Armstrongs TV-Beichte bei Oprah Winfrey:Rennen ums Entkommen

Lance Armstrong, Oprah Winfrey

Winfrey ließ verlauten, dass Armstrong mit einer Entourage von zwölf Beratern zu dem Interview erschienen ist. Das klingt eher nach kalkulierten Worten als nach ausgeschüttetem Herzen. (Vorabfoto von dem Gespräch) 

(Foto: AFP)

Mit seinen beiden Auftritten vor einem Millionenpublikum im amerikanischen Fernsehen will Lance Armstrong um eine zweite Chance kämpfen. Doch die Amerikaner könnten ihm vielleicht das Doping verzeihen - nicht aber seine Verlogenheit.

Von Peter Richter

Ari Delegowski zum Beispiel: Ari Delegowski war noch auf dem College, als Lance Armstrong seine erste Tour de France gewann. Beim zweiten Mal kaufte er sich ein Rennrad. Bei Armstrongs drittem Sieg fing er an, in den Rocky Mountains seine eigenen Bergetappen zu fahren. Später, Armstrong gewann weiterhin Jahr um Jahr die Tour de France, zog Delegowski nach New York, von wo er mit seinem Rad jeden Sommer die 150 Meilen bis nach Montauk fuhr - und dabei auch nicht viel länger brauchte als ein Auto auf dem Highway im Sonntagsverkehr. "Wer immer in Amerika heute auf ein Fahrrad steigt", sagt Ari Delegowski, "der hat das letztlich Lance Armstrong zu verdanken." Armstrong war "ein Held, ein Superstar, ein Gott".

Und jetzt? Ist er es eben nicht mehr.

Seitdem Lance Armstrong im Herbst darauf verzichtet hat, den Beschuldigungen der Usada, der U.S. Anti-Doping Agency, entgegenzutreten, in großem Stil illegale Hilfsmittel zu sich genommen zu haben, gilt er nicht mehr als Vorbild. Seitdem ihm seine Toursiege aberkannt wurden, seitdem er seine Sponsoren- und Werbeverträge verloren hat, die Hoheit über seine eigene Krebshilfestiftung aufgeben musste und sich mit den Klagen von Personen und Institutionen konfrontiert sieht, die ihr Geld zurückfordern: Seitdem ist aus dem Mann, zu dem Amerika aufgeschaut hat, als er ganz oben war, einer geworden, dem es nun beim Kampf gegen den Absturz zuschaut. Aber auch das hat ja seinen Schauwert.

Die Beichte in der Sendung von Oprah Winfrey, die an diesem Donnerstag ausgestrahlt werden soll, wird deswegen schon ein großes Publikum finden. Es könnte nur gar keine Beichte sein, las und hörte man vorher - sondern eine aggressive Vorwärtsverteidigung. Armstrong sei mit einer Entourage von zwölf Anwälten und Beratern zu dem Interview erschienen. Er sei "gut vorbereitet" gewesen, ließ Oprah Winfrey verlauten. Das klingt eher nach kalkulierten Worten als nach ausgeschüttetem Herzen.

Aber dass es Armstrong jemals auf eine menschlich sympathische Wirkung angelegt hätte, würden sicher nicht einmal seine Bewunderer behaupten. Es war, im Gegenteil, schon immer eher der besessene Fighter, der die Leute begeisterte: erst den Hodenkrebs besiegt, dann sieben Jahre lang die Tour de France gewonnen - und zumindest zwei Jahre lang Freund des Popstars Sheryl Crow, was in all den Betrachtungen des Radidols auch immer erwähnt und nicht vergessen wurde.

Diese Comeback-Aura eines notorischen Stehaufmännchens wird auch von dem Dopingskandal nicht völlig überschattet. Man kann fragen, wen man will: Die, die sich nicht für Radsport interessieren, erwarten nichts anderes als Dopinggeschichten. Und diejenigen, die sich dafür interessieren, ihn womöglich sogar selbst praktizieren, Leute wie Lance-Armstrong-Fan Ari Delegowski also, die sind realistisch genug, jetzt nicht aus allen Wolken zu fallen. Er hätte es früher nicht gedacht, war nachher aber auch nicht sonderlich überrascht. Denn: "Wie hieß der Deutsche noch mal, an dem Lance immer vorbeigefahren ist? Ullrich? Gab es da nicht auch so Geschichten?"

