Süddeutsche Zeitung

Apnoetauchen:Bis die Lippen grau und das Blut dunkel sind

  • Beim statischen Apnoetauchen versuchen die Athleten, möglichst lang unter Wasser zu bleiben.
  • Das führt sie an Grenzen.
  • "Unser Körper kann viel mehr als wir ihm zutrauen", sagt Robert Woltmann vom Verein Freedive Munich.

Von Thomas Gröbner

Wenn die Zeit plötzlich rast, und die Augen nichts mehr halten können, dann weiß Heike Schwerdtner, dass ihr jetzt nur noch Sekunden bleiben, um aufzutauchen. Mit dem Gesicht unter Wasser an der Oberfläche liegen, den Hunger nach Luft ignorieren, die Signale ihre Körpers zu deuten - darin ist sie gut. Die Regensburgerin ist Deutschlands beste Statik-Taucherin. Wenn ihr der Tauchgang gelingt, dann träumt sie vor sich hin, sie liegt bewegungslos im Wasser, denn jede Regung kostet Sauerstoff. Als treibe eine Ertrunkene im Becken, umringt von Zuschauern. Bei der EM in Istanbul am vergangenen Wochenende wurde sie Fünfte im Statik-Tauchen, im Streckentauchen mit den Flossen verbessert sie den deutschen Rekord auf 150 Metern.

Die 49-Jährige bestritt früher Schwimmwettkämpfe und war dann Kunstspringerin und Tauchlehrerin. "Ich trockne aus, wenn ich nicht im Wasser bin", sagt Schwerdtner. Für sie ist das Apnoetauchen ohne Sauerstoffgerät die "Urform", und das statische Tauchen auf das Elementare reduziert. Es geht in diesem Sport nicht um Tiefe oder Schnelligkeit. Sondern darum, die Zeit auszuhalten. Ihr deutscher Rekord liegt bei 6:31 Minuten, der Weltrekord bei den Männern sogar bei 11:35. Rekordhalter im Luftanhalten, das gilt unter Tauchern nicht als Herabsetzung, die besten Statiker seien 40, 50 Jahre alt, sagt Schwerdtner, weil sich der Stoffwechsel im Alter verlangsamt.

Wie lange dauert es, bis der Reflex zu atmen übermächtig wird?

Ein kleiner Test: Ein Blick auf die Uhr, Einatmen, Luft anhalten. Wie lange dauert es, bis der Reflex zu atmen übermächtig wird? "Drei Minuten schafft jeder gesunde Mensch", sagt Peter Durdik. Er muss es wissen, er ist Vizeweltmeister im Luftanhalten, er trainiert im Münchner Verein Freedive. Durdik nennt es: "Den Körper überzeugen, dass er jetzt nicht ertrinkt."

Wettbewerbe beim Apnoe-Tauchen

Streckentauchen: Mit oder ohne Flossen werden möglichst lange Strecken zurückgelegt.

Statik: Bei dieser Disziplin geht darum, möglichst lange unter Wasser zu bleiben.

Tieftauchen: Entlang eines Seils wird möglichst tief getaucht, es können je nach Disziplin Flossen oder Gewichte eingesetzt werden.

No Limit: Ein Tauchschlitten zieht die Athleten mit großer Geschwindigkeit in die Tiefe, bis über 200 Meter. Ab 2020 will der deutsche Tauchverband AIDA keine Rekorde mehr in dieser Disziplin anerkennen.

