Anti-Doping-Kampf:Fläschlein, öffne dich nicht

Urinproben im Doping Labor in Kreischa

Die neuen Fläschchen für Dopingtests sollten manipulationssicher sein - als Folge des Sotschi-Skandals 2014. Nun zeigt sich: Sie sind es nicht.

(Foto: imago)

Wenige Tage vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Pyeongchang versinken das IOC und die Wada im Chaos. Die Flaschen mit den Dopingproben sind manipulierbar, das Anti-Doping-System steht mal wieder in Frage. Wie soll es jetzt weiter gehen?

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Die Flaschen, die den Weltsport derzeit in so gewaltigen Aufruhr versetzen, sind nicht sonderlich groß. Fünf Zentimeter breit, fünf Zentimeter lang, 13 Zentimeter hoch, so lauten die offiziellen Angaben des Herstellers, obendrauf noch ein Ring und ein stattlicher Deckel: So sehen sie aus, die Behälter, in denen die Dopingproben aufbewahrt werden. In ihrer neuesten Version gibt es die Flaschen erst seit September 2017, und jetzt sind sie die Ursache für extreme Zweifel an der Integrität des aktuellen Anti-Doping-Systems.

Zu Wochenbeginn wurde bekannt, dass sich zumindest manche dieser Flaschen nach Abgabe einer Probe unbemerkt öffnen und wieder verschließen lassen. Ergo: Sie lassen sich manipulieren. Betrüger dürfen jubilieren, saubere Athleten müssen fürchten, Opfer einer Intrige werden zu können. Entsprechend stecken die Institutionen des Weltsports wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) kurz vor den Winterspielen in Pyeongchang im großen Flaschenchaos. Und neben all den gravierenden Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit des Kontrollsystems stellt sich nun auch noch diese Frage: wie korrekt zuletzt der Umgang mit Informationen über die Sicherheitslücke war.

Gut zu wissen für Betrüger: Fest zudrehen - Flasche kaputt

Der konkrete Ablauf liegt noch im Dunkeln, und die Darstellungen der Beteiligten sind in Teilen widersprüchlich. Offenkundig ist die Lücke schon länger und einem breiteren Kreis bekannt. Es gehört zum Standard der insgesamt 34 Wada-akkreditierten Labore, dass sie bei den Tests überprüfen, ob die Flaschen korrekt verschlossen sind. Wenn irgendetwas nicht stimmig ist, müssen sie das eigentlich sofort der Wada sowie dem Auftraggeber der Probe melden. Bereits im Dezember soll es nach SZ-Informationen in einem Labor eine erste Auffälligkeit bezüglich der neuen Flaschen gegeben haben; und schon Anfang und Mitte Januar sollen sich Labor-Mitarbeiter darüber ausgetauscht haben, dass es in gehäufter Form vorkam.

Der Flaschen-Hersteller, die Schweizer Firma Berlinger, teilt auf eine SZ-Anfrage hin mit: Man habe am 15. Januar eine Meldung des Kontrolllabors Köln erhalten, dass es Probleme gebe. Bereits am 17. Januar habe man die Wada informiert, teilt Berlinger weiter mit. Die Wada hingegen hatte in einer Mitteilung erklärt, dass sie am 19. Januar auf das Problem aufmerksam gemacht worden sei, und zwar durch das Kölner Labor. Darauf habe sie sich an das Labor und Berlinger gewandt, um die Fakten zu ermitteln. Die Wada beantwortete eine Frage zum abweichenden Datum ebenso wie andere Fragen zum konkreten Ablauf nicht. Berlinger erklärte zudem, dass es ab dem 22. Januar durch vier weitere Labore, Test-Firmen und/oder nationale Anti- Doping-Agenturen (Nados) direkte Meldungen über ähnliche Schwierigkeiten gegeben habe.

Das Problem war also offenkundig klar. Dennoch teilen mehrere Nados mit, dass sie von der Wada keine Informationen über das mögliche Problem erhalten hätten. Das IOC wiederum wurde nach eigener Auskunft am 25. Januar von der Wada informiert. Und erst am 28. Januar verschickte die Wada eine Erklärung, in der es die Öffentlichkeit über eine laufende "Integritätsprüfung" informierte: Da stand ein ARD-Beitrag zum Thema Doping kurz vor der Veröffentlichung. Teil dieses Films war ein Experiment, in dem die Journalisten zeigten, wie sie selbst nach einer 72-stündigen Lagerung der Flaschen im Kühlschrank die Verschlüsse einiger Behälter öffnen konnten.

Circa 15 bis 20 Prozent der neuen Flaschen, so heißt es jetzt, ließen sich öffnen. Einen Grund kann noch keiner nennen. Der Hersteller Berlinger weist die Schuld von sich: "Werden die Flaschen gemäß der Benutzeranleitung eingesetzt, treten keine Probleme auf. Wir haben jedoch auch in Labors gesehen, dass die Flaschen nicht korrekt verschlossen worden sind, zum Beispiel mit zu hoher Kraftanwendung." Das ist nun eine besonders nette Möglichkeit für Betrüger: Nur einmal mit Schmackes den Verschluss zudrehen, und schon wäre die Flasche später zu manipulieren.

Für den Anti-Doping-Kampf ist die Situation ein Desaster. Alle Proben, bei denen die neuen Behälter zum Einsatz kamen, müssen nun als manipulationsanfällig gelten - quer durch alle Sportarten. Wer in diesen Tagen als Athlet eine Probe abgibt, kann diese wohl anzweifeln. Und bis zum Beginn der Winterspiele in Pyeongchang am 9. Februar bräuchte es dringend eine Lösung, damit diese nicht von vornherein als Witzveranstaltung gelten. Das IOC teilte jedenfalls mit, es sei "sehr besorgt".

Entsprechend große Betriebsamkeit herrscht gerade bei den Institutionen und dem Hersteller. "Gegenwärtig testen wir gerade eine verbesserte Verschluss-Mechanik, welche der Kontrollperson ein besseres Gefühl vermittelt, ob die Flasche richtig verschlossen ist", teilt Berlinger mit. Mario Thevis vom Kölner Kontrolllabor verweist im ZDF auf "Notfallpläne". Aber wie die genau aussehen, mag derzeit keiner sagen. Und die Zeit bis zum Beginn der Spiele ist knapp. Deswegen dürfte es schwierig sein, gänzlich andere Ansätze wie zum Beispiel die Verwendung von Flaschen anderer Hersteller umzusetzen. Als eine Option gilt offenkundig, auf jene Behälter zurückzugreifen, die nach dem Aufdecken des staatlich orchestrierten Urinaustausches bei den Winterspielen in Sotschi entwickelt worden waren und die bis Herbst 2017 eingesetzt wurden.

Aber auch in diesem Fall gäbe es sofort Fragen. Denn die ARD dokumentierte in dieser Woche, wie sich diese Behälter so kopieren lassen, dass es nicht einmal die Mitarbeiter von Wada-akkreditierten Laboren bemerkten. Und Laborchef Thevis konstatiert: "Man muss festhalten, dass wahrscheinlich kein System manipulationssicher sein kann."

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