Es ist mit dem Radsport selbst in den USA, wo die Welt noch gern in Gut und Böse eingeteilt wird, so weit gekommen, dass einem nichts als der zynische Realismus des So-läuft-es-leider bleibt. Und zu diesem Realismus gehört auch die häufig geäußerte Ansicht, dass Doping eine sportliche Leistung eben auch wiederum nicht so total entwertet, wie das dann gern dargestellt wird. Auf Twitter gibt es immer noch genügend Armstrong-Fans, die eine Kampagne kleingeistiger Neider beklagen.

Es macht fast den Eindruck, als sei das Doping, schon weil es im Radsport so verbreitet ist, gar nicht Armstrongs Hauptproblem. Sondern das Leugnen und das Lügen. Der populäre Sportkommentator Stephen A. Smith verpasste Armstrong im Fernsehen eine Wutrede, in der es allerdings nur ganz am Rand um das Doping ging. Die eigentliche moralische Empörung galt der Tatsache, dass Armstrong das Doping unter Eid geleugnet hatte.

Land der moralischen Prinzipienreiterei?

An diesem Punkt gleicht die Debatte um Armstrong bereits jetzt derjenigen um Bill Clinton nach seiner Affäre mit der Praktikantin Lewinski: Doping erscheint, genauso wie außerehelicher Sex, als etwas, was verwerflich ist, aber vorkommen kann; wirklich schlimm ist Unehrlichkeit. Amerika sei das Land der zweiten Chance, predigte Smith in der Sendung weiter, wenn Armstrong Vergebung und Verzeihung wolle, dann müsse er die Tatsachen auf den Tisch legen und bereuen.

Es ist, wenn man den kulturellen Klischees nicht völlig auf den Leim gehen will, eher schwer zu sagen, was Amerika nun wirklich ist. Das Land der zweiten Chance? Das Land der moralischen Prinzipienreiterei? Oder das Land, in dem Sieger verehrt werden wie nirgendwo sonst - und als Verlierer anschließend tiefer fallen können als irgendwo anders?

Manchmal erzählen sich diese Geschichten vom unbarmherzigen Wurf in die Verdammnis aber einfacher, als sie sich anschließend nachprüfen lassen. Der Golfprofi Tiger Woods zum Beispiel galt auch einmal als so ein gefallener Held. Der Stand Anfang Januar ist: Woods spielt Golf, verdient Geld und schläft, wie man jetzt lesen darf, seit Neuestem mit dem Skistar Lindsey Vonn, während seine Ex-Frau in die Klubs von Miami nicht hineingelassen wird, wenn den Türstehern nicht jemand zuflüstert, dass sie die Ex-Frau von Tiger Woods ist. Ja, das ist Gossip, übler Klatsch und Tratsch, aber es ist leider nicht gänzlich irrelevant. Es ist nämlich das, was später aus solchen Geschichten wird - der Anlauf zum Comeback.

Oder: Eliot Spitzer, der nach einer Prostituiertenaffäre das Amt des Gouverneurs von New York aufgeben musste, macht sich inzwischen auch keine Mühe mehr, Gerüchte zu dementieren, wonach er wieder eine politische Karriere anstrebt. In der Zwischenzeit hat er Fernsehsendungen moderiert und sein Vermögen verwaltet. Was gefallene Helden in Amerika wirklich sind, merkt man eher, wenn einem in der U-Bahn bettelnde Kriegsveteranen begegnen.

Bei Armstrong sieht es, so gesehen, im Augenblick noch vergleichsweise gut aus. Haus in Austin, Haus auf Hawaii, Privatflugzeug für den Weg vom einen zum anderen - und ein Vermögen, das immer noch auf 100 Millionen Dollar geschätzt wird.

Und dann gibt es da in Austin noch ein Radsportgeschäft mit dem Namen Mellow Johnny's. Mellow Johnny ist das, was herauskommt, wenn Amerikaner sehr oft hintereinander "Maillot Jaune" sagen wollen, gelbes Trikot. Mellow Johnny war der Spitz- name von Lance Armstrong, dem der Laden unter anderen gehört. Zu den Kunden sollen Leute wie Michael Schumacher gezählt haben, der mit sieben WM-Titeln so etwas wie der Lance Armstrong des Motorsports ist, wo im Gegensatz zum Radsport die technischen Helfer im Hintergrund nicht verschwiegen, sondern mit einer eigenen Meisterschaft geehrt werden.

Ob Lance Armstrong so etwas Ähnliches für die Apotheker hinter den Tour de France Teams vorschlägt, wird man bei Oprah Winfrey sehen. Ausgeschlossen ist gar nichts.

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