Nichts ist dem Menschen vertrauter als zu atmen. Vielleicht liegt auch darin die Faszination, sich selbst das Notwendigste zu verweigern, bis alles weich und leicht wird, am Rande der Ohnmacht und dahinter. Wer an die Grenzen gehen will, muss sie auch hin und wieder überschreiten, so ist das beim Freitauchen. "Es zieht Menschen an, die ein besonderes Gefühl suchen, die etwas ausloten wollen", glaubt Robert Woltmann. Der 40-Jährige hat den Verein Freedive Munich mit gegründet. Sie treffen sich jede Woche in einem Münchner Schwimmbad mit dem Charme der Siebziger, neben dem Becken lässt eine Palme ihre Blätter hängen. Die Neulinge halten sie am Beckenrand fest und tragen Schwimmbrillen und Nasenklemmen. "Die Atemsteuerung im Gehirn kannst du trainieren wie einen Muskel", sagt Woltmann.

Mit einer riesigen Flosse tauchen Frauen und Männer durchs Becken wie ein Schwarm Meerjungfrauen. Nun man kann nicht sagen, das Freitauchen in Deutschland erlebe einen Boom. Der Münchner Verein hat 70 Mitglieder. Aber es werden langsam mehr, die dann auch im Starnberger See, oder im 42 Meter tiefen Pool in Italien, dem Y-40 in Montegrotto, trainieren. Dann, wenn es in die Tiefe geht, müssen die Taucher noch sorgsamer darauf achten, wie ihr Körper reagiert.

"Wenn es sich alles leicht anfühlt, ist es gefährlich", sagt Woltmann. Dann steige die Gefahr für einen Blackout. "In diesem Graubereich passieren dann merkwürdige Dinge", sagt Robert Woltmann. Ein Vorbote: der "Samba". Unkontrollierte Zuckungen, weil das Kleinhirn mit Sauerstoff unterversorgt wird, das für die Koordination wichtig ist. In der Fachsprache heißt es "Loss of motor control". So als würde man tanzen. "Oder als wäre man besoffen." Manchmal schafft es Woltmann noch raus aus dem Wasser, bevor der Blackout eintritt. Manchmal nicht.

Gültig ist ein Tauchgang aber nur, wenn er bei Bewusstsein beendet wird. Deshalb gibt es ein "Oberflächenprotokoll", das die Taucher absolvieren müssen. 15 Sekunden haben sie für die vorgegebenen Handgriffe Zeit: die Schwimmbrille abziehen, die Nasenklammer abnehmen, atmen, Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis formen und die Worte "I am o.k." aussprechen. Der Trainer darf dabei nicht eingreifen. Es laufen Kameras mit, es gibt den Videobeweis.

Die Lippen erst grau, dann blau

Warum viele Menschen schon nach wenigen Momenten panisch nach Luft schnappen, wenn sie unter Wasser sind? "Das Gefühl, zu ersticken, ist einfach eine falsche Interpretation", sagt Woltmann. Der Druck in der Brust, der komme nicht vom Sauerstoffmangel, sondern vom Kohlenstoffdioxid, das sich im Blut sammele, erklärt Woltmann, der Durdik oft als Trainer begleitet. Während der Körper noch mit Sauerstoff versorgt ist, steigt der CO₂-Anteil im Blut, worauf der Körper mit einem Atemreiz reagiert. Wenn der Sauerstoff tatsächlich knapp wird, werden die Fingernägel und die Lippen erst grau, dann blau. Es ist die Hypoxie, der Sauerstoffmangel im Gewebe, der so durch die Haut scheint. Wenn Hämoglobin, der Blutfarbstoff, nur noch wenig Sauerstoff bindet, dann wird das Blut dunkel oder bläulich.

Darauf schauen die Trainer beim Wettkampf, sie stehen neben dem Taucher, beobachten Hände und Hals. Im besten Fall ist der Trainer so etwas wie ein Spiegel für den Taucher, der ihm Veränderungen meldet und ihn rettet, wenn er die Signale falsch deutet. Denn wenn dann niemand da ist, kann das den Tod bedeuten. "Niemals alleine tauchen" ist deshalb der Leitspruch, sagt Woltmann. "Unser Körper kann aber viel mehr, als wir ihm zutrauen."

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Quelle:
SZ vom 29.06.2019/sonn
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