal die Seiten wechselt. Für drei Jahre unterschreibt er bei den Katalanen. Spanische Medien berichten, dass er 19 Millionen Euro kostet und neun Millionen im Jahr verdient.

In München hat der Chilene, den sie Krieger nennen, mit dem Wechsel seinen letzten Kampf verloren: gegen den Umbruch, das Alter und die Jugend der anderen. Im bayerischen Mittelfeld ist es zu eng geworden, seit feststeht, dass Leon Goretzka, 23, nach München wechselt und Renato Sanches, 20, von seiner Leihe doch fest zurückkehrt. Neun Spieler stehen nun im Kader, die sich in der Zentrale wohlfühlen - viele jünger als Vidal. Es war klar, dass einer gehen muss. Vidals Abschiedsworte klingen deswegen versöhnlich, auch weil seine nächste Station ein europäischer Topklub ist. "Ich habe die Zeit in München sehr genossen. Ich möchte mich beim Verein dafür bedanken, dass ich noch einmal die Chance bekomme, eine neue Herausforderung in Barcelona anzunehmen", wird Vidal in der Vereinsmitteilung zitiert.

Die Rolle Vidals im System von Barcelona

Man fragt sich unweigerlich, wie der Krieger, der sich diesen Namen ja vor allem als Raubein verdiente, in ein Ensemble voller feinfüßiger Ästheten in Barcelona passt. Zu Rakitic, Dembélé, Coutinho und dem feinfüßigsten unter ihnen, Lionel Messi. Eine ähnliche Frage beschäftigte allerdings schon einmal die Kritiker, als im vergangenen Sommer der Brasilianer Paulinho aus der chinesischen Liga für die vergleichsweise ungeheure Summe von 40 Millionen Euro in die Wiege des schönen Fußballs kam. So viel Geld für einen, der bei Guangzhou Evergrande spielte und sich zuvor in der Premier League nicht durchsetzen konnte? Es zeigte sich jedoch schnell, dass Paulinho, der anfangs viel Spott aushalten musste, weil er bei seiner Vorstellung den Ball nicht sehr oft jonglieren konnte, mit seiner Wucht die perfekte Ergänzung zur Sammlung an Künstlern war. Ihm gelangen neun Liga-Tore und drei Vorlagen.

Vidal dürfte im System von Ernesto Valverde eine ähnliche Rolle zukommen. Er sei "ein bisschen anders" als seine Teamkollegen, erklärte der Barça-Trainer den Charakter des Neuen. "Wir hoffen, dass er Energie ins Mittelfeld bringen kann. Er hat viel Erfahrung und hat für alle Teams, bei denen er unter Vertrag stand, viele Matches bestritten", sagte Valverde. "Er ist daran gewöhnt, große Partien zu spielen."

Der Erfahrungsschatz des Chilenen ist tatsächlich beachtlich. Seinen Spitznamen Krieger hat er sich in zahlreichen internationalen Duellen verdient, in vielen davon schien es, als lasse er mindestens ein kleines Stück seines Kämpferherzens auf dem Rasen zurück, manchmal mehr. Im Achtelfinale der Champions League 2015/16 etwa bewahrte er sein Team mit so einer Leistung vor dem Ausscheiden gegen Juventus Turin. Sein Aufopferungswille trieb die Bayern nach 0:2-Rückstand im Rückspiel erst in die Verlängerung, dann zum Sieg. "Er ist auch in wichtigen Spielen immer vorangegangen, auf ihn konnten wir uns immer verlassen", lobte Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge zum Abschied. 124 mehr oder weniger wichtige dieser Partien bestritt er in seinen drei Jahren bei den Bayern, gewann drei Meisterschaften und einmal den DFB-Pokal.

Allerdings werden das Bild von Vidal in München auch immer Spiele wie das Champions-League-Viertelfinale 2017 prägen, er war die tragische Figur gegen Real Madrid. Im Hinspiel verschoss er einen Elfmeter beim Stand von 1:0, im Rückspiel sah er kurz vor der Verlängerung Gelb-Rot. Der Zorn auf Schiedsrichter Kassai war danach besonders bei Rummenigge groß ("Wir sind beschissen worden"). Doch es gehört auch zur Wahrheit, dass Vidal in diesem Spiel schon Anfang der zweiten Hälfte hätte vom Platz fliegen können. Das spanische Sportblatt AS ordnete den Stil des Chilenen folgerichtig ein: "Er spielt so, wie er lebt, immer an der Grenze."

Die Grätschen und Zweikämpfe, die der Mannschaft Orientierung geben, können sie eben auch auf falsche Wege schicken. Die beschritt Vidal selbst manchmal neben dem Platz. Seinen Ferrari fuhr der Chilene 2015 alkoholisiert zu Schrott; er ist keiner dieser glattrasierten Akademie-Fußballer, besucht auch mal gerne ein Kasino bis tief in die Nacht. Glattrasiert ist Vidal nur, wenn er das will. Die Zeitung El Mundo würdigte ihn als "körperliches Wunderwerk", was auf seinen Fußballer-Körper bezogen ist, aber auch für seine Frisuren und Tattoos gelten darf.

In München müssen sie nun schauen, wie sie diesen ungewöhnlichen Typen ersetzen. "Einer der Jungs, die du in deinem Team haben willst, aber niemals gegen dich", wie Jérôme Boateng zum Abschied schrieb. Fußballerisch dürften die Bayern ihn ersetzen können aufgrund der hochwertigen Alternativen. Ein so unbändiges Kämpferherz müssen sie aber erstmal suchen.

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