Anti-Doping:"Vielleicht könnte im angeblich sauberen Sport ein Riss entstehen"

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Seit 2015 gibt es in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz. (Foto: Getty Images)

Seit 2015 gibt es das Anti-Doping-Gesetz. Oberstaatsanwalt Kai Gräber spricht über Treffen mit Sportlern am Bahnhof und darüber, welche Instrumente er für effektive Ermittlungen bräuchte.

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Lange mussten dopende Spitzenathleten in Deutschland keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten. Der organisierte Sport wehrte sich vehement gegen ein Anti-Doping-Gesetz, und die Politik folgte diesem Ansinnen. Es gab zwar ein Arzneimittelgesetz, das aber den Besitz verbotener Substanzen erst ab einer bestimmten Menge unter Strafe stellte. Seit Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes im Dezember 2015 ist der Besitz unabhängig von der Menge verboten - allerdings nur für circa 7000 Spitzen-, nicht für Breitensportler. Heute gibt es drei Staatsanwaltschaften mit Doping-Schwerpunkt, in München leitet Oberstaatsanwalt Kai Gräber, 53, die Abteilung, zu der vier weitere Experten zählen. Er berichtet von 700 bis 1000 Verfahren mit Dopingbezug pro Jahr - aber nur wenigen, die den Spitzensport betreffen.

SZ: Herr Gräber, seit 2015 gibt es in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Ist es wirksam?

Kai Gräber: Es kommt darauf an. Das Gesetz hat schon Verbesserungen gebracht, wenn ich nur daran denke, dass der Besitz für Spitzensportler vom ersten Milligramm an strafbar ist. Aber die Zahlen sind gegenüber den Zeiten des Arzneimittelgesetzes gleich hoch geblieben. Wir haben das Gesetz angewendet, wir haben auch Verurteilungen erzielt. Aber eben nicht im Spitzensport, also dem Bereich, auf den die Verbesserungen des Anti-Doping-Gesetzes gezielt haben.

Dabei gibt es im Spitzensport ein großes Problem bei diesem Thema. Die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada überführt jedes Jahr nur ein paar Dutzend Fälle. Aber in anonymisierten Umfragen wie vor einigen Jahren von der Sporthilfe-Stiftung räumten sechs Prozent der Kaderathleten Dopingkonsum ein; 40 Prozent beantworten diese Frage gar nicht.

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Für uns hat sich, auf den Spitzensportbereich bezogen, eigentlich nichts geändert. Wir haben ein gesetzliches Instrumentarium dazubekommen, das in Teilbereichen ergänzungsfähig ist. Aber wir kommen auch damit einfach nicht an diese Fälle heran. Das liegt vor allem an der Abschottung, an der Geschlossenheit der Szene. Die wollen ihr Süppchen kochen, wollen keinen Einfluss der Strafverfolgungsbehörden.

Das klingt, als hätte das Gesetz seinen Zweck nicht erfüllt.

Das liegt aber nicht an den rechtlichen Vorgaben, sondern an der Leistungssportszene. Im Amateurbereich gewinnt man die Fälle leichter: Es gibt Zufallskontrollen auf der Autobahn, Durchsuchungen in anderer Sache, bei denen Dopingmittel gefunden werden. Das passiert im Leistungssport nicht. Man kriegt die Fälle im Leistungssport nur auf zwei Möglichkeiten.

Welche?

Das eine ist die Anzeige der Nada nach einem positiven Dopingfall, die bei uns landet, sofern der Fall einen Bezug zu Bayern hat. Das sind etwa zehn bis 15 pro Jahr ...

... insgesamt hat die Nada deutschlandweit den Behörden 98 Strafanzeigen auf der Grundlage des Anti-Doping-Gesetzes erstattet und zusätzlich in 32 Fällen eine informelle Mitteilung ...

... und die Meldungen, die eingehen, sind auch nicht alle aus dem Spitzensportbereich, sondern zum Beispiel die Sieger von Marathonläufen, die keine erheblichen Einnahmen erzielen und damit nicht unter das Anti-Doping-Gesetz fallen.

Und die zweite Möglichkeit?

Die zweite Möglichkeit wäre, aus der Szene Hinweise zu bekommen. Aber das kommt nicht vor.

Warum nicht?

