Süddeutsche Zeitung

Skifahrerin Anna Veith:Rücktritt der Revolutionärin

Anna Veith beendet ihre außergewöhnliche Karriere. Die 30-Jährige ist mehr war als nur eine exzellente Skirennfahrerin - unvergessen bleibt ihr Aufstand gegen Österreichs Verband.

Von Gerald Kleffmann

Seit zehn Tagen musste man mit dieser Nachricht, die am Samstag von der Hauptdarstellerin selbst verkündet wurde, rechnen. Österreichs Kronen Zeitung hatte am 13. Mai schon vermeldet, Anna Veith, 30, werde im Mai ihren Rücktritt bekannt geben. Es ist ja immer ganz lustig, wenn die Kronen Zeitung den Anschein erweckt, knallharte Recherchen hätten solche News zutage gefördert, aber natürlich weiß jeder im Skizirkus: Das Boulevardblatt ist für den Österreichischen Skiverband das, was L'Osservatore Romano für den Vatikan ist: ein Verlautbarungsorgan. Also wusste man: Im Fall der Anna Veith, die Fenninger hieß bis zu ihrer Heirat 2016 mit dem früheren Snowboarder Manuel Veith, wird das so kommen mit dem Abtritt.

Zur Verteidigung muss man sagen, beide Zeitungen verheimlichen das gar nicht mit ihrer Nähe zu den Protagonisten, die Krone etwa ist ja "Medienpartner" des ÖSV, wobei bei dem Deal nicht ganz klar ist, wer eigentlich wem den Kurs vorgibt. In Österreich ist gerne vieles komplizierter, und auch wenn der auf allen Social-Media- und TV-Kanälen durchchoreografierte Abtritt Veiths reibungslos ablief: Es ging jetzt nicht nur eine besonders erfolgreiche Skirennfahrerin harmonisch in den Ruhestand, deren sportlicher wie privater Weg medial stets ähnlich aufgeregt begleitet wurde wie der von Marcel Hirscher, dem anderen Heroen. Sondern auch eine haltungsaufrechte Persönlichkeit wie wenige im selbst ernannten Skiland Nummer eins. Und deshalb ist dieser 23. Mai schon auch als eine Zäsur höheren Ranges zu werten.

Anna Veith hat mal, so sehr wie kein Ski-Profi in Österreich, gegen das System des so ziemlich alles kontrollierenden ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel opponiert, dessen Satz "Austria is a too small country to make good doping" eine der ulkigsten Hinterlassenschaften schon jetzt darstellt. Selbstverständlich konnte sich Schröcksnadel als Sieger inszenieren, als 2015 die damalige Fenninger, aufgerieben von Schlammschlachten mit dem ÖSV, zurückkehrte in sein Einflussgebiet. Als Einzelkämpferin hat man es nun mal schwerer in solchen Machtkämpfen, und wenn ein Piefke auch noch dein Manager ist, wird noch weniger Rücksicht genommen. Da geht es dann um jeden Wirkungstreffer. Anna Veith, so ging ja ihre Geschichte, war damals auf dem besten Weg, das Äquivalent zu Marcel Hirscher zu werden, der achtmal im Gesamt-Weltcup reüssierte. Sie gewann zweimal den Gesamt-Weltcup (2014 und 2015), Olympiagold im Super-G 2014 in Sotschi, drei WM-Titel. Mehr noch als Hirscher, der 2019 aufhörte und außerhalb Österreichs in seinen Leistungen völlig unterschätzt wurde, weil er auch gar kein globaler Star sein wollte, vermarktete sich Veith (noch als Fenninger) als weltoffene Athletin, die sich für Gutes einsetzt.

Hinter ihrem Image steckte der deutsche Manager Klaus Kärcher, der stets die Maxime verfolgte, nur einen Sportler pro Sportart zu betreuen, diesem dann aber das volle Profil zu geben. So hatte er schon Anni Friesinger und Fabian Hambüchen hohen Wiedererkennungswert vermittelt. Aus der mädchenhaften Fenninger wurde somit parallel zu ihren Triumphen eine ernsthafte Person, die im Leben steht und sich für den Erhalt des Lebensraums von Geparden in Afrika einsetzte. Bei den inszenierten Fotos half ihr, dass sie eine fotogene Frau ist. Nicht nur in Österreich gelangten die Bilder PR-wirksam in den Umlauf. So läuft das. Als sie aber nachvollziehbare Forderungen an den ÖSV stellte, sich selbst vermarkten wollte und wie Hirscher ein eigenes Team forderte, gab Schröcksnadel zu verstehen: So läuft das nicht! Für Fenninger ging es ab diesem Moment nicht nur um Detailwünsche wie einen eigenen Trainer. Es ging auch um Gleichberechtigung unter den Geschlechtern.

So furchtlos sich die 1,66 Meter große Fenninger jeden vereisten Skihang hinabstürzte, so sehr nahm sie das Duell mit dem ÖSV an, unterstützt vom ebenfalls kampflustigen Kärcher. Die Konflikte verschärften sich, als Fenninger im selben Teich wie der ÖSV zu fischen begann. Dass sie sich Mercedes als Sponsor angelte, obwohl Audi beim ÖSV und im Weltcup groß drin steckte, kam einer letzten Kriegserklärung gleich. Fenninger und insbesondere Kärcher wurden kampagnenhaft in die Mangel genommen, vom ÖSV, von Medien. Kärcher schließlich zog sich zurück, auch, um sie zu schützen. Sie hatte bereits mit dem Ausstieg aus dem ÖSV gedroht.

Eine gewisse Tragik liegt in dem Umstand, dass Veith danach nie mehr wie zuvor dominieren konnte. Im Oktober 2015, drei Tage vor dem Saisonstart in Sölden, stürzte sie schwer. Im rechten Knie war dabei alles kaputt gegangen. Reha-, Comeback- und zarte Erfolgsphasen reihten sich aneinander. 2017 siegte sie letztmals, im Super-G in Val d'Isere, 2018 errang sie olympisches Silber in Pyeongchang. Ein Kreuzbandriss im Januar 2019 warf sie wieder aus der Bahn.

"Im letzten Winter habe ich alles darangesetzt, wieder zurückzukommen und Vertrauen zu finden", sagte Anna Veith nun, "aber es ist mir einfach nicht mehr gelungen, dahin zu kommen, wo ich hin wollte." Und doch sah sie gelöst aus am Samstag: "Ich habe meinen Kindheitstraum gelebt. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt aufzuhören." Veith versicherte, sie wolle in Zukunft ihre Erfahrungen weitergeben. Da dürfte sie ja durchaus einiges Interessante zu berichten haben.

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Quelle:
SZ vom 25.05.2020/sonn
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