Angelique Kerber:Die nächste herbe Grand-Slam-Enttäuschung

2019 US Open - Day 1

Das Ergebnis am Ende: 7:5, 0:6, 6:4 für Mladenovic. Was in aller Welt ist da passiert?

(Foto: Emilee Chinn/AFP)
  • Angelique Kerber ist bei den US Open in New York in der ersten Runde an der Französin Kristina Mladenovic gescheitert.
  • Nach der Zweitrunden-Niederlage als Titelverteidigerin in Wimbledon war es für Kerber die zweite herbe Grand-Slam-Enttäuschung binnen 53 Tagen und die dritte Auftaktpleite in Serie.

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt beim Tennis solche Partien, da erzählt das reine Ergebnis nur einen kleinen Teil der Geschichte, und manchmal, da fragt man beim Betrachten des Resultats: Was in aller Welt mag da nur passiert sein? Angelique Kerber und Kristina Mladenovic (Frankreich) hatten sich in der ersten Runde der US Open auf dem Grandstand eine packende und hochklassige Partie geliefert, einen taktischen Leckerbissen. Mladenovic streute immer wieder hohe Topspin-Bälle, langsame Slices und gefühlvolle Stopps ein, sie nervte Kerber, die ja gerne das Tempo der Gegnerin aufnimmt und dann präzise und wuchtig kontert.

Das Ergebnis am Ende: 7:5, 0:6, 6:4 für Mladenovic. Was in aller Welt ist da passiert?

Eine Erklärung: Mladenovic musste sich im zweiten Satz am Rücken behandeln lassen, ein Nerv war eingeklemmt und vielleicht gab sie diesen Durchgang deshalb beinahe ohne Gegenwehr ab. Man könnte auch behaupten, dass es so eine Partie mit einem derart wahnwitzigen Ergebnis eben ein Mal im Leben geben würde - wenn es bei Kerber nicht gar so häufig passieren würde: Ein Drittel ihrer Spiele in diesem Jahr gingen über die volle Satzdistanz, das Ergebnis gegen Daria Kasatkina (Russland) kürzlich in Toronto: 6:0, 2:6, 4:6.

Kerber ist eine der fittesten Spielerinnen auf der Tour

Kerber hat aus ihren spielerischen Fähigkeiten die bestmöglichen Ergebnisse erzielt, sie hat drei Grand-Slam-Turniere gewonnen und diese Erfolge auch bestens vermarktet. Das Magazin Forbes führte sie im vergangenen Jahr mit Einkünften in Höhe von 11,8 Millionen Dollar (davon 6,5 Millionen Dollar von Sponsoren) auf der Liste der bestverdienenden Sportlerinnen auf Platz drei. Über alle Disziplinen hinweg wohlgemerkt, nicht nur im Tennis. Nur Serena Williams (USA) und Naomi Osaka (Japan) haben noch mehr verdient.

Sie ist eine der fittesten Spielerinnen auf der Tour, sie kontert präzise und wuchtig und gilt deshalb als eine der unangenehmsten Gegnerinnen, gerade für Top-Spielerinnen. Nur, und auch wenn das nun wie eine schreckliche Floskel klingen mag: Es müssen bei Kerber viele, vielleicht sogar alle Aspekte ihrer Spielweise funktionieren und auch ineinander greifen, damit es mit größtmöglichen Erfolgen klappt - sonst droht sogar das frühestmögliche Scheitern wie zuletzt in Toronto und Cincinnati. Auch in Wimbledon vor nicht einmal zwei Monaten war bereits in der zweiten Runde Schluss.

Kerber kann sich zurückbeißen in Partien, hineingrooven in Turnier, mit jedem Erfolg wachsen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und damit der Glaube daran, auch die größtmöglichen Erfolge feiern zu können. Es haben zuletzt nicht besonders viele Dinge funktioniert, Kerber hat sich nach nur acht Monaten von Trainer Rainer Schüttler getrennt und ist ohne Coach zu den Turnieren nach Nordamerika gereist. Dort hat sie keine Partie gewonnen, es gab drei Niederlagen in der jeweils ersten Runde.

Boris Becker mach sich Sorgen um Kerber

Die Prognose des sechsmaligen Grand-Slam-Siegers Boris Becker klang deshalb schon vor Turnierstart recht fatalistisch. "Ich mache mir gerade Sorgen um Angie Kerber. Wie lange will sie noch Tennis spielen? So macht es keinen Spaß und keinen Sinn", sagte er dem TV-Sender Eurosport, und Bundestrainerin Barbara Rittner wurde gar noch deutlicher: "Sie ist ein Mensch, der trotz der Erfolge immer wieder zweifelt, sich hinterfragt, sich unwohl fühlt und alleine fast ein bisschen depressiv oder traurig wird."

Das Ergebnis erzählt nur einen kleinen Teil der Geschichte, in diesem Fall sendet die Art, wie es zustande gekommen ist, die deutlichere Botschaft. Die Gegnerinnen wissen nun, wie sie gegen Kerber agieren müssen, so sie spielerisch dazu in der Lage sind. "Ich hatte klare taktische Vorgaben", sagte Mladenovic, die nicht nur den Ball übers Netz prügeln kann wie so viele andere Spielerinnen, sondern auf einen Topspin-Mondball eine wuchtige Vorhand folgen lässt und gleich danach den Ball kurz übers Netz lupft: "Es war nicht einfach, das so zu spielen, aber es hat funktioniert."

Kerber ist derzeit nicht in der Lage, Lösungen für taktische Problemstellungen zu finden, während einer Partie Änderungen vorzunehmen - oder sich einfach mal einzureden, dass sie selbst stark genug ist, diese kniffligen Spiele in den frühen Runden trotz aller Probleme am Ende doch für sich zu entscheiden.

"Ich habe noch immer Spaß am Tennis, deshalb will ich nicht darüber nachdenken, in welcher Phase meiner Karriere ich mich befinde", hatte Kerber schon vor dem Turnierstart gesagt. Nach der Partie ergänzte sie: "Ich habe mich bewusst entschieden, diese Reise nun alleine zu machen. Ich werde mir Zeit lassen und keine emotionale Entscheidung treffen." Sie will nun erst einmal nach Hause fahren und in aller Ruhe nachdenken. Über dieses Ergebnis und auch über die Geschichte, die es erzählt.

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