Süddeutsche Zeitung

Armstrongs Arzt über Armstrong:Festakt der Muskelenzyme

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Man darf davon ausgehen, dass Lance Armstrong derzeit ebenso fit ist wie 1999, vor seinem ersten Tour-de-France-Sieg. Genaueres geben Radprofis ohnehin selten preis. Den Gegner über die eigene Form im ungewissen zu lassen, gehört fest zum rituellen Schlagabtausch. Vor dem voraussichtlich letzten Start Armstrongs mischt sich diesmal jedoch ein prominenter US-Sportmediziner in die Fitness-Spekulationen ein.

Von Klaus Koch

Edward Coyle, Sportarzt an der Universität Texas in Austin, der Armstrong seit Anfang der 90er Jahre begleitet, hat bereits im März im Internet einen Einblick in die Konstitution des US-Profis gegeben, seinen immerhin sechs Seiten langen Bericht hat eine US-Medizinfachzeitschrift jetzt erneut abgedruckt. Der Artikel enthält zwar keine aktuellen Details, er schildert aber, wie sich die Leistungskurve von Armstrongs Beinen in den sieben Jahren vor seinem ersten Tour-de-France-Sieg entwickelt hat.

Einige Male um die Erde

Fast scheint es, als wolle Coyle der Konkurrenz auf diese Weise klar machen, dass Armstrong kaum zu schlagen ist. Zu perfekt funktioniere sein Körper. Bei Fachleuten der Konkurrenz stößt seine Schilderung denn auch auf Stirnrunzeln. Lothar Heinrich, Teamarzt bei T-Mobile, will der SZ erst gar keine Vergleichsdaten für Jan Ullrich zur Verfügung stellen. Er gesteht Coyles Messungen kaum Aussagekraft zu und "möchte sie durch von uns in wesentlich besserer Art erhobene Daten nicht aufwerten".

Auch wenn man die Testergebnisse also mit Vorsicht sehen muss, liefert Coyles-Bericht dennoch einen Einblick, wie bei Spitzenathleten das Verhältnis von Training und Leistung ausfällt. Armstrong sagt ja, dass er fast jeden Tag drei bis sechs Stunden trainiert. Insgesamt dürfte er also zwischen 1992 und 1999 ein bis zwei Jahre (!) im Sattel verbracht und dabei einige Male die Erde umrundet haben.

Angesichts diese Aufwands klingt Armstrongs Leistungssteigerung nach sieben Jahren dann doch ziemlich mager: Nach Coyles Messungen ist seine Ausdauerleistung um gerade einmal um acht Prozent gestiegen. In einem standardisierten Labortest konnte er 1992 dauerhaft etwa 370 Watt treten, 1999, vier Monate vor der Tour, waren es etwas über 400 Watt. Aber Vorsicht.

Zehn Prozent mehr auf zehn Kilometern Anstieg

Der vermeintlich kleine Unterschied macht auf einer zehn Kilometer langen Bergpassage mit zehn Prozent Steigung ein bis zwei Minuten Zeitgewinn aus - acht Prozent mehr Leistung wären also durchaus genug, um souverän der Konkurrenz vorne weg zu fahren. "In einem olympischen Finale liegt zwischen dem Ersten und dem Hauptfeld oft nur ein Unterschied von ein bis drei Prozent", sagt Coyle.

Und im "Hauptfeld" befand sich Armstrong 1992 ja bereits. Als Jugendlicher hatte er mit Leistungssport angefangen. Nach der Pubertät war er zuerst Wettkampfsschwimmer, dann Triathlet, bevor er mit 19 begann, sich auf das Radfahren zu konzentrieren. Ein Jahr später gewann er mit der Amateur-Meisterschaft der USA seinen ersten größeren Titel, das war 1991.

Kein Wort über Doping

Solche Resultate zeigten, dass er die Grundvoraussetzungen für einen Spitzensportler mitbrachte. Zu Disziplin und der Bereitschaft, sich im Training zu quälen, kommt eine besondere genetische Eignung für Ausdauerleistungen hinzu, die ein Durchschnittsradler auch bei bestem Training nicht erreichen kann: Kapazität des Kreislaufs, Zusammensetzung der Muskulatur, Leistungspotential der Muskelenzyme, die Energie bereitstellen.

"Obwohl Lance vielleicht der beste Ausdauerathlet des Planeten ist, ist er kein genetischer Freak", nimmt Coyle ihn in Schutz: Er habe unter Hunderten von Radsportlern, die er in 20 Jahren getestet habe, immerhin zwei weitere mit einem "ähnlichen genetischen Potential" gefunden.

Offenbar hat Armstrong seinen Genen aber eine besondere Anpassung zu verdanken. Begrenzende Faktoren für die Ausdauerleistung eines Menschen sind, wie viel Sauerstoff er aufnehmen kann und wie effizient die Muskeln die bei der Verbrennung entstehende Energie nutzen. Seine maximale Sauerstoffaufnahme hat Armstrong über die Jahre offenbar kaum steigern können.

Coyle schätzt, dass der Radprofi während eines Wettkampfs bis zu 6,4 Liter Sauerstoff pro Minute verbraucht, umgerechnet auf sein Körpergewicht fände er sich damit, "unter den höchsten bislang berichteten Werten". Nach Coyles Messungen haben Armstrongs Beine aber im jahrelangen Training gelernt, den knappen Sauerstoff effizienter zu nutzen. Im November 1992 setzte sein Körper "21,18" Prozent der Sauerstoff-Energie in Muskelleistung um, im November 1999 waren es "23,05 Prozent".

Steigerung um acht Prozent

Diese Verbesserung entspricht fast genau der Leistungssteigerung um acht Prozent. Selbst die Unterbrechung des Trainings nach der Hodenkrebs-Diagnose im Jahr 1997 brachte keinen dauerhaften Knick in Armstrongs Leistungskurve.

Dass Coyle tatsächlich eher Fan als neutraler Wissenschaftler ist, macht sein Fazit deutlich. "Dieser Champion ist ein Phänomen. In ihm vereinigen sich genetische Selektion und eine extreme Anpassung an jahrelanges Ausdauertraining zu einer Person, die wahrhaft inspiriert ist", schwärmt der Mediziner. Gut möglich, dass eines der Motive hinter Coyles Veröffentlichung darin besteht, Zweifel zu zerstreuen, dass Armstrong sich nicht nur auf seine Gene und Training verlassen hat. Doping erwähnt Coyle mit keinem Wort.

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SZ vom 06.07.2005
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