Armina Bielefeld:Der Fahrstuhl steht still

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Die Bielefelder Alm zählt zu den traditionsreichsten Stadien der Bundesliga-Geschichte – doch wird sie bald wieder ein Bundesliga-Stadion sein?

(Foto: Ralf Ibing/firo Sportphoto)

Was passiert, wenn es weitergeht? Der leidgeplagte Zweitliga-Tabellenführer Bielefeld fürchtet um den Ertrag einer bislang herausragenden Saison.

Von Ulrich Hartmann, Bielefeld/München

Die Fußballer von Arminia Bielefeld waren zusammen mit jenen vom VfB Stuttgart die letzten in Deutschland, die vor Publikum spielen durften. Am Abend des 9. März zählte man in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena 54 302 Zuschauer. Bielefelds Mittelfeldspieler Cebio Soukou war der Letzte, der vor Publikum ein Tor geschossen hat, um 22.04 Uhr erzielte er den Ausgleich zum 1:1-Endstand. Es war für die Arminia im siebten Spiel dieses Kalenderjahres das siebte Spiel ohne Niederlage: fünf Siege, zwei Unentschieden. Seither ist Bielefeld mit sechs Punkten Vorsprung Tabellenführer der zweiten Liga. Seit fünf Wochen.

Es ist, als hätte ein Schnappschuss diesen Glückszustand eingefroren, eigentlich schön, allerdings haben sie in Bielefeld gleichzeitig ein bisschen Angst. Was wird, wenn das Standbild aufgelöst wird und der Film weitergeht? Werden sie an ihren Erfolg anknüpfen können? "Wir hatten einen riesigen Lauf", sagt Mittelfeldspieler Manuel Prietl über den Moment der coronabedingten Unterbrechung. "Das tat weh."

Sieben Mal ist Arminia Bielefeld in die Bundesliga aufgestiegen und sieben Mal wieder ab, zuletzt 2009. Mit dem achten Aufstieg würde die Arminia den Rekord des 1. FC Nürnberg einstellen. Die beiden Klubs liefern sich ein ewiges Duell um den Titel des besten Fahrstuhlklubs Deutschlands. Aber es ist nicht dieser Titel, um den die Bielefelder seit fünf Wochen bangen. Es ist die Rückkehr in die Bundesliga. Elf Jahre lang haben die Fans, die im Laufe der Vereinshistorie viel sportliches Leid ertragen mussten, auf diesen Moment gewartet. Als es endlich fast so weit war, hörte die Fußballwelt einfach auf sich zu drehen. Das Schicksal meint es mit den Bielefeldern ohnehin nicht besonders gut. Der letzte kapitale Triumph in Ostwestfalen war der Sieg in der Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus, als der Klub-Namensgeber Arminius die Römer besiegte. Wenn Fußball symbolisch für die Widrigkeiten des Lebens steht, dann lässt das jahrzehntelange Auf und Ab der Arminen zwischen erster und dritter Liga nebst wiederkehrenden Existenzsorgen erahnen, wie robust die Menschen in Bielefeld mit der Zeit geworden sind. Dass nun auf einmal ein Virus das Glück bedroht, ist eine neue und wirklich surreale Erfahrung.

Ein positiver Nebeneffekt: Der verletzte Voglsammer könnte nun noch mal spielen

"Die Arminia hat viele Narben", sagt der Geschäftsführer Markus Rejek, "wir kommen ja gerade erst aus unserer ganz eigenen Krise." Bis Ende 2017 hatten sich die Schulden des Klubs auf 29 Millionen Euro angehäuft. Hätten nicht zwölf regionale Unternehmen das "Bündnis Ostwestfalen" gegründet und zum Zweck eines Schuldenschnitts 29 Prozent der Fußball-GmbH übernommen, dann gäbe es Arminia Bielefeld im Profifußball heute schon gar nicht mehr. Auch in den nächsten Wochen und Monaten soll dieses Bündnis dem Klub beistehen. "Das ist wie eine lange Ehe", sagt Rejek. Mittels Gehaltsverzicht haben die Spieler, Trainer und Vorständler zudem eine knapp siebenstellige Summe erzielt, die helfen soll, eine Saisonpause mindestens bis Juni wirtschaftlich zu überstehen.

"Natürlich leidet jetzt auch unsere Arminia", hat der Geschäftsführer Wilhelm A. Böllhoff vom gleichnamigen Bielefelder Unternehmen und Bündnis-Partner gerade der Tageszeitung Die Welt gesagt, "aber diejenigen Unternehmer, die der Arminia vor zwei Jahren geholfen haben, die unterstützen sie auch jetzt. Gleichzeitig haben der Verein und die Spieler einen wichtigen Beitrag geleistet." Für den Geschäftsführer Rejek endet dieser karitative Kreislauf eben auch nicht im Sport, sondern in der Gesellschaft. Er scheut sich nicht vor Pathos, wenn er sagt: "Wir wollen ein emotionaler Anker sein für die Menschen in Bielefeld in dieser schweren Zeit."

Dazu freilich bedürfte es weiterer Siege, wofür wiederum die Fortsetzung der Saison erforderlich wäre. Mit einer Akutbehandlung der im Fußball-Entzug befindlichen Fans rechnen sie auch in Bielefeld für längere Zeit nicht, das treue Publikum wird eine ganze Weile nicht ins Stadion dürfen. Arminia-Sportdirektor Samir Arabi fürchtet trotzdem nicht, dass eine möglicherweise monatelange Separierung der Spieler von den Fans zu einer emotionalen Entwöhnung führen könnte. "Ich glaube nicht, dass das Interesse des Publikums nachlassen wird", sagt er, fürchtet aber grundsätzliche Veränderungen. "Im Hinblick auf die Sponsoring-Erträge kann es natürlich sein, dass das eine oder andere Unternehmen aufgrund der Folgen des Coronavirus sein Engagement in der Höhe und der grundsätzlichen Machbarkeit überprüfen wird." Aufgefangen werden könnten daraus resultierende Einschränkungen womöglich durch geringere Ausgaben für Spielergehälter und Transfers.

Arabi sagt: "Ich bin überzeugt, dass die Folgen von Corona Einschnitte in den Bereichen Ablösesummen und Gehälter bringen werden." Die Welt, glaubt wie so viele andere auch Arminias Sportchef, werde nach Corona nicht mehr die gleiche sein.

Aber auch einen positiven Effekt könnte die Saisonunterbrechung für Arminia Bielefeld haben. Denn der Fuß vom Stürmer Andreas Voglsammer, der Ende Januar gebrochen ist, könnte dadurch sogar in dieser Spielzeit noch Tore schießen. Er hat nun mehr Zeit zum Verheilen. In Kürze will Voglsammer ins Lauftraining einsteigen. Vielleicht schießt der gebürtige Rosenheimer die Ostwestfalen ja sogar noch in die Bundesliga.

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