Arjen Robben bei der Fußball-WM:Ego-Shooter mit sozialer Ader

*** BESTPIX *** Netherlands v Mexico: Round of 16 - 2014 FIFA World Cup Brazil

Bemerkenswerte Wandlung: Arjen Robben

(Foto: Getty Images)

Auch im Achtelfinale gegen Mexiko dribbelt und trickst Arjen Robben, was seine Füße hergeben - und verblüfft die Fußballwelt, als er den entscheidenden Elfmeter Klaas-Jan Huntelaar überlässt. Doch es gibt auch noch den alten Robben, den Schummler.

Von Thomas Hummel, Porto Alegre

Dieser Arjen Robben darf vermutlich bald vor den Vereinten Nationen sprechen. Darüber, wie toll es ist, für die Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen. Wie viel mehr Erfolg selbst das größte Genie damit hat. Ganz alleine vor sich hin zu zaubern, ist ja gut und schön. Aber als soziales Element in der Gruppe ist die Welt einfach wunderbar.

Arjen Robben als Botschafter für Solidarität in der Welt? Zumindest auf dem Fußballplatz hat sich der Niederländer vom Ego-Shooter zu einem außergewöhnlichen Individualisten mit Sozialkompetenz entwickelt. Schon in München hatte er so den FC Bayern durch die vergangene Saison geleitet. Doch nie wurde das so exemplarisch sichtbar wie in der Nachspielzeit des WM-Achtelfinales am Sonntag gegen Mexiko.

Es gab Elfmeter für die Niederlande. Da Robin van Persie nicht mehr auf dem Platz stand, war Robben als Schütze vorgesehen. Doch Robben schoss nicht. Er gab den Ball einem Mitspieler. Freiwillig.

"Ich wusste, dass Klaas-Jan Huntelaar noch frisch war. Ich weiß, er hat einen guten Schuss, und ich habe vollstes Vertrauen in ihn. Manchmal muss man schlau sein. Deshalb habe ich ihn gefragt, ob er ihn schießen will. Und er wollte", erklärte Robben später der verblüfften Fußballwelt. In Erinnerung sind immer noch die Elfer-Dramen von 2012 gegen Dortmund und Chelsea und Robbens Verbitterung, weil er seitdem kaum mehr schießen darf in München.

Huntelaar nahm das Angebot an und verwandelte sehr sicher ins linke untere Eck. Es war der Schuss, der den Niederlanden das Viertelfinale einbrachte. "Als er reinging, was das reines Adrenalin. Die beste Droge", erzählte der Stürmer aus Schalke.

2:1 hat die Elftal gegen Mexiko gewonnen. Nach insgesamt 100 Spielminuten (in der ersten Hälfte gab es vier, in der zweiten sechs Zusatzminuten) zog Arjen Robben seinen letzten Sprint an, hüpfte über die Werbebande und streckte dem Publikum jubelnd seine Muskeln entgegen. Der 30-Jährige durfte sich mal wieder als Schlüsselspieler sehen, der ein großes Stück dazu beitrug, das drohende Aus zu verhindern. Nach dem 1:0 der Mexikaner durch Giovani dos Santos in der 48. Minute beruhigte er erst seine Mitspieler, um dann endlich das so lange fehlende Tempo anzuziehen. Als es in der 75. Minute eine Trinkpause von Schiedsrichter Pedro Proença gab, sprach neben Trainer Louis van Gaal vor allem Robben auf die Kollegen ein.

Nach dem Rückstand hetzte er jedes Mal mit dem Ball los, dribbelte und trickste, was seine Füße hergaben und versetzte die Mexikaner in helle Aufregung. Seine x-te Ecke in der 88. Minute flog auf den Kopf von Huntelaar, der nach hinten ablegte, wo Wesley Sneijder den Ausgleich erzielte.

In der vierten von sechs Minuten der Nachspielzeit zog Robben ein letzten Mal los, umspielte den ersten Mexikaner, legte den Ball an Rafael Márquez vorbei, der ihm dabei auf den Fuß stieg. Arjen Robben hätte wohl nicht fallen müssen, schon gar nicht in der ihm eigenen Theatralik. Doch einen freiwilligen Sturzflug konnte ihm auch nicht unterstellt werden. "Da habe ich mich einfach clever verhalten", sagte Robben hinterher dem niederländischen Sender Nos, bedauerte aber seine Schwalbe in der ersten Hälfte: "Das war schrecklich dumm, ich möchte mich entschuldigen."

