Angelique Kerber:Vertraute Probleme

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Widerstandskämpferin in der Sonne New Yorks: Angelique Kerber biss sich gegen die Schwedin Johanna Larsson durch, nun trifft sie in der der dritten Runde der US Open auf die Slowakin Dominika Cibulkova. (Foto: Kevin Hagen/dpa)

Die Deutsche zeigt Schwächen bei den US Open, aber genau daraus schöpft sie Zuversicht: Immer dann, wenn Kerber bei Grand-Slam-Turnieren fähig war, Widerstände zu überwinden, glückte ihr Großes.

Von Jürgen Schmieder, New York

Die großen Produktionen werden in New York auf dem Broadway aufgeführt, und wer es dorthin geschafft hat, der darf sich als Künstler akzeptiert fühlen. Die Eintrittskarten für die Vorstellungen am Abend sind sündhaft teuer, das billigste Ticket für das Musical "Hamilton" kostet 450 Dollar. Nachmittags aber, da gibt es Vergünstigungen, und genauso muss man sich auch die US Open vorstellen: Am Abend tritt Serena Williams auf, die ihr Dasein als Tennis spielende Mama unermüdlich und ermüdend inszeniert; die 23 771 Plätze im Arthur Ashe Stadium sind stets ausverkauft, es kommen Prominente wie Designerin Vera Wang, Schauspielerin Bridget Moynahan oder das Gesamtkunstwerk Mike Tyson.

Angelique Kerber darf auch im großen Theaterhaus dieser Anlage auftreten, sie hat hier vor zwei Jahren gewonnen und ist längst als grandiose Tennisspielerin akzeptiert. Bei diesen US Open war sie bislang allerdings nur tagsüber zu sehen, und als am Donnerstagmittag ihre Partie gegen die Schwedin Johanna Larsson begann, da waren nicht mal 1000 Leute im Stadion. Es war ein Drama mit verblüffenden Wendungen und bizarren Zwischenspielen, und so wie die Nachmittagsvorstellungen auf dem Broadway bisweilen auch brillanter sind als jene am Abend (weil die Ersatz-schauspieler beweisen wollen, dass sie zumindest so talentiert sind wie die Stars), so war Kerbers Sieg (6:2, 5:7, 6:4) spannender als die Vorführungen von Williams bisher.

"Ich weiß aus Erfahrung, dass ich verloren geglaubte Spiele noch drehen kann."

Kerber agierte knapp zwei Sätze lang spielfreudig, nach zwei vergebenen Matchbällen implodierte sie allerdings, die Partie drohte zu einer Tragödie zu werden. "So ist dieser Sport nun mal", sagte Kerber danach: "Ich weiß aus Erfahrung, dass ich verloren geglaubte Spiele noch drehen kann. Heute habe ich gelernt, dass ich bis zum Ende durchspielen muss." Sie habe sich mittlerweile darauf konditioniert, während einer Partie nicht über vergebene Matchbälle, die Spielzeit, die äußeren Bedingungen oder den Zwischenstand nachzudenken: "Ich konzentriere mich einfach nur auf den nächsten Punkt." So habe sie auch die schwierige Phase nach dem zweiten Satz überstanden.

So etwas klingt immer ein bisschen nach Floskel; wer jedoch mal selbst probiert hat, sich wirklich nur mit dem nächsten Ballwechsel zu beschäftigen, der weiß, dass es eine Kunst ist, wenn einem das wirklich gelingt. Kerber biss sich in diese nächsten Ballwechsel hinein, und die nun doch vielen Zuschauer am frühen Nachmittag (danach hatte Roger Federer seinen Auftritt) sahen all jene Aspekte, die Kerber zu einer wahnsinnig kniffligen Kontrahentin machen: Sie prügelt ihre Gegnerinnen nicht vom Platz, wie Williams das bisweilen tut, ihr Aufschlag ist weniger Waffe als vielmehr Selbstkasteiung, weil sie danach meist einem Angriffsschlag der Gegnerin hinterherhecheln muss.

Es ist allerdings gegen keine andere Spielerin schwieriger, einen Punkt zu beenden, weil Kerber wegen ihrer außerordentlichen Fitness scheinbar unerreichbare Bälle doch noch erreicht und sie aufgrund von Spielwitz und geometrischer Vorstellungskraft in bisweilen physikalisch fragwürdigen Winkeln ins Feld zurückspielt. Viele Ballwechsel sind deshalb spannend und spektakulär, und so mancher Zuschauer, der am Donnerstag nur wegen Federer gekommen war, dürfte zur Drittrundenpartie von Kerber am Samstag gegen Dominika Cibulkova (Slowakei) zurückkehren.

Kerber ist keine Selbstdarstellerin wie Williams, im Gegenteil, ihr ist der ganze Rummel immer ein bisschen peinlich, so wie er Steffi Graf immer ein bisschen peinlich gewesen ist. Kerber hatte nach der fantastischen Saison 2016 (Grand-Slam-Erfolge in Melbourne und New York, Silber bei Olympia) auch deshalb Probleme, weil sie oft nicht wusste, wie sie mit all den Anfragen und Anforderungen an eine Grand-Slam-Siegerin umgehen sollte. Nach ihrem Wimbledon-Sieg in diesem Jahr sei sie besser darauf vorbereitet gewesen: "Ich wusste, was ich machen wollte und was nicht - und das habe ich auch gesagt." Sie habe erst einmal Urlaub gemacht, daheim im polnischen Puszczykowo, das bedeutete vor allem: rumliegen, runterkommen, sich rausnehmen aus all dem Trubel.

Es gibt Leute, die halten Kerber für nicht besonders interessant, vor zwei Jahren - Kerber war gerade zur Nummer eins der Welt aufgestiegen - beschwerte sich bei den US Open ein italienischer Journalist, dass er angesichts der immer gleichen Floskeln nichts Interessantes schreiben könne. Was die Leute häufig vergessen: Nur weil einer ein grandioser Sportler ist, ist er noch längst kein formidabler Entertainer. Interviews, Werbedrehs und Sponsorentermine sind anstrengend, es lenkt vom Wesentlichen ab, wenn man bei jedem Training noch Fotos für die sozialen Netzwerke machen muss. So manche Profispielerin kommt im Jahr auf mehr Instagram-Einträge als gewonnene Aufschlagspiele. Kerber ist nun mal keine Internet-Influencerin, sie ist eine verdammt gute Tennisspielerin, die das Publikum auf dem Platz unterhält und nicht abseits davon.

Kerbers Blick nach vorne mag ein kurzfristiger sein, ihr Langzeitgedächtnis allerdings funktioniert auch prächtig. "Ich hatte bei jedem Grand-Slam-Turnier, das ich danach gewonnen habe, irgendwann so eine knifflige Partie dabei", sagte sie danach: "Es lässt mich auf jeden Fall selbstbewusst werden, dass ich das weiß - und dass ich auch weiß, dass ich so eine Partie gewinnen kann, selbst wenn ich Probleme habe und nervös werde. Das kann mir bei den nächsten Partien sicherlich helfen." Sie hat noch einiges vor bei diesem Turnier, und auch wenn sie natürlich nie weiter denken will als bis zum nächsten Ballwechsel: Das Frauenfinale ist in diesem Jahr eine Nachmittagsvorstellung.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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