Süddeutsche Zeitung

FC Arsenal:Mesut Özils majestätischer Auftritt

  • Beim 3:1 gegen Leicester City bejubelt England endlich wieder den wahren Mesut Özil.
  • Der frühere Nationalspieler glänzt mit Ideen, Pässen und einem Tor - und schon überschlägt sich Englands Presse.

Von Sven Haist, London

Wer das erste Tor gesehen hat, möchte das zweite Tor sehen. Und wer das zweite Tor gesehen hat, möchte auch das dritte Tor sehen. Wer dann jedes der drei Tore gesehen hat, möchte sie immer wieder sehen. Weil die Einzigartigkeit der Treffer es einem unmöglich macht, genug davon zu bekommen. Eigentlich müsste Mesut Özil ein Patent anmelden auf seine vielen Ideen, die diese drei Tore des FC Arsenal ermöglichten.

Aber das erübrigt sich, weil sich sowieso niemand finden lässt, der seine Fußschrift auf dem Spielfeld nachstellen kann. Für dieses Schöpfertum bedankten sich die Arsenal-Fans mit der höchsten Auszeichnung, die sie vergeben können: einem nicht enden wollenden Applaus. Das Massenblatt Sun betitelte Özil in Anlehnung an die US-Fantasie "Wizard of Oz". Das Märchen verführt die Kinderherzen wie Özil in London die Fußballfans. Bei der Ankündigung, dass jetzt seine Auswechslung erfolge, befand sich Mesut Özil im Mittelkreis. Per Handzeichen gab ihm Trainer Unai Emery zu verstehen, sich bei der nächsten Spielunterbrechung auf die Gegenseite abzusetzen, damit der Vorgang möglichst viel Zeit in Anspruch nimmt. Als zwei Minuten später der Wechsel durchgeführt wurde, hielt sich Mesut Özil wieder im Mittelkreis auf. Dabei war es nicht so, dass Özil nicht verstanden hätte, was Emery von ihm verlangte. Aber es zieht ihn eben immer wieder in die Zentrale zurück. Normalerweise gibt ja das Spiel vor, wohin sich die Spieler bewegen. An seinen besten Tagen hat Özil jedoch die Gabe, in die zentrale Rolle des Spiels zu schlüpfen. Er ist dann wahrhaftig ein Spielmacher, ein echter Zehner mit der "10" als Trikotnummer auf dem Rücken, wie er im heutigen Fußball so selten geworden ist.

Mit dem özilschen Hattrick aus Tor, Vorlage und Vorvorlage hat sich Mesut Özil, 30, am Montagabend bei Arsenals 3:1 über Leicester City in der Bestenliste der deutschen Spieler in England verewigt. Durch seinen 30. Treffer in der Premier League zog er an den bisherigen Rekordtorschützen Jürgen Klinsmann und Uwe Rösler vorbei, die in den Neunzigerjahren für Tottenham Hotspur (Klinsmann) und Manchester City (Rösler) jeweils 29 Tore erzielten.

Für seinen Jubiläumstreffer kurz vor der Pause griff Özil dem Anlass angemessen auf seine liebste Kombination zurück - den Doppelpass. Dieses kurze Zusammenspiel aus drei Ballberührungen mit Hector Bellerin, zack nach rechts, zack zurück in die Mitte, zack ins Tor, nutzte Özil, um aus der Spielfeldmitte in den Strafraum vorzudringen, vorbei an der Viererkette im Mittelfeld und der Fünferabwehrreihe, die ihm Leicester entgegenstellte. Gar nicht mal schnell laufend und schnell passend, aber halt blitzgescheit denkend. Blitzgescheiter als alle anderen.

Nach dem Doppelpass bediente sich Özil bei seiner Vorlage zum nächsten Treffer an einem seiner weiteren Lieblingsspielzüge, dem Pass mit Verzögerung. Mit dem Ball am Fuß wartete Özil solange ab, bis sich bei Leicester in der Deckung eine Lücke ergab, durch die er den Ball zu Bellerin durchstecken konnte. Die Gemeinheit daran war, dass jeder wusste, dass gleich einer seiner bisher 9543 gespielten Ligapässe auf der Insel kommen würde, nur eben nicht genau wann. Das "majestätische Zuspiel" (Daily News) verwertete der eingewechselte Doppeltorschütze Pierre-Emerick Aubameyang (63./66.) ebenso wie 170 Sekunden später den direkten Assist, den Özil lieferte.

Den Angriff bejubelte dieser mit derselben kindlichen Verspieltheit, mit der er gegen Leicester auf dem Platz sein Unwesen trieb. "Ich finde, wir haben einen ziemlich sexy Fußball gespielt heute Abend. Stolzer Kapitän des Teams und Vereins", schrieb der einstige Profi von Schalke 04, Werder Bremen und Real Madrid auf Twitter. Erstmals in seiner Karriere führte Özil den FC Arsenal als einer von vier stellvertretenden Spielführern zu Beginn der Partie ins Stadion.

Als Repräsentant der Gunners auf dem Platz könnte sich kaum ein Spieler besser eignen als Özil, dessen Charakter fast deckungsgleich ist mit dem Profil des Klubs. Aus Özils fragilem Wesen kann sich eine schwer aufzuhaltende Spielfreude entwickeln, die das Vermächtnis der 22 Jahre währenden und im Sommer beendeten Amtszeit von Trainer Arsène Wenger darstellt. Nach zwei Auftaktniederlagen hat Arsenal nunmehr eine Siegesserie von wettbewerbsübergreifend zehn Erfolgen hingelegt, die den Klub an der Ligaspitze zwei Punkte hinter den gleichauf liegenden Teams von Manchester City und des FC Liverpool lauern lässt. Die Frage ist jetzt, ob der FC Arsenal auch in den Spielen gegen die übrigen Hochkaräter aus London, Liverpool und Manchester bestehen kann. Für seine 30 Tore hat Özil, der bekanntlich im Sommer unter Rassismus-Vorwürfen an den Deutschen Fußball-Bund aus der Nationalelf ausschied, 149 Premier-League-Spiele benötigt. Einer der Gratulanten war der in der Torschützenliste überholte Uwe Rösler, 49, der lobte: "Mesut ist ein würdiger Nachfolger."

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SZ vom 24.10.2018/jbe
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