In dieser letzten Szene gab Proença aber Strafstoß. Und Robben übergab den Ball.

Mit Arjen Robben scheint alles möglich

Dieses Achtelfinale ist auch ein weiteres Kapitel in der wundersamen Geschichte um Robbens Körper. War er früher ständig verletzt gewesen, hatte kaum eine Saison ohne Muskelblessur überstanden und den Beinamen Kristall-Robben getragen, ist er nun einer der körperlich unverwüstlichsten Fußballer des Universums. Ächzen andere unter Müdigkeit, Hitze oder Spieltempo - Arjen Robben saust immer noch über den Rasen.

Die Niederländer gewannen diese Partie, weil sie in der zweiten Halbzeit erheblich zulegen konnten. Das Spiel war von Beginn an eine Prüfung für Körper, Seele und Geist gewesen. Fortaleza, nur 200 Kilometer vom Äquator entfernt, Anstoßzeit 13 Uhr. Es sollen 29 Grad im Schatten gewesen sein, doch das sagt nichts über die Temperaturen in der Sonne aus. Wo die Strahlen die Zuschauerplätze erhellten, flüchteten im Laufe des Spiels immer mehr Gäste von ihren Sitzen, weil es kaum mehr auszuhalten war. Während den beiden Trinkpausen im Spiel hieß es auf der Anzeigetafel: "Bitte vergessen Sie nicht, Sonnencreme aufzutragen."

Entsprechend spielten die Niederländer lange Zeit. Auch sie schienen flüchten zu wollen von diesem viel zu heißen Ort. Dabei trugen sie spezielle Stutzen, um mit den bald verschwitzten Füßen nicht in den Schuhen zu rutschen. Das 1:0 war hoch verdient für Mexiko, die Mittelamerikaner waren mit den Bedingungen viel besser zurechtgekommen, igelten sich hinten ein und spielten in den Kontern schnell nach vorne. Viel hätte nicht gefehlt, und die in der Vorrunde so starken Niederländer hätten zugeben müssen, das Achtelfinale der WM verschlafen zu haben. Doch sie rafften sich rechtzeitig zu einer Energieleistung auf.

"Ich habe gesehen, dass wir fitter waren", sagte Trainer Louis van Gaal, "auch in der Schlussphase. Deshalb wusste ich, dass wir in der Lage waren, das Spiel zu drehen." Van Gaal ist bisweilen ein Spezialist darin, nachher zu berichten, er habe alles schon vorher gewusst. Wie dem auch sei, es war nicht zu übersehen, dass die Europäer am Ende körperlich stärker waren. Van Gaal stellte zudem fest, dass sein Einfluss in der Endphase begrenzt war: "Von der Bank aus konnte ich nicht mehr viel tun. Die Spieler mussten liefern. Und sie taten es."

"Die WM ist gegen Mexiko"

Mexiko indessen trauerte. Zum sechsten Mal in Serie schieden die Fußballer des Landes im Achtelfinale einer Fußball-Weltmeisterschaft aus. Dabei hatten ihnen nur wenige Minuten zu einer Überraschung gefehlt. Trainer Miguel Herrera haderte: "Das Ergebnis ist total ungerecht." Womit er recht gehabt hätte, würde das Spiel nur 60 Minuten lang dauern. "Es ist sehr traurig und unglücklich für uns. Die Weltmeisterschaft ist gegen Mexiko." Sie wird diesen emotionalen Bären an der Seitenlinie vermissen.

Für die Niederlande geht die Reise weiter, am Samstag nach Salvador zum Viertelfinale gegen Costa Rica. Nigel de Jong könnte dann fehlen, der Mittelfeldspieler musste das Feld in Fortaleza nach wenigen Minuten verletzt verlassen. Beunruhigend war die Leistung von van Persie, der bis zu seiner Auswechslung kaum eine gute Aktion hatte. Doch solange die Niederlande Arjen Robben hat, scheint alles möglich zu sein. "Wir werden weiterhin sehr hart arbeiten. Unter allen Umständen", kündigte er an. Man konnte es als Aufforderung an die Mitspieler verstehen. Vielleicht sogar als Warnung. Wie er das genau gemeint hat, kann er ja irgendwann den Vereinten Nationen erklären.

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