Süddeutsche Zeitung

Premier League:Schimpfen wie einst Trapattoni

Ein wütender Trainer auf den Spuren seines Landsmannes: Tottenhams Antonio Conte setzt zu einer furiosen Tirade an - es geht gegen seine Spieler und gegen die Klubführung.

Von Sven Haist, London

Wann immer der Trainer Antonio Conte Tottenham Hotspur verlassen wird, in ein paar Tagen, am Saisonende oder wider Erwarten in ferner Zukunft - er hat seinem Klub schon jetzt einen memorablen Augenblick beschert. Allerdings nicht die erste Premier-League-Meisterschaft oder irgendeine andere Trophäe für das seit 15 Jahren titellose Tottenham. Sondern eine knapp zehnminütige Wutrede, die der legendären "Ich-habe-fertig"-Tirade seines italienischen Landsmanns Giovanni Trapattoni ziemlich ähnlich sah.

Vor genau 25 Jahren hatte Trapattoni beim FC Bayern unsterbliche geflügelte Worte geschaffen, indem er sich selbst verteidigte ("Ein Trainer ist nicht ein Idiot") sowie mit einzelnen Spielern ("Was erla­uben Struuunz?") und der Mannschaft abrechnete ("Schwach wie eine Flasche leer"). In vergleichbarem Stil machte am Samstag Conte angestautem Ärger Luft, er lederte gegen sein Team und die Klubführung. Dies hatte sich bereits in den Vorwochen angedeutet, als die Spurs zunächst im FA-Cup am Zweitligisten Sheffield United scheiterten und dann im Achtelfinale der Champions League am AC Mailand.

Das Fass zum Überlaufen brachte nun das 3:3 in der Liga beim Tabellenletzten Southampton, bei dem Tottenham in der Schlussphase einen 3:1-Vorsprung verspielte, auch wegen eines fragwürdigen Elfmeters in der Nachspielzeit. Damit könnten die noch viertplatzierten Spurs im Fernduell um die Königsklassen-Qualifikation bald von Newcastle United überholt werden - in Summe viel zu wenig für den erfolgsverwöhnten Conte, der immerzu um Titel mitspielen will. Doch dieser Wunsch hat sich seit seiner Ankunft in Tottenham Ende 2021 nicht erfüllt. Stattdessen muss Conte ständig unliebsame Ergebnisse erklären, die an seiner Ehre kratzen - und jetzt platzte ihm der Kragen.

Nach Abpfiff hielt Conte zunächst dem Schiedsrichter eine Standpauke, dann folgte in der Pressekonferenz ein Rundumschlag, der in dieser Form in der Premier League seinesgleichen sucht. Bisher, setzte Conte an, habe er die Situation zu verbergen versucht, aber jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um "das Problem" zu benennen: den Teamspirit und die Einstellung.

Conte sieht "egoistische Spieler" ohne "Feuer in den Augen", die "nicht unter Stress" geraten wollen

Wofür solle man zehn Spieltage vor Ende kämpfen, etwa um den "siebten, achten oder zehnten Platz?", echauffierte sich Conte. Er sei als Trainer "solche Positionen" in der Tabelle nicht gewohnt und habe eine dermaßen schwache Leistung wie am Samstag "erstmals in meiner Karriere" erlebt: "Das ist nicht akzeptabel." Seine Profis hätten "erneut" gezeigt, dass sie "keine Einheit" seien und "nur für sich selbst spielen", schäumte der 53-Jährige. Er sehe "egoistische Spieler", die "nicht mit dem Herzen bei der Sache" seien. Mit "Feuer in den Augen" hätte man gegen Southampton gewonnen und wäre "sicherlich nicht" im FA-Pokal ausgeschieden.

Auf die Nachfrage eines Reporters, ob der Mangel an Einsatz mit seinem im Sommer auslaufenden Vertrag zusammenhängen könnte, verschärfte Conte nochmals den Ton. Die Medien würden "Alibis für die Spieler suchen", wetterte er: "Ok, macht weiter so! Sucht nach Ausreden. Ausreden, Ausreden, Ausreden! Schützt sie jedes Mal! Bah!" Die Mentalität des Teams sei "wirklich, wirklich desolat", bilanzierte der Coach - und habe sich im Vergleich zur Vorsaison sogar verschlechtert.

Bloß, warum nur? Weil die Spieler dies "gewohnt" seien, mutmaßt Conte: "Sie wollen um nichts Wichtiges spielen. Sie wollen nicht unter Druck spielen, nicht unter Stress." Während seiner vernichtenden Einschätzungen fing Conte auf einmal an, sich selbst über seine Wortwahl zu amüsieren. Er konnte sich ein kurzes Lachen nicht verkneifen, doch die Situationskomik konnte auch anders interpretiert werden: als mache er sich über seine Spieler lustig - und über seinen Klub.

Denn der Italiener fuhr fort, der einfache Weg repräsentiere "die Geschichte von Tottenham". Seit mehr als 20 Jahren habe der Klub "denselben Eigentümer" - Joe Lewis, der zusammen mit Klubchef Daniel Levy die Vereinsanteile hält - aber "noch nie etwas gewonnen" (außer dem Ligapokal 2008). Die Ursache für Conte? Die Medien in England würden häufig die Position des Trainers "schwächen", aber "die andere Seite (die Klubführung) jederzeit" schützen.

Die fehlende Substanz in Tottenhams Kader scheint allerdings weniger den zuletzt stattlichen Investitionen in Zugänge anzulasten zu sein als der Qualität der Transfers. Im Sommer verpflichteten die Spurs unter Conte Spieler für rund 170 Millionen Euro, von denen sich kaum einer als Verstärkung erwies, darunter der meist verletzte Angreifer Richarlison. Für die eigenen Ansprüche reicht die Zahl an Topspielern bei weitem nicht aus, einzig das Sturm-Duo Harry Kane und Heung-min Son steht für internationale Elite. So haben es sich viele Profis über die Jahre offenkundig zu bequem gemacht in einem Umfeld, in dem das neue Trainingsgelände und Stadion jeweils höchsten Standards entsprechen. Das Massenblatt Sun titelte in einem Wortspiel mit dem Namen des Trainers treffend: "Con Men" - Hochstapler!

Wie es nun weitergeht in Tottenham? Der Klub könne wie immer "den Trainer wechseln", kokettierte Conte mit seiner Ablösung, aber dies würde die Lage "nicht" ändern: "Glaubt mir!", rief er noch. Dann stand er auf, bedankte sich bei den Zuhörern ("Thank you very much") und verließ den Presseraum. P.S.: Nach Trapattonis Wutrede endete dessen Zusammenarbeit mit dem FC Bayern wenig später, am Ende der Saison.

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