Angelique Kerber:Ohne Ballast

2018 Sydney International - Day 7

Kerber hat sich ein neues Team aufgebaut und viel trainiert – 2018 soll wieder ein Jahr werden, in dem sie sich über Erfolge freuen kann.

(Foto: Zak Kaczmarek/Getty Images)

Die Bremerin gewinnt ihren ersten Titel seit 2016 und lässt ihre Gegnerinnen wieder verzweifeln.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Sonne scheint auf Barbara Rittner, die auf einer Rattancouch auf der Terrasse sitzt und sich eincremt. Es ist zwar nicht brüllend heiß, um die 22 Grad, aber in Australien müsse man immer aufpassen, hatte Rittner zuvor ermahnt. Dieses Jahr ist auch für die 44-Jährige ein spezielles. Erstmals ist sie in Melbourne beim ersten Grand-Slam-Turnier der Saison in ihrer Funktion als Head of Women's Tennis aktiv - nach einem Jahrzehnt als Fed-Cup-Teamchefin.

Vergangene Woche durfte sie von der Heimat aus den Turniersieg von Julia Görges kommentieren, nun analysiert Rittner den nächsten deutschen Erfolg: Angelique Kerber, die 2016 zwei Grand Slams gewann, zur Nummer eins wurde, dann 2017 deutlich weniger erreichte, triumphierte am Samstag beim WTA-Turnier in Sydney. Rittner hatte das irgendwie geahnt. "Im Dezember haben wir lange telefoniert", erzählt sie. Es ging um Dies und Das, und ein Eindruck blieb bei Rittner hängen. "Sie sprach begeistert über ihren neuen Trainer Wim Fissette. Sie fühlt sich bei ihm gut aufgehoben." Rittner spürte da schon: "Ihre Ausstrahlung ist ganz anders." Das war ein gutes Zeichen.

Mit 2017 hat sie abgeschlossen, darüber will sie nicht lange reden

Ein paar Stunden später taucht Angelique Kerber in Melbourne auf, erst trainiert sie, dann steht eine Presserunde mit deutschen Journalisten an. Von Beginn an strahlt sie aufgeräumte Klarheit aus. "Ich will gar nicht so lange über das vergangene Jahr reden", sagt sie sofort, "2017 ist abgeschlossen." Nur ein Finale hatte sie erreicht, in Mexiko, aber sonst zu oft zu früh verloren. Sie rutschte auf Rang 22 der Weltrangliste ab, von Rang eins. Kerber selbst hat auf ihrer Homepage einen Text veröffentlicht, in dem von einem Absturz die Rede ist. Demnach sah sie es selbst so.

"Ich wusste, ich muss etwas ändern", das sagt sie jetzt einmal doch kurz erinnernd zu 2017. Im November hatte sie sich bekanntlich von Langzeit-Coach Torben Beltz getrennt. Der Belgier Wim Fissette kam, der schon mit Kim Clijsters Grand-Slam-Titel errungen und Sabine Lisicki ins Wimbledon-Finale geführt hatte. Kerber baute ein neues Team auf. Zwei Physiotherapeuten wechseln sich nun ab, ein Fitnesstrainer kam hinzu, neue Hitting Partnerebenfalls. Aber nicht alle aus dem Team sind in Melbourne dabei. Weil das nicht nötig sei. "Ich fühle mich sehr gut", betont Kerber, die in Sydney mit dem 6:4, 6:4-Finalsieg gegen die Australierin Ashley Barty ihren ersten Titel seit den US Open 2016 errungen hat. "Ich weiß, was ich auf dem Platz zu tun habe."

Die Gegnerinnen von Kerber verzweifeln jetzt wieder an ihr

Kerber fiel bei ihren insgesamt neun Siegen in Perth beim Hopman Cup und in Sydney mit einer fast vergessenen Eigenschaft auf: Sie schafft es wieder, ihre Gegnerinnen verzweifeln zu lassen. Sie bringt die Bälle immer wieder aggressiv zurück. Sie schenkt wenig Punkte her. Das zermürbt die anderen Spielerinnen. In der vergangenen Saison schien eher sie die Zermürbte gewesen zu sein.

An diesem Dienstag trifft sie in der ersten Runde der Australian Open, die sie 2016 so spektakulär gewann, auf ihre deutsche Kollegin Anna-Lena Friedsam. So, wie sie spricht, wirkt Kerber, als sei sie in jüngster Vergangenheit viel inneren Ballast losgeworden. "Druck mache ich mir nicht", stellt sie klar. Sie denkt jetzt wieder mehr an ihr Tennis, an sich und nicht mehr daran, anderen etwas beweisen oder recht machen zu müssen. Sie habe viel an der Fitness gearbeitet, "Fitness war immer wichtig für mein Spiel", sagt Kerber. Sie habe ihren Aufschlag verbessert, er fühle sich schon sicherer an. Auch das war wichtig für Kerber. Sie brauche indes noch Zeit, im Zusammenspiel mit Fissette. Das alles trug sie klar vor, ohne Endlossätze.

Eine Prognose für die neue Saison? "Ich traue ihr ein ähnlich erfolgreiches Jahr zu wie 2016", sagt Barbara Rittner. Für Kerber sei es ein riesengroßer Schritt gewesen, ihr Team auszutauschen: "Sie ist ein treuer Mensch und hängt an Gewohnheiten." Aber es könnte dauerhaft die richtige Entscheidung gewesen sein. Der Titel von Sydney ist jedenfalls ein Indiz dafür. Eine Garantie aber nicht, Kerber kann das einordnen. "Sydney ist abgehakt, jetzt fängt Melbourne an", sagt sie entschlossen. Sie weiß, dass Siege Selbstvertrauen geben. Besonders vor einem Grand Slam. Und manchmal hilft es, die Dinge nicht zu verkomplizieren.

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