Armstrong bei der Tour de France:Mahnmal mit weißem Helm

Cyclist Lance Armstrong of the US cycles with a team of riders as he takes part in Geoff Thomas's 'One Day Ahead' charity event during a stage of the 102nd Tour de France cycling race from Muret to Rodez

Lance Armstrong beim Benefizrennen

(Foto: REUTERS)
  • Mit seiner Teilnahme an einem Benefizrennen will Dopingsünder Lance Armstrong der Tour noch einmal die Show stehlen.
  • Doch sein Auftritt erinnert eher an die düstere Vergangenheit - und daran, dass das System Armstrong in Teilen noch heute präsent ist.
  • Zu den Ergebnissen der Tour de France geht es hier.

Von Johannes Aumüller, Le Vernet

Um 7.37 Uhr ist die Vergangenheit wieder da. Wobei: Ob es sich dabei wirklich nur um die Vergangenheit handelt, das ist die Frage und vielleicht der Fehler, den viele in der Radsportszene gerne machen. Um 7.37 Uhr jedenfalls kommt ein großer dunkler Bus angefahren, er dreht noch eine Schleife und dann schiebt er sich im Rückwärtsgang ganz langsam auf den Parkplatz eines Supermarktes im französischen Örtchen Le Vernet nahe Toulouse.

Ein unscheinbarer Parkplatz, das ist schon mal keine schlechte Pointe. In früheren Hochdopingjahren hat Lance Armstrong, bald 44 Jahre alt, bisweilen einen solchen Ort aufgesucht, wenn er sich mit seinem Arzt Michele Ferrari alias Dottore Epo treffen und das vor der Öffentlichkeit verbergen wollte. Jetzt kommt er dorthin, weil er die Öffentlichkeit will. Denn offiziell ist der Texaner wieder für eine gute Sache unterwegs: Er möchte ein Projekt der Leukämie-Stiftung des früheren Fußballers Geoff Thomas unterstützen. Der hat eine kleine Gruppe zusammengestellt, die einen Tag vor jeder Tour-Etappe schon mal die Strecke abfährt, auf zwei Abschnitten begleitet sie Armstrong, und seinen ersten Auftritt hat er auf diesem Parkplatz hier.

Wobei die Kernfrage an diesem Morgen lautet, wer hier eigentlich wen für seine Zwecke benutzt: die Stiftung Armstrong - oder doch Armstrong die Stiftung?

Seit fast zwei Wochen läuft die Tour de France, jeden Morgen fahren am Start 21 große Busse vor, für jede Mannschaft einer, aber noch keiner ist in dieser Zeit so belagert worden wie dieser hier, in dem irgendwo auch Armstrong sitzt. Mehr als 100 Journalisten sind da, zwei Dutzend Kameras, der Andrang ist so groß wie zu seinen besten Zeiten. Es ist wie eine Aufführung, aber eine Aufführung nur für die Medienvertreter; Zuschauer, Radsport-Fans sind auf dem Supermarkt-Parkplatz von Le Vernet nicht zu sehen. Die Franzosen auf der Straße haben Armstrong, anders als ihr Staatspräsident Nicolas Sarkozy, nie gemocht. Er war ihnen immer zu perfekt, zu suspekt, zu eitel, das hat sich nicht geändert. Zu sehen sind also: Irritiert dreinblickende Einwohner von Le Vernet, bei denen sich der geplante Einkauf verzögert, weil dieser Typ aus Texas mit seinem Getue den ganzen Parkplatz verstopft.

Die Passanten sind irritiert: Der Typ aus Texas blockiert mit seiner Show den ganzen Parkplatz

Lance Armstrong

"Hi Friends!" - Lance Armstrong präsentiert sich am Rande der Tour als Mitstreiter für eine Krebsstiftung - Zeit und Ort haben nicht jedem gefallen.

(Foto: Lionel Cironneau/AP)

Lance Armstrong, das ist eben eine besondere Geschichte. Niemand war so weit oben - und niemand lag so sehr am Boden. Über viele Jahre hat der Texaner die Frankreich-Rundfahrt und den Radsport dominiert, er hat die Spielregeln bestimmt, und er hat sie sich zum Untertan gemacht. Er war der Patron, und wer den Mut hatte, an seinem Status zu rütteln, den hat er erbarmungslos zerstört. Aber irgendwann hat er die Tour zerstört. Nein, nicht zerstört, niemand kann die Tour zerstören; aber Armstrong hat ihr einen der größten Rückschläge ihrer Geschichte verpasst, als sich 2012 herausstellte, wie umfangreich und wie systematisch sein Betrugssystem bei US Postal war. Die Tour-Jahre 1999 bis 2005 haben jetzt keinen offiziellen Sieger mehr, sie stehen als statistischer Schandfleck für eine dunkle Zeit für immer in den Annalen, und Armstrong selbst haben sie lebenslang gesperrt, als er seine Vergehen dann endlich gestehen musste. Aus dem Patron wurde der Verstoßene.