In dem Gesetz fehlt eine Kronzeugenregel, die helfen könnte, die Szene aufzubrechen. Es gibt für den Sportler keinen Anreiz, Informationen preiszugeben. Wer das tut, schießt sich raus aus der Szene, der ist praktisch als Sportler, als Person erledigt. Als Nestbeschmutzer braucht er sich nicht mehr blicken zu lassen - und wir haben nichts zu bieten, warum er das alles auf sich nehmen sollte.

Woran ist die Einführung einer Kronzeugenregelung gescheitert?

Die bayerische Justiz hat immer wieder versucht, die Kronzeugenregelung in das Gesetz zu implementieren - einfach um uns Ermittlungsbehörden zu ermöglichen, noch effektiver zu arbeiten. Ich bin bei den Beratungen oder den Justizministerkonferenzen nicht unmittelbar dabei, aber wenn ich mit den involvierten Personen spreche - die sind da wenig optimistisch. Ich kann nur mutmaßen: Vielleicht ist da die Sorge, dass im angeblich sauberen Sport der eine oder andere Riss entsteht. Ich finde das darüber hinaus sehr ungerecht.

Warum?

Der Dopingmittelhändler, der zum Beispiel Stoff an einen Minderjährigen verkauft, kann von der Kronzeugenregelung Gebrauch machen, die im Strafgesetzbuch steht. Aber der Sportler, der den Stoff besitzt, soll sich nicht durch Angaben zu seinem Umfeld Strafmilderung verschaffen können. Wenn man Sportlern eine entsprechende Erleichterung anbieten und so Vertrauen aufbauen könnte - dann könnte ich mir vorstellen, dass wir in diesem absoluten Hochleistungsbereich viel mehr ermitteln könnten. Wenn es jemanden aus dem Sport gibt, der einen Strich ziehen will, und man diesen ermutigen will, brauchen wir ein besseres Werkzeug.

Dann bräuchte man eine klare Absprache mit Verbänden und Sportorganisationen - damit das auch Auswirkungen auf das sportrechtliche Verfahren haben kann.

Man müsste das kombinieren. Zum einen müsste man eine strafrechtliche Kronzeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz implementieren. Und dann müssten parallel natürlich die Verbände ihre Satzungen anpassen. Wer aussagt, will ja nicht nur strafrechtliche Milderung, er möchte auch kürzer gesperrt werden. Das wäre rechtlich nicht kompliziert.

Gab es konkrete Beispiele, wo Sie jemanden im Blick hatten als Kronzeugen?

Da gab es diverse Ansätze. Ich habe mich einmal am Stuttgarter Hauptbahnhof konspirativ mit einem Sportler getroffen, aber das war nicht konkret genug. Und dann einmal mit jemandem in einer Anwaltskanzlei. Aber da kam es dann nicht zu einer Aussage, weil wir die Zusagen nicht geben konnten, die sich der Sportler erhoffte. Er wollte eine Art Kronzeugen-Bonus, aber wir konnten das nicht leisten, und die Wada (Welt-Anti-Doping-Agentur, d. Red.) wollte vor eigenen Maßnahmen erst die Aussage haben. Aber nach einer Aussage kann es ja einige Zeit dauern, bis wir operative Maßnahmen durchgeführt haben. Dann kann es sein, dass die Sperre schon abgelaufen ist.

Bislang sind sie demnach auf die Fahndungserfolge der Anti-Doping-Behörden angewiesen, die sich fast im Promillebereich bewegen. Und im Umkehrschluss: auf die Dummheit der Sportler.

Wir hatten mal den Fall eines Spielers aus einer Bundesliga, der uns nur per Zufall ins Netz gegangen ist. Der hat im Internet gezielt nach etwas gesucht, das in seinem Sport nicht nachweisbar ist, weil dort nur Urinproben genommen werden. Er wollte Wachstumshormone bestellen, weil er wusste, dass diese nur im Blut nachweisbar sind. Das Mittel, das er letztlich bestellte, war dann aber doch im Urin erkennbar. Er hatte eine Fälschung erhalten, die Packung sah so ähnlich aus wie jene des Mittels, das er eigentlich bestellen wollte. Er wollte sich damit rausreden, dass er das Mittel bestellt habe, weil seine Freundin schwanger werden wollte. Das konnte widerlegt werden. Die Fälschung hätte er übrigens selbst entdecken können, wenn er einen Schwangerschaftstest gemacht hätte.

