Argentiniens Finaleinzug bei der Fußball-WM:Größtmöglicher Kontrast

Argentiniens Finaleinzug bei der Fußball-WM: Und am Ende, da jubelte auch Martin Demichelis mit. Der frühere Münchner steht mit seinen Argentiniern im Finale.

Und am Ende, da jubelte auch Martin Demichelis mit. Der frühere Münchner steht mit seinen Argentiniern im Finale.

(Foto: AP)

Nach dem wahnwitzigen deutschen Sieg gegen Brasilien bietet Argentiniens Elfer-Triumph über ultradefensive Holländer das genaue Gegenteil. Beide Teams scheitern an essentiellen Ideen des Fußballs - Messi & Co. glauben trotzdem an den großen Coup.

Von Thomas Hummel, Belo Horizonte

Natürlich zählte sofort, was die Zehn sagt. Die Zehn muss es schließlich wissen, hat sie doch schon zweimal so ein Finale gegen Deutschland gespielt. Also: "Es ist nicht unmöglich, Argentinien kann es." Wieder einmal sei der argentinische Fußball an der Spitze angekommen. Er hatte an Prestige verloren, aber jetzt habe er es wiedergeherstellt.

Die Zehn, "el Diez", das ist in Argentinien nicht Lionel Messi. So nennen sie im Land immer noch Diego Armando Maradona. Der Fußballheld des südamerikanischen Landes, nach dem eine eigene Kirche gegründet wurde. Maradona, das ist die Erinnerung an den bislang letzten Weltmeistertitel. Damals, 1986 in Mexiko-Stadt, als "el Diez" und andere zehn Spieler im Finale eben diese Deutschen besiegten. Vier Jahre später verlor er allerdings gegen den gleichen Gegner im Endspiel vom Rom.

Am kommenden Sonntag kommt es im Finale der WM 2014 wieder zu diesem Duell. Argentinien qualifizierte sich durch einen 4:2-Erfolg im Elfmeterschießen gegen die Niederlande für den Auftritt im Estádio Maracanã in Rio de Janeiro. Davor hatte es 120 Minuten lang plus Nachspielzeit 0:0 geheißen. Diese Partie in São Paulo war der größtmögliche Kontrast zum wahnwitzigen 7:1 tags zuvor in Belo Horizonte.

Die beiden Halbfinalspiele dieser WM unterschieden sich wie ein Strauß Rosen von einem Strauch Brennnesseln. Das eine erfüllte den ganzen Raum mit erhebendem Duft, so viel Fußballkunst und Spektakel bot es. Das andere verpasste einem allein vom Zuschauen Blasen. Doch am Ende bleibt die Essenz: Auch mit einem Brennnessel-Spiel kann man ins Finale einziehen. Das Glücksgefühl wird dadurch nicht kleiner.

"Ich empfinde große Freude, es war ein schwieriges Spiel. Wir haben eine geschlossene Mannschaftsleistung geboten", sagte Trainer Alejandro Sabella. Der im Mittelfeld überragende Javier Mascherano erklärte: "Wir haben den Sieg verdient. Wir hatten die besseren Chancen. Wir haben intelligent gespielt und sind sehr stolz auf uns."

Mit den besseren Chancen konnte Mascherano nur den Schuss ans Außennetz von Gonzálo Higuaín in der zweiten Hälfte und die Chance von Rodrigo Palacio in der 118. Minute meinen, als der Stürmer von Inter Mailand ganz frei vor dem Tor nur einen schlappen Kopfball zusammenbrachte. Der Rest folgte der argentinischen Schablone bei diesem Turnier: Verteidigen, mit sieben, acht, manchmal neun Feldspielern. Das Bollwerk von Sabella versperrte den Niederländern alle Wege zum Tor, auf Arjen Robben hatten sie es besonders abgesehen.

