NFL-Profi Antonio Brown:Wenn der Schmerz zu groß wird

NFL-Profi Antonio Brown: Genug: Tampa Bays Wide Receiver Antonio Brown verlässt im dritten Viertel die Partie gegen die New York Jets - nachdem er sich zuvor seiner Ausrüstung größtenteils entledigt hat.

Genug: Tampa Bays Wide Receiver Antonio Brown verlässt im dritten Viertel die Partie gegen die New York Jets - nachdem er sich zuvor seiner Ausrüstung größtenteils entledigt hat.

(Foto: Andrew Mills/AP)

Die Karriere von Antonio Brown ist durchzogen von Skandalen. Nachdem der Passempfänger der Tampa Bay Buccaneers eine NFL-Partie einfach verlassen hat, flog er aus dem Team - und erhebt nun schwere Vorwürfe gegen seinen Arbeitgeber.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es waren bemerkenswerte Szenen, die sich am vorigen Wochenende rund um den Footballer Antonio Brown abspielten. Während der Partie seiner Tampa Bay Buccaneers bei den New York Jets riss sich der Passempfänger Schutzkleidung und Trikot vom Leib, und er verließ das Spielfeld mit nacktem Oberkörper und unter wilden Schimpftiraden. Die Debatten dazu sind heftig, Brown hält dem Verein vor, ihn trotz Verletzung aufs Feld geschickt zu haben, der Klub widerspricht - und nach der Entlassung am Donnerstag dürfte Brown vorerst wohl keinen neuen Verein finden. Denn die Liste der Eskapaden und Verfehlungen ist derart lang, dass sein Desertieren auf der Skandal-Skala lediglich im Mittelfeld auftaucht.

Es geht jedoch um mehr, um Geld, geistige Gesundheit und die Betrachtung und Behandlung von Profis - nicht nur im Football. Die Akte Brown ist eine, die in vielerlei Hinsicht ein Schlaglicht auf die Gepflogenheiten des Profisports wirft.

Dabei hätte die Karriere schon am 9. Januar 2016 vorbei sein können. An jenem Tag erlebte Brown, damals bei den Pittsburgh Steelers unter Vertrag und der vermutlich beste Receiver der Liga, einen Zusammenstoß mit Vontaze Burfict von den Cincinnati Bengals. Er lag auf dem Spielfeld, als hätte ihn ein Bus überfahren. Diagnose: Gehirnerschütterung. Es war eine gezielte, gemeine Attacke des einschlägig bekannten Burfict in den letzten Sekunden der Partie.

Brown war lange das gewesen, was man im Profisport eine "schillernde Diva" nennt; er erschien etwa im Heißluftballon zum Training. Seine Eskapaden abseits des Spielfelds erhöhten seinen Marktwert sogar, weil er wegen seiner dokumentierten Arbeitsmoral sportlich unantastbar war. Die Steelers machten ihn 2017 zum höchstbezahlten Passempfänger der NFL (68 Millionen Dollar für vier Jahre).

Die Liste der Vorwürfe gegen Brown reicht von Beleidigung bis Vergewaltigung. Lange schien er unantastbar zu sein

Doch hatte sich zu diesem Zeitpunkt Browns Verhalten von schillernd zu erratisch verschoben, und offenbar auch zu kriminell. Die Liste der Verfehlungen seit diesem Foul von Burfict Anfang 2016: Er habe Leute um Geld betrogen, hieß es; rassistische und sexistische Äußerungen ("Cracker" für hellhäutige Menschen oder "Bitches" für Frauen) seien für ihn so selbstverständlich wie Wutanfälle mit aus dem Fenster geworfenen Möbeln. Dazu Vorwürfe häuslicher Gewalt gegenüber der Mutter seiner Kinder, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung einer Physiotherapeutin.

NFL-Profi Antonio Brown: Was auch immer er abseits des Spielfelds tat: Sportlich war Antonio Brown stets unumstritten.

Was auch immer er abseits des Spielfelds tat: Sportlich war Antonio Brown stets unumstritten.

