Die Geschichte ist nicht irgendwo passiert, sondern „im Land des Weltmeisters“, wie verschiedene Medien betonten – weil es ihr ein besonderes Gewicht verleiht. In Argentinien ist der Fußball heilig, und dann das: Ivan Buhajeruk, Spitzname „Spreen“, ein 24 Jahre alter Influencer mit rund 15 Millionen Followern, stand am Montag in der ersten Liga in der Startelf von Deportivo Riestra gegen Spitzenreiter Velez Sarsfield (1:1). Sein fußballerisches Können ist vermutlich überschaubar – das konnte man allerdings nicht begutachten, weil er nach einer guten Minute und ohne einen einzigen Ballkontakt wieder ausgewechselt wurde.
Eine PR-Geschichte, klar, und wer will sie Deportivo Riestra verdenken. Die erste Liga Argentiniens, die Liga Profesional de Fútbol, umfasst 28 Mannschaften, sodass man als Tabellenneunter mit einem Stadion für 3000 Zuschauer schon mal ein bisschen sogenannte Reichweite brauchen kann. Letztlich ist Fußball ja auch ein Unterhaltungsbetrieb, und Fußballer waren schon immer Influencer (z.B. Franz Beckenbauer: „Kraft in den Teller – Knorr auf den Tisch“). Und der ganze Schmarrn dauerte ja auch nur eine Minute. Also Schwamm drüber? Aus Sicht der Fußballpuristen natürlich nicht.
Der argentinische Verband beauftragte sein Ethikgericht, „mögliches Verhalten zu untersuchen, das dem Ruf der Integrität des argentinischen Fußballs schaden könnte“. Velez-Torjäger Braian Romero sprach von einer„falschen Botschaft an die Gesellschaft, an die Kinder, an diejenigen, die bis zum Schluss versuchen, es in den Profifußball zu schaffen“. Und der frühere Nationalspieler Juan Sebastian Veron, Präsident von Estudiantes de La Plata, kritisierte einen „völligen Mangel an Respekt gegenüber dem Fußball und den Fußballern“. Zudem leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein, ob es darum gegangen sei, „Spieler auf illegalen Plattformen anzulocken“. All das bringt Deportivo Riestra jetzt noch mehr Reichweite – bad news are good news, das gilt schließlich nicht erst seit Erfindung des Internets.
Auch in Deutschland vermischen sich die Welten der Fußballer und Influencer längst. Es gibt Youtuber, die im Stadion ihre Videos drehen – was traditionsbewusste Fans nervt. Es gibt die Fußballer, die zugleich Influencer sind (oder umgekehrt), wie Nader El-Jindaoui, der im Regionalliga-Kader von Hertha BSC II stand, vor rund einem Jahr aber auch mal für die Profis ran durfte. Mittlerweile ist er vereinslos, sein Vertrag wurde nicht verlängert. „Hertha war eine geile Zeit, bis ich mein Profidebüt gegeben habe. Alles, was danach abging, werde ich euch noch erzählen“, kündigte er an – natürlich bei Snapchat. Und dann gibt es die vor allem fürs Internetpublikum gestreamten Kleinfeldligen wie die von Toni Kroos und dem Influencer Elias Nerlich, in denen die Spieler oftmals mehr Geld und Ruhm erwartet als im gehobenen Amateurfußball.
Das kann man alles verwerflich finden, aber vermutlich nicht mehr aufhalten. Und es profitieren ja nicht immer nur die Influencer, sondern manchmal auch die Klubs, wenn sie Aufmerksamkeit brauchen – wie Deportivo Riestra. Vereine, die sich nach Reichweite sehnen, gibt es auch unter den grauen Mäusen in der Bundesliga. Und bei allem, was gerade so bei der TSG Hoffenheim los ist, werden dort bald für ein bisschen PR ja vielleicht in der Innenverteidigung „die Bachelors“ Sebastian Klaus und Dennis Gries eingewechselt – natürlich nur für zwei Minuten, bei einer sicheren Zwei-Tore-Führung.