Süddeutsche Zeitung

Arda Turan:Gescheiterter Ziehsohn

Der Türke Arda Turan spielte einst beim FC Barcelona, galt als der beste Fußballspieler seines Landes, Präsident Erdogan war bei seiner Hochzeit Trauzeuge. Nun droht ihm eine Gefängnisstrafe.

Von Tobias Schächter, München/Istanbul

Arda Turan nahm ganz außen auf der Ersatzbank Platz und scherzte mit seinen Mitspielern als wäre nichts geschehen. Erstmals nach einer Sperre von 16 Spielen, die später auf zehn reduziert wurde, stand der beste Fußballer der Türkei an diesem Samstag wieder im Kader seines Klubs Istanbul Basaksehir FK. Eingesetzt wurde der 31 Jahre alte Stürmer aber nicht beim 1:0-Sieg gegen Kayserispor, das Basaksehir auf den zweiten Tabellenplatz hinter Galatasaray katapultierte. Ungewöhnlich war Ardas Auftritt aber nicht deshalb, weil er nach seiner Sperre wegen der körperlichen Bedrohung eines Schiedsrichters wieder im Blitzlichtgewitter der Süperlig auftauchte. Nach den Vorfällen vergangene Woche in einem Istanbuler Nobelklub erschien Ardas Kadernominierung absurd. Aber Trainer Abdullah Avci meinte nur, Arda sei gut drauf. Doch der ehemalige Kapitän der türkischen Nationalmannschaft machte in den letzten beiden Jahren nur noch durch Skandale abseits des grünen Rasens Schlagzeilen. Und letzte Woche erreichte der tiefe Fall des türkischen Starkickers einen neuen Tiefpunkt.

Diskretion ist das Markenzeichen des "Gizli Kalsın". Das schätzen die Stars und Sternchen, die in diesen angesagten Laden im noblen Stadtteil Emirgan auf der europäischen Seite Istanbuls feiern. "Gizli Kalsın" heißt übersetzt "Es soll geheim bleiben". Und dennoch blieb nichts geheim, was sich Anfang vergangener Woche in diesem Klub abgespielt und Arda Turan eine Anklage wegen sexueller Belästigung, unerlaubten Waffenbesitzes und vorsätzlicher Körperverletzung eingebracht hat. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft fordert zwölfeinhalb Jahre Gefängnis für den 31 Jahre alten Fußballspieler.

An diesem verhängnisvollen Dienstag war neben Ardas Entourage auch der in der Türkei berühmte Popsänger Berkay Sahin, 36, mit seiner Frau und Freunden im "Gizli Kalsın". Laut türkischen Medienberichten entzündete sich ein Streit zwischen Arda und Berkay, nachdem der Fußballer die Frau des Sängers angemacht hatte. Diese habe ihrem Mann erzählt, Arda habe zu ihr gesagt, wenn er nicht verheiratet wäre, könnte er nicht an einer Frau wie ihr vorbeigehen. Es kam zu Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten, Arda brach Berkay schließlich mit einem Kopfstoß die Nase, worauf der Sänger ins Krankenhaus fuhr. Doch hier endet diese Geschichte nicht.

Arda folgte Berkay ins Hospital und wollte diesen - offenbar mit einer Pistole in der Hand - um Vergebung bitten. "Ich wusste nicht, dass das deine Frau war. Töte mich!", soll Arda zu Berkay gesagt haben. Dieser lehnte diese irre Bitte ab, die beiden stritten weiter und irgendwann hat sich dann ein Schuss gelöst. Warum ist nicht geklärt. Fakt aber ist: Arda wurde danach drei Stunden lang von der Polizei verhört, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen ihn. Und Berkay verklagte den Fußballer laut türkischen Zeitungen auf Schmerzensgeld in Höhe von einer Million Türkischer Lira, umgerechnet rund 150 000 Euro. Ardas Verein Istanbul Basaksehir FK verdonnerte den Profi zu der Zahlung der Rekordstrafe von 2,5 Millionen Lira und behält sich "weitere Strafen vor, solange die juristischen Schritte gegenüber unserem Spieler geprüft werden". Auch der FC Barcelona bekundete sein Missfallen über das Verhalten von Arda, der vom katalanischen Großklub an den kleinen, regierungsnahen Istanbuler Retortenverein ausgeliehen ist.

Recep Tayyip Erdogan war Arda Turans Trauzeuge

Offenbar hat Arda seinen Aufstieg zum Superstar nicht verkraftet. Erst wurde er geliebt und verhätschelt, später als neureicher Star verteufelt. In der Bewertung seiner Fußballer kennt die fußballverrückte Türkei nur die Extreme, mit Kritik können die Spieler nur schwer umgehen, immer wieder sind prominente Fußballer in Schlägereien und Skandale verwickelt.

Arda feierte seinen internationalen Durchbruch bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz, die Türkei scheiterte damals erst im Halbfinale an Deutschland, das Talent von Galatasaray war der gefeierte Ziehsohn von Trainer Fatih Terim. Doch deren Verhältnis ging während der EM 2016 in Frankreich in die Brüche. Arda, mittlerweile Kapitän der Nationalmannschaft, wurde von der Öffentlichkeit und den Fans als Sündenbock für das Vorrundenaus verhöhnt. Damals aber sprang ihm Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zur Seite und rügte jene, die ihn während der Vorrundenspiele auspfiffen.

Erdogan stand auch dann noch zu seinem Lieblingsspieler, als dieser ein Jahr nach der EM einen Journalisten würgte, der über hohe Prämienforderungen der Spieler während der EM in Frankreich berichtet hatte. Arda trat daraufhin beleidigt aus der Nationalmannschaft zurück, weil er nicht die Unterstützung vom Verband und von Terim spürte. Unter Mircea Lucescu feierte er dann ein umstrittenes Comeback. Der Ruhm stieg diesem Hochtalentierten endgültig zu Kopf, als er von Atlético Madrid zum FC Barcelona wechselte, den Durchbruch aber schaffte er an der Seite Messis nie.

Nun ist es einsam geworden um Arda. Auch Erdogan, im März noch Trauzeuge Ardas bei dessen schillernder Hochzeit, schweigt. Dass sich der ehemalige Fußballer und bekannte TV-Kommentator Ridvan Dilmen öffentlich von Arda distanzierte, ist kein gutes Zeichen für den tief gefallenen Spieler. Dilmen gilt als regierungsnah und Mentor der AKP-treuen Kicker um Arda und Stürmer Burak Yilmaz, der bei dem Vorfall im "Gizli Kalsın" anwesend war. Wie es mit der verkorksten Laufbahn Ardas weitergeht, hängt zuvorderst wohl von den juristischen Entwicklungen in seinem Fall ab.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2018
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