Durch „De Kuip“ und „The Kop“ tönte vor zwei Wochen derselbe Name. „Arne Slot, Arne Slot!“ sangen die Feyenoord-Fans im Stadion in Rotterdam, „Arne Slot, Arne Slot!“ sangen die Liverpool-Fans auf der berühmten Tribüne in Anfield. Die einen riefen den Namen aus Dankbarkeit, die anderen in Hoffnung.
Arne Slot, 45, ist seit diesem Samstag der neue Trainer des FC Liverpool. „Veränderung ist gut“, sagte Jürgen Klopp, dessen schweres Erbe Slot antreten wird, beim Abschied: „Du weißt nur nie, was zu erwarten ist.“ Diese Lebensweisheit trifft umso mehr zu bei einem Mann ohne großen Namen im Weltfußball und ohne Erfahrung außerhalb der Niederlande. Wer also ist dieser „Arne Slot, Arne Slot“?
In einem kleinen Dorf nahe der deutschen Grenze wuchs er fernab der niederländischen Fußballepizentren auf. Slot war bei seinen Stationen in Zwolle, Breda und Rotterdam ein Spielertyp, für den es im modernen Fußball keinen Platz mehr gibt: ein klassischer Zehner, ein kreativer Freigeist, der wenig lief, und wenn, dann langsam. Nach der Karriere wurde er Jugendtrainer und gründete einen Vertrieb für Kapitänsbinden. Er arbeitete sich nach oben – als Trainer, nicht als Kapitänsbindenverkäufer –, wurde Co-Trainer in Leeuwarden, Co-Trainer in Alkmaar, Cheftrainer in Alkmaar.
2021 folgte der nächste Karriereschritt: Feyenoord Rotterdam ging das Wagnis ein, den Trainernovizen einzustellen. Der Traditionsverein wankte damals finanziell und stand im Schatten von Ajax Amsterdam und PSV Eindhoven. Unter Slots Vorgänger Dick Advocaat – aktuell Nationaltrainer von Curaçao – spielte die Mannschaft einen Defensivfußball ohne jeden Esprit, beendete die Saison 29 Punkte hinter dem Erzrivalen aus der Hauptstadt und blamierte sich in der Europa League zu Hause 1:4 gegen die Österreicher vom Wolfsberger AC.
Slot zeigt den Feyenoord-Spielern oft Videos von Guardiola-Mannschaften
„Als Slot kam, hat man sofort Veränderungen gesehen in der Spielweise, in der Mentalität und im Miteinander“, sagt Youri Mulder. Der ehemalige niederländische Nationalspieler und Uefa-Cup-Sieger mit Schalke 04 arbeitet in seiner Heimat als TV-Experte: „Slot hat es geschafft, dass die Fans wieder an die Mannschaft glauben.“ In der ersten Saison erreichte Feyenoord das Finale der Conference League, unterlag dort José Mourinhos Roma. In der zweiten Saison gewann das Team die Meisterschaft. In der dritten Saison den niederländischen Pokal. In der Liga sammelte die Mannschaft sogar zwei Punkte mehr als in der Meistersaison, einzig die furiose PSV verhinderte die Titelverteidigung.
All dies gelang mit einer Spielweise, die dem niederländischen Ruf als Heimat des schönen Fußballs gerecht wird. Arne Slot denkt das Spiel offensiv, seine Mannschaft möchte den Ball haben. Über den gesamten Platz spielt sie kurze Pässe, lange Bälle sind verboten. „Slot hat auf seinem Laptop unglaublich viele Videos von Guardiolas Barcelona, Bayern und Manchester City gespeichert, die er den Spielern oft zeigt“, sagt Mulder.
Jedoch ist Slots Spielphilosophie wagemutiger und vertikaler als Guardiolas. Wenn die erste Linie des Gegners überwunden ist, geht es rasant nach vorne. Positionen und Laufwege sind choreografiert. Die Verteidiger stürmen mit, Feyenoord spielt viele Steilpässe hinter die Abwehr. Durch das riskantere Spiel steigt jedoch die Gefahr von Ballverlusten. Daher lässt Slot ein intensives Gegenpressing spielen, beinahe in Klopp-Manier. Feyenoord erzielte in dieser Saison ligaweit die meisten Tore nach hohen Ballgewinnen.
Obwohl Slot leidenschaftlicher von Guardiola schwärmt, ist sein Spiel dem von Klopp näher. Feyenoord und Liverpool spielen im 4-3-3, beide Mannschaften hatten in der vergangenen Spielzeit fast gleich viel Ballbesitz (61,8 zu 61,3 Prozent) und führten beinahe gleich viele Zweikämpfe im offensiven Drittel (3,09 zu 2,97 pro 90 Minuten). Die Suche nach einem Klopp-Erben erfolgte laut The Athletic auf der Basis verschiedener Daten zu Spielstil und Spielerentwicklung. Seine Ideen sollten denen des Vorgängers ähneln, schließlich wurde das Team über Jahr hinweg auf ihn ausgerichtet. Während der FC Bayern mit dem Pressingpedanten Ralf Rangnick verhandelte und sich letztlich mit dem Ballbesitzbewunderer Vincent Kompany einigte, war in Liverpool die gewünschte Art des Fußballs definiert.
Es gibt einen Unterschied: „Slot wird geliebt, Klopp wird vergöttert“, sagt Youri Mulder
Die Daten versagen jedoch in einem Aspekt. Jürgen Klopp als Trainer zu beerben, ist schwer – und den Deutschen als Menschen zu beerben? Nun ja. Und doch sagt Mulder: „Ich sehe Ähnlichkeiten. Slot ist etwas ruhiger als Klopp, aber das sind die meisten Menschen.“ Der 45-Jährige ist charismatisch, eloquent und lächelt viel. Wie sehr die Fans ihn schätzen, war beim Abschied zu spüren. Sie sangen die Liverpool-Hymne „You’ll never walk alone“, als er mit Sohn und Tochter eine letzte Runde über den Rasen ging. „Slot wird sehr geliebt“, sagt Mulder, fügt jedoch hinzu: „Klopp wird vergöttert.“
Diese Verehrung macht Slots neuen Job nicht leichter. David Moyes scheiterte als Erbe von Sir Alex Ferguson bei Manchester United, Unai Emery als Thronfolger von Arsène Wenger beim FC Arsenal. Ob Slot der Schritt in die Premier League gelingt, in der sein offensiver Fußball größere Risiken birgt, ist ebenso offen wie zum Beispiel die Frage, ob es für den ewigen Stürmer Mohamed Salah einen Platz in seinem System gibt. Was, wenn nicht? „Wenn du Salah auf die Bank setzt, ist das anders, als wenn du einen Feyenoord-Spieler auf die Bank setzt“, findet Mulder.
Es darf die Anhänger in Liverpool optimistisch stimmen, dass es Arne Slot schon einmal gelungen ist, einen Verein aus einer fußballverrückten Hafen- und Arbeiterstadt begeisternden Fußball spielen zu lassen. Jürgen Klopp bemühte sich bei seinem Abschied, den Weg seines Nachfolgers zu ebnen. Er forderte von den Fans: „Ihr heißt den neuen Manager willkommen, wie damals mich!“ Er war es auch, der den Gesang anstimmte, der in Zukunft oft durch Anfield hallen soll: „Arne Slot, Arne Slot!“