Der vielleicht beste Akteur des bisherigen Turniers fand kaum ins Spiel, damit war die Offensive in Orange stumpf wie ein Kindermesser. Ohne die Tempoläufe des Bayern-Angreifers ging gar nichts. Als er dann einmal durch war, hielt Mascherano im letzten Moment den Fuß dazwischen und lenkte den Schuss zur Ecke.

Das Elfmeterschießen war folgerichtig

Auf der anderen Seite sah es nicht anders aus. Argentinien hat ja nicht nur eine Diez, die mit 53 Jahren Fußballspiele kommentiert. Es hat auch eine aktuelle Diez, und nicht die schlechteste: Lionel Messi. Sabellas Plan verfolgt immer die selbe Idee: Hinten dicht mit allen Mann, vorne warten auf den einen Moment Messis, dann ist das Spiel entschieden. Das hat gegen Bosnien, gegen Iran, gegen die Schweiz geklappt. Aber da half der nicht viel schlechtere Angél Di María mit. Weil der Profi von Real Madrid wegen einer Muskelverletzung passte, brauchten die Niederländer nur auf Messi aufzupassen. Daraus ergab sich, dass auch Argentiniens Diez kaum zu sehen war.

Der Kampf im Mittelfeld führte dazu, dass Szenen vor den Toren an diesem Tag so selten vorkamen wie Schnee an der Copacabana. Wer es gut mit den Akteuren meinte, der sah ein Spiel auf taktisch hohem Niveau. Allerdings bedeutet taktisch hohes Niveau im eigentlichen Sinne auch die Einbeziehung von Offensivaktionen. Daran scheiterten beide Teams.

Das Elfmeterschießen war folgerichtig. Seltsamerweise hatte Hollands Trainer Louis van Gaal früh dreimal ausgewechselt, weshalb der Kniff mit dem Torwarttausch wie im Viertelfinale gegen Costa Rica nicht mehr erlaubt war. Tim Krul musste auf der Bank bleiben. Im Nachhinein betrachtet, hätte besser er im Tor stehen sollen für die Niederlande. Der für einen Torwart etwas klein gewachsene Jesper Cillessen war für die Argentinier kein Problem. Während Ron Vlaar und Wesley Sneijder früh an Argentiniens Schlussmann Sergio Romero scheiterten.

Der Ex-Held Krul musste tatenlos die Geburt des Neu-Helden Romero mit ansehen. Der 27-jährige Argentinier vollbrachte anschließend die seltene Tat, sich bei beiden Trainern zu bedanken. Bei van Gaal, der ihn einst beim AZ Alkmaar so freundlich aufgenommen habe. Und bei Sabella, der an ihm festhielt, obwohl er beim AS Monaco Ersatztorwart ist und in der vergangenen Saison nur neun Einsätze hatte.

Während in Buenos Aires Zehntausende bei weniger als zehn Grad Celsius am Platz des Obelisken feierten, saß Lionel Messi bei der Dopingprobe und schickte per Facebook einen Gruß: "Ich bin so stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein. Wie großartig alle sind, welch Partie sie gespielt haben, welch Wahnsinn! Wir sind im Finale, freuen wir uns. Es fehlt ein kleiner Schritt noch."

Das mit dem kleinen Schritt sieht sein Trainer freilich anders. "Ich habe große Bewunderung für den deutschen Fußball. Dieses Spiel wird extrem schwer", bekannte Sabella. Doch auch Kollege Joachim Löw hielt für eine erste Reaktion wertschätzende Worte parat: "In der Offensive haben sie überragende Spieler wie Messi und Higuaín. Argentinien ist defensiv stark, kompakt, gut organisiert."

Stärker, kompakter und besser organisiert jedenfalls als vor vier Jahren. In Kapstadt hatte Argentinien unter dem Trainer Maradona 0:4 im Viertelfinale gegen Deutschland verloren. Im Tor stand Sergio Romero. In diesem einen Spiel hatte er mehr Schüsse auf sein Tor bekommen als bislang im ganzen Turnier in Brasilien.

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