Angriff gegen die Sportjustiz:Pechsteins Kampf
Lesezeit: 2 Min.
Es ist zu erwarten, dass sich die Sportjustiz nach dem OLG-Urteil zu Reformen gezwungen sieht. Claudia Pechstein hat damit viel erreicht - auch für die anderen Athleten. Dabei sind ihre Methoden und Argumente oft fragwürdig.
Ein Kommentar von Claudio Catuogno
Immer noch trägt Claudia Pechstein diesen Titel mit Stolz: "erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin". Fünf Olympiasiege hat die Eisschnellläuferin seit 1992 gesammelt, jetzt ist sie bald 43 und läuft immer noch auf Schlittschuhen im Kreis. Aber seit 2009, seit die Internationale Eislauf-Union ISU sie wegen auffälliger Blutwerte zwei Jahre sperrte, klebt eben noch ein zweiter Titel an der Berlinerin: Pechstein, die von den Sportgerichten als Doperin sanktionierte Athletin.
Experten haben ihr später eine vererbte Blutanomalie bescheinigt. Andere Experten haben bezweifelt, dass das als Erklärung ausreicht. Und während die Wissenschaftler stritten, hat sich Pechstein im deutschen Sport nicht beliebt gemacht mit ihrem Kampf um Rehabilitation. Sie hat in ihrem Furor bisweilen auch fragwürdige Argumente und Methoden bemüht, sie hat ein weitgehend unerträgliches Buch geschrieben, sie hat dann zwischendurch eine Currywurstbude eröffnet, um im Gespräch zu bleiben, und ihr Lebensgefährte hat im Bundestag angerufen und angekündigt, Mitglieder des Sportausschusses "zu stellen". Die Parlamentarier empfanden das als Bedrohung.
Manchmal sind es eben die falschen Leute, die für die richtige Sache kämpfen.
In erster Linie kämpft natürlich auch Pechstein für sich selbst - sie kämpft um Rehabilitierung und Schadenersatz. Mehr als vier Millionen Euro fordert sie von der ISU. Diese Summe ist aber nicht die eigentliche Dimension ihres Weges durch die Instanzen. Nach dem Spruch des Oberlandesgerichts (OLG) München vom Donnerstag ist Pechstein endgültig zur Vorkämpferin für alle Spitzensportler avanciert, die sich im Laufe ihrer Karriere in den Regeln der Sportgerichtsbarkeit verheddert haben oder noch verheddern werden: denen man zum Beispiel Doping vorwirft, und die das bestreiten - und die sich dann auf die Suche machen nach einem unabhängigen Richter.
Das Oberlandesgericht München erschüttert plötzlich ein System
Das OLG München sagt nun sinngemäß: In den autonomen, abgeschotteten Zirkeln des Sports findet der Athlet diesen Richter nicht. Außerhalb der Zirkel des Sports durften sich Athleten ihren Richter aber bisher nicht suchen.
Wer an einem Wettkampf teilnehmen will, muss eine Schiedsvereinbarung unterschreiben, so läuft das bisher im Sport. Darin verpflichtet man sich, im Streitfall auf den Gang vor ein ordentliches Gericht zu verzichten und als letzte, verbindliche Instanz den Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne anzuerkennen.
Es gibt gute Gründe dafür, dass der Sport ein Schiedssystem braucht: Spitzensport bedeutet ja globalen Wettbewerb, da kann niemand wollen, dass Doping-Sperren mal vom Amtsrichter in Köpenick, mal vom kremltreuen Juristen in Moskau und mal vom Stammesgericht in Belutschistan verhängt oder aufgehoben werden. Aber dieses Szenario ist der Sprengstoff, der in dem Münchner Urteil nun steckt.
Weil das OLG mit Bestimmtheit festhält: Zumindest in Deutschland dürfen Sportler nicht von ihren Verbänden daran gehindert werden, zivile Gerichte anzurufen. Und: Urteile des Cas seien von deutschen Gerichten nicht zwingend anzuerkennen. Kurz: Auch Sportler haben einen Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit.
Was das jetzt für den Sport bedeutet, für seine Olympischen Spiele und Weltmeisterschaften, ist offen. Die Münchner Richter argumentieren mit dem Kartellrecht: Die Verbände, sagen sie, übten gegenüber den Sportlern ein Monopol aus. Und dieses Monopol sei nur dann hinzunehmen, wenn die Sportgerichtsbarkeit gewisse Standards erfülle. Die Richter verurteilen die Struktur des Cas scharf. Zu erwarten ist, dass der Sport sich jetzt zu grundlegenden Reformen seiner Sportjustiz gezwungen sieht. Damit wäre schon mal viel gewonnen, nicht nur für Claudia Pechstein.