Süddeutsche Zeitung

Angriff auf togoisches Nationalteam:Hauptsache, der Ball rollt

Eine Elf, drei Tote und sieben Verletzte - die Gastgeber des Afrika-Cups in Angola benehmen sich nach der Attacke auf Togos Team, als gehe sie das alles nichts an.

Arne Perras

Das Turnier darf nicht platzen, keinesfalls. So ist der Profi-Fußball. Es geht um die Ehre - und um sehr viel Geld. Nicht einmal Mord und Totschlag können das ändern. Dass die Begegnung Mali gegen Gastgeber Angola am Sonntagabend angepfiffen wurde, stand deshalb auch nicht zur Debatte - obwohl keiner mehr glaubt, dass dieser Afrika-Cup dem Fußball des Kontinents großen Glanz verleihen kann.

Die böse Tat von Cabinda schwebt über dem Turnier und lässt sich nicht vertreiben. Togos Nationalelf wurde attackiert, nicht auf dem Rasen, wie sie es gewohnt ist. Sondern auf offener Straße, mit scharfer Munition aus Maschinengewehren. Um Stolz und Ansehen ging es da nicht mehr, sondern nur ums nackte Überleben.

Noch immer kämpfen Spieler, Trainer und Assistenten aus Togo mit dem Unfassbaren. Was ist da eigentlich über sie hereingebrochen? Mit dem Bus fuhren sie am Freitagnachmittag vom Kongo aus über die Grenze nach Angola. Hinein in die Provinz Cabinda, wo sie am Montag auch ihr erstes Spiel im Afrika-Cup bestreiten sollten. Es sollte gegen Ghana gehen, einen schweren Gegner. Seit 1. Januar hatten sie im Nachbarland trainiert, jetzt waren es nur noch drei Tage bis zum ersten Spiel. Beim Afrika-Cup darf sich keiner hängenlassen, zu wichtig ist das Turnier für die Psyche des Kontinents. Der Kapitän der Mannschaft, Stürmer Emmanuel Adebayor, der bei Manchester City unter Vertrag ist, erinnert sich, wie er noch aus dem Fenster schaute: "Wir sahen viel Militär, sie sahen aus, als zögen sie gleich in den Krieg, erst war das ein kleiner Schock, aber dann dachte ich: okay, das ist für die Sicherheit, ist ja ein großes Turnier." Er ahnte noch nicht, wie nah er dran war an der Wahrheit.

30 Minuten langes Gefecht

Nur fünf Kilometer hinter der Grenze krachen plötzlich Schüsse los, der Mannschaftsbus der Togoer kam unter Beschuss. 30 Minuten dauert das Gefecht zwischen den Sicherheitskräften und den Angreifern, und der Bus der Togoer mitten drin. "30 Minuten", sagt Adebayor in einem Gespräch mit der BBC. "Können Sie sich das überhaupt vorstellen?" Die Spieler werfen sich unter die Sitze, und sie sehen Dinge, die ihnen später den Schlaf rauben werden: "Einer unserer Kameraden hat eine Kugel im Körper, er schreit, er verliert das Bewusstsein."

Am Samstag weiß das Team von Togo mit Gewissheit: Drei seiner Leute haben das Blutbad nicht überlebt. Ihr Busfahrer starb noch am Tatort, ein Assistenztrainer und der Pressemann erlagen später ihren schweren Verletzungen. Sieben Spieler sind verletzt, mindestens einer von ihnen schwer. Es ist nicht ihr Krieg, in den sie verwickelt wurden. Rebellen kämpfen in Cabinda gegen die angolanische Regierung, und sie haben jetzt Fußballer attackiert, damit alle Welt endlich weiß, dass sie hier für ihre Unabhängigkeit in die Schlacht ziehen. Bei den Togoern hält die Verwirrung lange an. "Ich weiß nicht, ob ich noch ein Ziel bin, und warum", sagt Adebayor.

Kann man nach solchen Erlebnissen schon wieder Fußballspielen? Die Mannschaft weiß es selbst nicht, ist das ganze Wochenende hin- und hergerissen. Erst wollen die Spieler sofort abreisen, dann doch wieder spielen. Es klingt verrückt - und auch wieder nicht. Sie wollten jetzt nicht einfach davonlaufen wie die Feiglinge, sagt einer der Spieler. Sie müssten auf den Platz gegen Ghana, um die Toten und Verletzten zu ehren. Und keinesfalls wollen sie ihren Angreifern den Triumph gönnen, dass sie jetzt aufgeben.

Premier zieht Team zurück

Also wollen sie auf den Platz, am Montag, gegen Ghana. Darauf hatte Gastgeber Angola schon am Freitagabend gedrängt, das wirkte aber reichlich taktlos, wenn nicht pervers, weil die Spieler Togos da noch weinten und um das Leben der verletzten Kameraden bangten. Doch dann spricht Togos Premier schließlich am Sonntag ein Machtwort: "Die Mannschaft muss zurückkehren", ordnet er an. Wenn doch ein Spieler an der Eröffnungsfeier teilnehme, repräsentiere er nicht sein Land.

Angola versichert immer wieder, Fans und Spieler seien sicher in dem Staat. Das klingt nun wie blanker Hohn. Denn wie konnte dann so etwas geschehen? Die Angolaner haben ihre eigenen Antworten: Wichtige Absprachen habe das Team von Togo nicht eingehalten. Alle Mannschaften seien angewiesen worden, nach Cabinda zu fliegen. Sie hätten nicht mit dem Bus fahren sollen, und im Übrigen hätten die Organisatoren des Turniers von der Fahrt auch nichts gewusst.

Warum aber muss man überhaupt in der Provinz Cabinda spielen, wenn dort Rebellen das Gebiet unsicher machen? Angola hatte darauf gesetzt, dass es im Fahrwasser des Afrika-Cups mehr Geld und Investoren in das Gebiet locken könne. Der Fußball sollte den Beweis erbringen, dass Cabinda befriedet ist. Das Gegenteil ist nun allen bekannt. Die Spieler werden sich missbraucht fühlen von einem Staat, der womöglich nicht in der Lage war, die Bedrohung einzuschätzen - oder der das Risiko bewusst verdrängte und darauf setzte, dass schon alles irgendwie gut gehen wird. Und genau das wird nun weiter vorangetrieben: Das Turnier darf nicht sterben, die Show muss starten, als wäre nichts geschehen.

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SZ vom 11.01.2010/jbe
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