(Foto: Mark Lomoglio/dpa)

Tom Brady, Spielmacher der Buccaneers, nannte Brown in einem Atemzug mit berühmten Sportlern, die Probleme mit geistiger Gesundheit offen ansprachen, und er sagte: "Ich habe Mitgefühl für das, was in seinem Leben passiert. Ich werde alles tun, ein guter Freund zu sein und ihn zu unterstützen bei den schwierigen Dingen, die er durchmacht. Jeder sollte ihm die Hilfe zukommen lassen, die er tatsächlich braucht."

Es drängt sich die Frage auf: Warum hat das bislang niemand getan?

Die Steelers schickten ihn 2019 erst fort, als er nach einem Streit beim Training mit Spielmacher Ben Roethlisberger nicht zur letzten Partie der regulären Saison erschienen war. Die Oakland Raiders duldeten eine Auseinandersetzung mit der Liga über den Helm und verpasste Trainingseinheiten wegen erfrorener Füße in einer Kältekammer. Erst nach rassistischen Beleidigungen gegenüber Manager Mike Maycock entließen sie ihn - und mussten wegen des Zeitpunkts keinen Cent des 50-Millionen-Dollar-Vertrages zahlen. Die New England Patriots trennten sich, als es wegen der Enthüllungen über sexuelle Nötigung keine andere Möglichkeit mehr gab. Und die Buccaneers sahen in dieser Saison über einen gefälschten Impfpass hinweg.

Man habe ihn behandelt wie ein Pferd, das erschossen wird, sobald es nicht mehr laufen kann, klagt Brown

Der rote Faden: Brown wurde immer erst dann zur persona non grata, wenn er den sportlichen Erfolg gefährdete oder es keine andere Möglichkeit mehr gab.

Die NFL kümmert sich mittlerweile gut um die Gesundheit ihrer Spieler, auch um die geistige. Allerdings sind die finanziellen Aspekte des Reglements noch immer so gestaltet, dass die Akteure wie Spielfiguren auf einem Monopoly-Brett wirken. Oft ist nur ein Bruchteil des Gehalts garantiert, wie der Vertrag von Brown zeigt: Er hätte in dieser Spielzeit noch acht gefangene Pässe, 55 Yards Raumgewinn und einen Touchdown gebraucht, um insgesamt einen Bonus von einer Million Dollar zu bekommen; weil er fürs vergangene und kommende Wochenende kein Gehalt erhält - das Salär wird auf absolvierte Partien verteilt -, fehlen zudem mehr als 100 000 Dollar.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Brown veröffentlichte nun ein Statement mit heftigen Vorwürfen. Er sei mit einer Verletzung am Knöchel gegen die Jets aufgelaufen: "Sie haben mir ein starkes und bisweilen gefährliches Schmerzmittel injiziert, vor dem die Spielergewerkschaft warnt." Während der Partie habe er gemerkt, dass er nicht weiterspielen könne; das habe der Verein jedoch nicht akzeptiert: "Nicht ich habe aufgehört, die haben mich wie ein Tier rausgeworfen." Sie hätten ihn behandelt wie ein Pferd, das erschossen wird, sobald es nicht mehr schnell genug laufen kann.

Die Buccaneers widersprachen: Vielmehr sei es beim Streit an der Seitenlinie darum gegangen, dass Brown häufiger angespielt werden wollte - womöglich, um all die Boni-Voraussetzungen zu erfüllen.

Niemand sieht derzeit gut aus bei diesem Fall. Weder Brown, der nun selbst zugibt: "Es gibt Dinge, an denen ich arbeiten muss." Noch die Vereine, die sich nicht um seine gesundheitlichen Probleme gekümmert haben, so lange der Profi für sie von Nutzen war, allen voran die Buccaneers, denen nun nicht nur vorgeworfen wird, Brown verletzt aufs Spielfeld geschickt zu haben, sondern dessen geistige Gesundheit zu missbrauchen, um von eigenen Fehlern abzulenken.

Brown übrigens ist davon überzeugt, dass seine Karriere im Alter von 33 Jahren keineswegs vorbei ist. Er wolle sich nun am Knöchel operieren lassen und sei zur kommenden Saison wieder einsatzbereit: "Das Geschäft wird brummen." Dieser letzte Satz verdeutlicht, was Profisport wirklich ist: kein Spiel, kein Spaß, sondern ein knallhartes Geschäft.

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