Anthony McGill bei der Snooker-WM:Schottlands Hoffnung trägt rote Haare

2015 Betfred World Snooker Championship - Day Six

Weltmeister Mark Selby (links) schaut ehrfürchtig zu, was Anthony McGill (rechts) am Snookertisch fabriziert.

(Foto: Getty Images)
  • Ein schmächtiger Schotte mischt die Snooker-WM auf: Anthony McGill steht nach seinem Coup gegen Weltmeister Mark Selby im Viertelfinale.
  • John Higgins, sein berühmter Landsmann, lobt ihn in höchsten Tönen.
  • Dabei wirkt McGill manchmal viel zu schüchtern für die große Bühne.

Von Carsten Eberts

In seinem größten Moment nahm Anthony McGill einen Schluck Wasser. Mark Selby, der Weltmeister, hatte ihm gerade gratuliert, die Zuschauer im Crucible Theatre johlten. Und McGill? Vergaß vor lauter Schreck, das Wasser auch zu verarbeiten. Er reckte seinen linken Daumen nach oben, als er mit dicken Backen die Arena verließ. Erst im Tunnel, der die Snooker-Spieler im Crucible zu ihren Umkleidekabinen führt, schluckte er.

Zwischen all den großen, feinen Männern, die derzeit bei der WM in Sheffield antreten, sieht McGill aus wie ein kleiner Junge. Er ist erst 24 Jahre alt, ein fröhlicher, aber sehr schmächtiger Schotte mit rötlichem Haar. Bei Interviews kann er seinem Gegenüber kaum in die Augen gucken, so schüchtern ist er. Doch dieser Junge mit dem rötlichen Haar hat die Snooker-Gemeinde am Wochenende gehörig überrascht. Er hat Mark Selby geschlagen, den Weltmeister, mit 13:9 im Achtelfinale. Die größte Überraschung des bisherigen Turniers.

Großes Lob von Higgins und Selby

Die Hymnen sind laut, die gerade auf McGill gesungen werden. Viele trauen ihm zu, sehr weit zu kommen bei dieser WM. Er sei "mehr als fähig, dieses Turnier zu gewinnen", sagte sogar Selby, der zuvor McGills Stärke zu spüren bekommen hatte. Auch John Higgins, sein berühmter Landsmann, ist mehr als angetan. "Er liebt das Spiel, er lebt seinen Traum", sagt Higgins. Und er sei sich ganz sicher, dass niemand froh sein werde, bei dieser WM gegen McGill antreten zu müssen.

Über die Qualifikation hatte sich der junge Schotte quälen müssen, in der ersten Runde dann mit Stephen Maguire ein schweres Los erwischt - und knapp 10:9 gewonnen. Es folgte das Spiel gegen Selby, nominell eigentlich eine klare Sache für den Weltranglistenersten. Anfangs war es knapp, 4:4, doch bis zum Ende der zweiten Session zog McGill auf 10:6 davon. Selby gilt als der kompletteste Spieler der Tour, er hatte gerade die China Open gewonnen und sich topfit für den Jahreshöhepunkt gewähnt. Doch es war McGill, der besser lochte, die besseren Safeties ablegte, die höheren Breaks schaffte.

"Ich habe gerade den Weltmeister im Crucible geschlagen", stammelte McGill anschließend. Niemand habe erwartet, dass er gewinne - "nicht einmal ich selbst", so McGill. Nach dem Match dankte er brav seinen Eltern, die einst einen Anbau an ihr Haus fertigen ließen, damit McGill einen Billardtisch hineinstellen konnte. Bei Twitter setzte McGill einen Tweet ab, der sich las, als bedanke sich gerade ein Schuljunge für die Geschenke zu seiner Kommunion:

"Amazing", schrieb er dahinter. Es war tatsächlich: erstaunlich.

Auch im Viertelfinale nur Außenseiter

Sein Aufstieg kommt nicht völlig überraschend. McGill gilt seit Jahren als großes Talent, als Schotte der Zukunft in der Snooker-Szene. Das ist ein gewaltiges Erbe, von Stephen Hendry bis Higgins hatte das kleine Land schon legendäre Spieler hervorgebracht. "Wir wussten alle, dass da ein Junge kommt, der ein großer Spieler werden würde", erzählt Higgins, "nun wächst er mit jedem Match." Seit 2010 ist McGill Profi, doch seine beste Platzierung in der Weltrangliste war bislang Platz 32. Erst bei einem Profiturnier konnte er das Finale erreichen, das war 2012 bei den Scottish Open.

Jetzt wird McGill plötzlich wahrgenommen. "Es scheint mir so, dass jeder Sieg derzeitig der größte Sieg meiner Karriere ist", sagte er: "Ich habe Stephen geschlagen, nun Mark und hoffentlich geht es so weiter." Am Dienstag tritt McGill im WM-Viertelfinale an, sein Gegner ist wieder ein Großer der Szene: der Masters-Gewinner Shaun Murphy. McGill ist der Außenseiter. Doch wie Higgins gesagt hat: Murphy dürfte nicht gerade begeistert sein, nun gegen McGill antreten zu müssen.

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