Und jetzt kommt der Outlaw zurück und stiehlt der Tour noch einmal die Show.

Sie verstehen sich auf eine gescheite Inszenierung, auf diesem Supermarkt-Parkplatz von Le Vernet. Die Tür des Busses geht auf, drei von Armstrongs Mitradlern kommen heraus, dann geht die Tür wieder zu. Kurz danach: Tür auf, zwei andere raus, Tür zu. Sie machen sich sogar einen Spaß daraus, feixend fotografieren sie aus dem Bus heraus die Journalisten, die unten wartet. Vier, fünf Mal geht das so. Dann erst erscheint der Maestro endlich, "hi friends" sagt er gönnerhaft, hallo Freunde, er trägt das gleiche dunkelblaue Trikot wie seine Mitstreiter, ein bisschen erinnert die Farbe an die Hemden seiner US-Postal-Mannschaft von damals.

Provokation des Texaners

Aber natürlich kann einer wie Lance nicht einfach so in der blauen anonymen Masse mitradeln. Ein Gelbes Trikot haben sie ihm schlecht anziehen können, dafür aber einen weißen Helm. Das hebt ihn ab von den anderen, wenn sie sich in ihrem bemerkenswert großen Konvoi über die kleinen Straßen von Le Vernet nach Rodez und am Freitag von Rodez nach Mende schlängeln: vorne fährt ein Sicherheitsmotorrad, dann kommt eines mit einem Fotografen, dann das inklusive Armstrong elfköpfige Peloton, dann die Materialwagen, ja so etwas haben sie tatsächlich, dann das Verpflegungsauto, in dem sich die Wasserflaschen, Bananen, Pulverboxen und - Achtung, großer Unterschied zur echten Tour - viele Tüten Gummibärchen befinden.

Ein US-Postal-Pfleger hat später auch mal für Sky gearbeitet - das Team des heutigen Führenden

Was soll das, was ist das? Eine gigantische PR-Aktion einer Wohltätigkeitsorganisation, die es schafft, Aufmerksamkeit für ein wichtiges Projekt auf sich zu ziehen? Natürlich. Eine Provokation des Texaners, wie unter anderem der französische Sportminister, der Präsident des Rad-Weltverbandes und diverse Vertreter des aktuellen Pelotons meinen? Natürlich auch das. Aber daneben ist es auch noch etwas anderes, nämlich eine Erinnerung und Warnung für eine Branche.

Der Radsport hat aus Armstrong irgendwann den Oberschurken gemacht. Doping = Armstrong, so ging die Rechnung. Er hat ihm die Tour-Siege gestrichen, er hat ihn zur Symbolfigur der düsteren Vergangenheit erklärt - und er hat dann begonnen, seinen neuen, seinen Post-Armstrong-Radsport für sauber zu erklären. Aber der Texaner ist halt nicht nur Vergangenheit, ein paar bedeutende Prisen Armstrong existieren weiter in dieser kleinen Radsportwelt. Es gibt noch immer Doping, und es gibt bei heiklen Fragen noch immer dieses nahezu kollektive Wegsehen und Schweigen, das schon das System Armstrong ermöglicht hat. Und es gibt im Feld sogar noch immer Leute, die früher für Armstrong und das US-Postal-Team fuhren oder arbeiteten.

Zum Beispiel Wjatscheslaw Jekimow, Sportlicher Leiter von Katjuscha, der lange zu Armstrongs Domestiken zählte. Passend zu Armstrongs Auftritt berichtet nun der Telegraph, dass ein früherer Pfleger des US-Postal-Teams in den vergangenen Jahren für Sky gearbeitet hat - das Team von Christopher Froome und Richie Porte, die den ersten Pyrenäenanstieg so beeindruckend hinaufgeklettert waren. Zu dieser Leistung hat sich auch Armstrong unter der Woche zu Wort gemeldet. "Froome/Porte/Sky sind sehr stark. Zu stark, um sauber zu sein?", so twitterte er. Es war eine letzte Provokation vor seinen zwei Tagen für die Leukämie-Stiftung - aber es war auch die Frage, die sich alle stellten, als sie die Fahrt sahen. Auf dem Parkplatz in Le Vernet gibt sich Armstrong zurückhaltender. Er bereut die Aussagen über Froome nicht, er will aber auch nichts mehr hinzufügen, er sei hier wegen Geoff Thomas und der Leukämie-Stiftung.

Mr. Armstrong, "ist die Tour sauber?" - "Wie soll ich das beantworten?" - "Sie sind doch der Experte." Dann fuhr die Vergangenheit der Tour de France ganz gegenwärtig im weißen Helm und seinem eigenen kleinen Konvoi weiter nach Rodez.

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