Angelique Kerber kündigt Karriereende an:Die Ziellinie ist erreicht

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14. Juli 2018: Angelique Kerber steigt zur Wimbledonkönigin auf. (Foto: Andrew Boyers/Reuters)

Vor ihrem Olympiastart teilt Angelique Kerber mit, dass Paris ihr letztes Turnier sein wird. Eine große deutsche Tennisspielerin tritt damit ab, die es wie nur Boris Becker und Stefanie Graf schaffte, Millionen Deutsche vor die Fernseher zu locken.

Von Gerald Kleffmann

Angelique Kerber war schon immer eine Person, die gerne die Dinge selbst in die Hand nimmt, deshalb überrascht der Weg nicht, den sie nun für diese Zäsur in ihrem Leben gewählt hat. Es hätte ja so viele Pressekonferenzen in den vergangenen Wochen und Monaten gegeben, auf denen Kerber vom Vollzug ihres Karriereendes hätte erzählen können, noch in Wimbledon kürzlich klang sie so, als würde sie eventuell doch noch eine Weile mit jenem Schläger zu sehen sein, mit dem sie drei Grand-Slam-Siege und dazu Olympia-Silber errungen hat. Nun aber steht sie vor ihrem letzten Turnier und vor ihren allerletzten Auftritten, bei den Olympischen Spielen in Paris spielt sie im Einzel (in der ersten Runde gegen die Japanerin Naomi Osaka; Alexander Zverev trifft auf den Spanier Jaume Munar) und im Doppel an der Seite von Laura Siegemund (gegen die Britinnen Katie Boulter und Heather Watson).

Und dann? War’s das.

Kerber hört nach diesen beiden Wettkämpfen auf. In einer längeren Erklärung auf ihrem Instagram-Kanal teilte sie ihren Beschluss mit. Passend zu ihrem selbst gewählten Schlussstrich betitelte sie ihren Vortrag mit dem Titel „Die Ziellinie“ – nun hat die erfolgreichste deutsche Tennisspielerin seit der einzigartigen Stefanie Graf diese erreicht. Ihren Worten ist zu entnehmen: Kerber geht mit Stolz, Zufriedenheit und Erinnerungen, die bleiben werden. Weil so viele so schön sind.

Wimbledon
:Kerber ist kein Star - sie ist ein Vorbild

Angelique Kerber wird nach ihrem strahlenden Wimbledon-Erfolg weder Wert auf Glamour legen, noch ihre Millionen verprassen. Sie demonstriert, worauf es im Leistungsport wirklich ankommt.

Kommentar von Gerald Kleffmann

„Bevor die Olympischen Spiele beginnen, kann ich bereits sagen, dass ich Paris 2024 nie vergessen werde, denn es wird mein letztes Profi-Turnier als Tennisspielerin sein“, so leitete Kerber ihr Abschiedsschreiben ein, in dem sie einen Streifzug durch wichtige Stationen ihrer Karriere machte und resümierte: „#Paris2024 wird die Ziellinie der unglaublichsten Reise sein, von der ich je hätte träumen können, als ich aufgewachsen bin, mit einem Schläger in der Hand. Es gibt noch viel mehr Dinge, die ich sagen möchte, ich möchte auch Menschen danken, dies werde ich tun, sobald ich mein letztes Match beendet habe … aber jetzt werde ich mir die Zeit nehmen und jede Sekunde dieser letzten Episode auf dem Platz aufsaugen.“

Mit ihrem Grand-Slam-Sieg bei den Australian Open war auch ihre Sonderrolle im deutschen Tennis geboren

36 Jahre alt ist Kerber, seit 2003 ist sie Profi, und ihre Bilanz erscheint sogar noch unglaublicher, wenn man bedenkt, dass sie beinahe einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Die kleine Angie war auch eine hervorragende Schwimmerin, als sie in Kiel aufwuchs. Jahre später sollte sich die Tenniswelt von ihren frühen Fähigkeiten in dieser Disziplin überzeugen können, als sie Anfang 2016 in den braunen Yarra River in Melbourne gesprungen war, um berauscht von ihrem ersten gewaltigen Triumph den Moment zu zelebrieren.

