Neulich beim Testspiel der Nationalelf in Dänemark geriet Verteidiger Antonio Rüdiger, 24, in eine schwierige Situation. Sein Mitspieler Matthias Ginter hatte ihm aus der Not heraus einen Ball zugespielt, der die Not in potenziertem Ausmaß an Rüdiger weitergab. Das Gefühl, in der Klemme zu stecken, ließ sich an den riesig aufgerissenen Augen ablesen: Rüdiger stand im Strafraum und sah einem Pass entgegen, der kaum zu kontrollieren war. Schließlich entfernte er den springenden Ball mit dem Kopf - und bediente dadurch den Dänen Christian Eriksen, der das 1:0 schoss.
Nun, zwölf Tage später in Sotschi am Schwarzen Meer, machte Antonio Rüdiger wieder sehr große Augen. Nicht auf dem Fußballplatz, sondern in einem Saal des Mannschaftshotels. Soeben hatte ein russischer Reporter den beim AS Rom beschäftigten deutschen Nationalspieler gefragt, ob er in Italien Kurorte kenne, die mit Sotschi vergleichbar wären, und augenblicklich äußerte sich wahres Entsetzen in Rüdigers Mienenspiel: Zwar hatte er höchstens die Hälfte der Frage verstanden, doch er erkannte schnell, dass ihn die Antwort auf heikles, womöglich hochpolitisches Terrain führen würde. Diesmal fand er einen souveränen Ausweg aus der Klemme. "Sotschi für sich ist schön", erklärte er, aber Rom sei um einiges schöner, weil es nun mal Rom sei - eine Parteinahme, die den russischen Nationalstolz nicht zu arg verletzt haben sollte.
In Italien nennen sie ihn Toni oder Rudi
Seit zwei Jahren ist Rüdiger beim AS Rom tätig. Er wird dort sehr geschätzt, man nennt ihn entweder Toni oder Rudi, einerseits wegen seines Nachnamens, andererseits wegen Rudi Völler, der fünf Jahre bei der Roma gespielt hatte und immer noch als Held verehrt wird. Die Anerkennung für den beim VfB Stuttgart ausgebildeten Abwehrmann ist so hoch, dass ihn der neue, aus Sevilla hinzugekommene Sportdirektor Monchi für "unverkäuflich" erklärte. Gerüchtehalber hatte es geheißen, dass er seinem von Inter Mailand abgeworbenen Cheftrainer Luciano Spalletti folgen sollte. Dank Monchis Klarstellung sei nun zu dem Thema alles gesagt, erklärte Rüdiger in Sotschi kurz und bündig, denn er ist kein Fußballprofi, der für den Vortrag von Volksreden bekannt ist.
Kommt das Gespräch hingegen auf die Reaktionen, die er wegen seiner Hautfarbe zu hören bekommt, wird aus dem eher einsilbigen Antonio Rüdiger ein Mann der klaren und entschlossenen Worte. Der 24-Jährige, dessen Mutter aus dem westafrikanischen Sierra Leone stammt, macht in Italiens Stadien, wie er sagt, regelmäßig Erfahrungen mit Rassismus. Das enttäuscht ihn umso mehr, weil dieser Rassismus alltäglich geworden ist. Es gebe zwar Plakataktionen, aber wenn er während der Spiele von Zuschauern durch Affenlaute und andere rassistisch motivierte Beleidigungen verfolgt werde, dann gebe es keine Strafen durch den Verband oder die Liga. "Ich finde das unverständlich", sagt er. Dass die Fifa beim Confed Cup im Falle fortgesetzter rassistischer Verstöße auf den Tribünen mit Spielabbruch durch den Schiedsrichter droht, das hält er für richtig.
Sein Vorschlag: "Der Schiedsrichter sollte den Stadionsprecher auf das Vorgefallene ansprechen, damit es eine Warnung geben kann", und wenn dies nicht helfe, dann sollte das Spiel beendet werden. Man könne das Problem nicht dadurch lösen, dass man den Spielern, die ständigen Schmähungen ausgesetzt seien, zu Gelassenheit und partieller Taubheit rate. "Es ist leicht zu sagen: bleib ruhig" - aber wie könne jemand in so einer Situation ruhig bleiben?

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Eine Rückkehr nach Deutschland? Steht nicht zur Debatte
Trotz der schlechten Erfahrungen fühlt sich Rüdiger in der italienischen Serie A gut aufgehoben. Die Liga werde gerade wieder besser; das Geld, das chinesische Geschäftsleute gerade in die beiden Mailänder Klubs stecken, werde dem Wettbewerb gut tun, glaubt er.
Eine Rückkehr nach Deutschland steht auch daher nicht zur Debatte, weil ihn der Bundestrainer eh nie vergisst, wenn er einen Länderspielkader zusammenstellt. In den Verteidiger Antonio Rüdiger investiert Joachim Löw seit Jahren Vertrauen und Phantasie. Unter anderem setzte er ihn schon mehrfach als Rechtsverteidiger ein - ein Experiment, das mangels Tauglichkeit als beendet angesehen werden darf. In der Abwehrmitte kommt der schnelle und athletische Rüdiger besser zur Geltung.

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Doch auch dieser starke Mann hat seine Schwachstellen, wie er selbst gesteht. Gefragt, ob er am freien Nachmittag in Sotschi aufs Riesenrad steigen möchte, gab er bekannt, dass er genau dies auf gar keinen Fall tun werde. "Ich habe mit Riesenrädern nichts zu tun", sagte er, nicht weil er Angst habe, sondern: "Ich trau´ mich einfach nicht."