War das Ihr kuriosester Fall?

Ja. Und auch der Beleg dafür, warum es diese vermeintliche Schnittstelle zwischen Profisport und Untergrundlaboren, die oft kolportiert wird, so gut wie gar nicht gibt. Spitzensportler, solange sie sich nicht so anstellen wie in dem Fall, bestellen nicht in diesen Laboren. Ich vermute, da kommt viel aus dem medizinischen Stab. Viele Präparate können Ärzte auch legal beziehen, und die wissen ganz genau, was man wo wie lange nachweisen kann.

Sie haben erwähnt, dass Sie auf Anzeigen der Nada angewiesen sind. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Gut, da hat sich was entwickelt. Durch das Anti-Doping-Gesetz ist ein besserer Informationsaustausch möglich.

2016 gab es nach einem positiven Test bei einem Fußballer jedoch auch den Fall, dass Spieler, Verein und Verband schon Bescheid wussten, als die Strafermittler zur Durchsuchung anrückten.

Deswegen versuchen wir, das mit der Nada so zu regeln, dass der Sportler und der Verband erst informiert werden, wenn wir unsere Maßnahmen getroffen haben. Die Nada hat relativ kurze Fristen, innerhalb derer sie informieren muss. Andererseits brauchen wir Vorlauf für unsere Maßnahmen. Wir fordern die Nada daher auf, nicht an den Sportler heranzutreten, bis wir uns entsprechend vorbereitet haben.

Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit den Verbänden und dem organisierten Sport?

Quasi nicht existent. Es gab Fälle, wo wir Informationen von Verbänden gebraucht hätten, aber nicht bekamen. Oder es gab vor Großveranstaltungen in Bayern Treffen, um sich mal zu informieren, aber der betreffende Verband hat gemauert. Eine Kooperation mit der Staatsanwaltschaft ist einfach nicht gewünscht. Die wollen unter sich bleiben und es unter sich regeln.

Das klingt, als würde der Widerstand, den der Sport damals gegen die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes leistete, weiterhin bestehen und sich jetzt nur in anderer Form dokumentieren.

Die Haltung der Verbände hat sich nicht geändert, diese Furcht vor Einmischung. Es ist ja immer dasselbe Argument: dass man eine Doppelbestrafung im Strafrecht einerseits und im Sportrecht andererseits verhindern möchte. Man verkennt total, dass man im Strafverfahren viel effektiver Beweismittel heranschaffen kann.

Die dann auch durch die Nada und für das sportgerichtliche Verfahren verwendet werden könnten?

Ja. Zudem gilt im Strafverfahren die Unschuldsvermutung, während im Sportgerichtsverfahren der Sportler seine Unschuld beweisen muss. Es wird oft behauptet, man würde im Strafverfahren eine Vorverurteilung schaffen, die dann auch fürs Sportverfahren gilt und umgekehrt. Aber das stimmt nicht. Es sind zwei voneinander unabhängige Rechtsbereiche mit unterschiedlichen Sanktionen.

Gibt es nach drei Jahren Anti-Doping-Gesetz, abgesehen von der Kronzeugenregelung, noch etwas, das Sie sich wünschen?

Ich wünsche mir tatsächlich mehr Kontakt zu den Sportlern selbst. Dass zum Beispiel mal jemand vorbeikommt und sieht, dass wir hier keine gnadenlosen Strafverfolger sind, die sofort draufhauen, wenn sich ein Hinweis ergibt. Sondern dass wir versuchen würden, eine Lösung zu finden, die auch dem Informanten entgegenkommt. Da ist, wie gesagt, auch jetzt schon einiges möglich. Es wäre jedenfalls schön, wenn da ein Dialog stattfinden würde und Sportler sehen, dass sie mit ihren Informationen bei der Staatsanwaltschaft an der richtigen Adresse sind. Dann können sie immer noch entscheiden, ob sie mit uns kooperieren oder nicht. Leider sind wir weiterhin eher außen vor. Es wäre schade, wenn der erste Kontakt immer erst bei einer Hausdurchsuchung erfolgt.

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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