Mit ihrem Grand-Slam-Sieg bei den Australian Open war ihre Sonderrolle im deutschen Tennis geboren, und auch ihr besonderer Status im deutschen Sport, sie war plötzlich ein Champion globaler Größenordnung. Natürlich wurde sie Deutschlands Sportlerin des Jahres 2016; die US Open, ihren zweiten Grand-Slam-Titel, hatte sie im Spätsommer auch noch errungen. Insgesamt war sie 34 Wochen lang die Nummer eins der Weltrangliste.

Kerber hatte zwar keinen hysterischen Tennisboom im Lande ausgelöst wie einst ein 17-jähriger hechtender Leimener und dieses Wundermädchen aus Brühl mit den schnellen Beinen. Es wäre auch vermessen, jemals Zustände wie in den Achtziger- und Neunzigerjahren zu erwarten, Boris Becker und Stefanie Graf waren Ausnahmeerscheinungen. Aber diese rackernde, strauchelnde und doch immer wieder aufstehende Kerber, sie sollte ebenfalls zigtausende Tennisherzen erobern und es bis in die Tagesschau schaffen.

30. Januar 2016: Da liegt Angelique Kerber, rücklings in der Rod Laver Arena. Sie hat gerade die Australian Open gewonnen. (Foto: Daniel Pockett/Getty )

Ja, sie stieg zu einer Siegerin auf, aber sie litt auch immer wieder – und berührte damit ihr Publikum. In ihrer Erklärung nimmt Kerber Bezug auf die schwierigsten Phasen, 2011 etwa „hatte ich Tennis fast den Rücken zugedreht und meine Kindheitsträume aufgegeben“, schrieb sie. Erfolglosigkeit ist eben Gift für jeden erfolgsbesessenen Sportler, und das war sie stets, ehrgeizig und zielstrebig, die Frau mit dem berühmtesten Rückhand-Blockschlag aus der Hocke und dem „Komm jetzt!“-Ausruf nach grandiosen Konterhieben die Linie entlang, ihrem Signature-Winnerschlag.

Nach ihren Höhen kamen oft Tiefen, 2017 war wieder so ein Jahr, das sie als „schmerzhaft“ einstuft, doch Kerber zeichnete eines stets aus: „Ich habe meine Lektion gelernt.“ Der unbedingte Wille, etwas beim nächsten Mal besser machen zu wollen, trieb sie an, und bis heute erachtet Kerber ihren Wimbledon-Sieg 2018 als „meine größte Belohnung“.

Vor allem dank ihres Managers Aljoscha Thron, eigentlich ein Arzt, der rasch sein Talent für das Vermarkten seiner Mandantin entdeckte, stieg Kerber auch zur vielfachen Werbemillionärin auf. Und obwohl sie schon eine Ewigkeit im polnischen Puszczykowo lebt, wo ihre geliebten Großeltern eine Akademie mit dem Namen „Angie“ betreiben, ist sie stets eine Führungspersönlichkeit auch für den Deutschen Tennis-Bund (DTB) geblieben. „Mit Angelique Kerber tritt eine der erfolgreichsten und populärsten Tennisspielerinnen ab, die Deutschland je hervorgebracht hat“, teilte DTB-Präsident Dietloff von Arnim mit, „mit ihrem besonderen Kampfgeist und der großen Leidenschaft auf dem Platz war sie stets ein strahlendes Vorbild für den Nachwuchs“. Letzteres wird sie nach Paris nun erst mal für Töchterchen Liana sein.

Letzte Vorbereitung in Paris: Angelique Kerber beim Training für ihre Auftritte im Einzel und im Doppel. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Wegen der Geburt ihres ersten Kindes hatte sich Kerber eine Auszeit nehmen müssen, zu dieser Saison war sie zurückgekehrt, doch ihr Comeback verlief dann doch enttäuschend. Bei den Australian Open, den French Open und in Wimbledon verlor sie jeweils in der ersten Runde. Nun hat sie die Zeichen der Zeit erkannt und mit der Ankündigung des Karriereendes die Konsequenz gezogen. „Und obwohl dies tatsächlich die richtige Entscheidung sein könnte, wird es sich nie so anfühlen“, gab sie zu. „Ganz einfach, weil ich den Sport von ganzem Herzen liebe.“

Verlassen wird sie ihn sicher auch nach der Karriere nicht, schon laufen Gerüchte, sie könnte Turnierdirektorin in Berlin werden. An Angeboten wird es dieser herausragenden deutschen Spielerin sicher nicht fehlen.

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