Anklage gegen die Fifa:Sepp Blatter ist nicht zu fassen

Jahrzehntelange Korruption? Geldwäsche? Fifa-Chef Joseph Blatter ficht das nicht an. Er gibt sich als Reinigungskraft des Weltfußballs - und will sich am Freitag wiederwählen lassen. Experten glauben, die Affäre könnte ihn sogar stärken.

Von Thomas Hummel

"The president is not involved." Der Präsident ist nicht betroffen. Dieser Satz von Walter De Gregorio, dem Mediendirektor des Weltfußballverbands, gibt die Argumentationslinie vor. Joseph S. Blatter ist nicht verwickelt in die Untersuchungen des amerikanischen Justizministeriums und des Schweizer Bundesamts für Justiz gegen die Fifa. Tritt er nun zurück? "Wie können Sie fordern, dass er zurücktreten soll", sagt De Gregorio. "Er ist der Präsident, in zwei Tagen sind Wahlen. Wenn ihn die Mehrheit der 209 Mitglieder wählt, wird er für weitere vier Jahre der Präsident sein."

Sepp Blatter ist 79 Jahre alt. Trotz seines Alters ist er mit Sicherheit der wendigste Entfesselungskünstler der Welt. Wer also glaubt, dass ihn der Sturm, der über seinen Verband an diesem Mittwochmorgen hinwegfegte, zwangsläufig mitreißt, der erhielt bereits am Mittag eine Antwort.

Um sechs Uhr starteten die Behörden einen konzertierten Einsatz gegen die Fifa. In Zürich verhaftete die Kantonspolizei sieben hochrangige Funktionäre des Verbands, darunter die Vizepräsidenten Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo. Die US-Justiz klagt insgesamt 14 Personen an. Darüber hinaus wurde auch das Hauptquartier des Kontinentalverbands Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik (Concacaf) in Miami durchsucht.

Davon unabhängig ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf "Unregelmäßigkeiten bei den Vergaben für die Weltmeisterschaften 2018 sowie 2022". Die Behörde forderte im Fifa-Hauptquartier wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Schmiergeldzahlungen bei den WM-Vergaben die Aushändigung von Dokumenten.

Die Fifa wurde 1904 gegründet, aber so etwas hat sie noch nicht erlebt. Der einst würdevolle Vertreter des schönen Fußballspiels ist offensichtlich zu einem Hort aus Betrügern geworden. Das Raunen darüber existiert schon seit Jahrzehnten, Korruptionsfälle und -vorwürfe auch. Die Fifa und ihr Chef sind in weiten Teilen der Welt so unbeliebt wie ein Heuschreckenschwarm.

"Den Angeklagten wird eine ungezügelte und systemische Korruption vorgeworfen, die sowohl im Ausland als auch in den Vereinigten Staaten tief verwurzelt ist", sagt Justizministerin Loretta Lynch. Mindestens zwei Generationen von Fußballfunktionären hätten "das in sie gesetzte Vertrauen missbraucht, um Millionen Dollar an Bestechungs- und Schmiergeldern anzuhäufen". Sie hätten einer Menge Leute geschadet, etwa Jugend-Ligen in Entwicklungsländern, die eigentlich von den Geldern hätten profitieren sollen. Oder den Fans, die durch ihre Hingabe den Sport erst so lukrativ machen würden.

"Die Fifa ist die geschädigte Partei"

Man weiß nicht genau, ob De Gregorio die Presseerklärung mit der Anklage aus den USA gelesen hatte, bevor er um 11.16 Uhr in Zürich vor die Weltpresse trat. Denn er sprach allein davon, dass die Fifa den Prozess erst ins Rollen gebracht habe. Was sich allein auf die Anklage aus der Schweiz beziehen kann, die rund um die WM-Vergabe 2018 und 2022 ermittelt. Die Fifa hatte den Bericht ihres ehemaligen Sonderermittlers Michael Garcia im November an die Behörden weitergegeben.

So ist die Strategie von De Gregorio und seinem Chef Blatter die alte: "Die Fifa ist die geschädigte Partei." Es sei eine harte Zeit für den Weltfußballverband, sagte De Gregorio, "aber zugleich eine gute. Es bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind." Die Fifa wolle doch den Betrieb reinigen. Und: "Nichts wird uns stoppen."

Blatter ist also die Reinigungskraft im Fußball-Weltverband. Das erklären er und seine Mitstreiter bereits seit Jahren. Dass er nun namentlich in keiner Anklageschrift auftaucht, scheint ihn in seiner Strategie zu stützen. "Er ist ziemlich entspannt, denn er weiß nun, dass er nicht betroffen ist", sagte De Gregorio über Blatter. Um dann zu präzisieren: "Er tanzt nicht in seinem Büro. Aber er ist ruhig. Er sieht, was passiert. Er ist voll kooperativ. Er ist kein glücklicher Mann. Aber er weiß, dass das die Konsequenz aus unserem Handeln ist."

Es ist also keineswegs so, dass der Chef nun für seinen Sauhaufen geradesteht. Sondern der gibt sich glücklich, dass endlich mal jemand aufräumt. Dann kann er umso beruhigter weiter der Chef sein.

Dass die Amerikaner von mindestens zwei Generationen von Funktionären sprechen, die sich bereichert haben sollen, ignoriert die Fifa. Blatter war ab 1981 Generalsekretär und ist seit 1998 Chef. Seit 34 Jahren sitzt er in der Schaltzentrale des Verbands, in den weit mehr als 150 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern geflossen sein sollen. Von Medien- und Sportmarketingunternehmen an die Fußballfunktionäre. Ohne das Wissen Blatters?

"Die heutige Ankündigung hat die Botschaft: genug ist genug", sagt der amerikanische Rechtsanwalt Kelly Currie. Nach jahrzehntelanger Korruption benötige der Fußball eine neue Chance. Diese Anklage sei nicht das letzte Kapitel in dieser Untersuchung.

Am Donnerstag soll im Zürcher Hallenstadion der 65. Fifa-Kongress beginnen, am Freitag will sich Blatter für weitere vier Jahre wählen lassen. Zum nunmehr fünften Mal. Die beiden europäischen Gegenkandidaten Michael van Praag und Luís Figo verkündeten vergangene Woche ihren Rückzug. Sie sahen sich chancenlos im System Fifa, Luís Figo sprach von einer Diktatur. So bleibt als einziger Gegenkandidaten Prinz Ali bin al-Hussein. Der 39-jährige Jordanier gilt als chancenlos.

Sylvia Schenk, Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei Transparency International, sagte im TV-Sender Sport 1 im Hinblick auf die Wahl: "Ich schließe nicht völlig aus, dass es Blatter sogar stärkt. Viele Delegierte könnten sich nach einem sehnen, der weiß, wie er die Fifa zu führen hat."

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