Angelique Kerber:Ein Hauch von Tenniswelt

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Für fast jede Tennisspielerin die schönste Schale überhaupt: Angelique Kerber mit dem, was Wimbledonsiegerinnen bekommen. (Foto: Toby Melville/Reuters)

Wimbledonsiegerin Angelique Kerber begann ihre Karriere in Kiel. Ein Besuch bei der TG Düsternbrook.

Von Thomas Hahn, Kiel

Über die Ferienangebote der Tennisgemeinschaft (TG) Düsternbrook kann die Vorsitzende Hella Rathje mit leisem Stolz sagen, dass sie gut angenommen werden. Es könnte demnach auch einfach Zufall gewesen sein, dass am Montag gleich sechs Leute auf sie zukamen und sagten, sie wollten im Verein Tennis lernen. Vielleicht war es aber auch kein Zufall. Sechs Leute - das ist viel für die Urlaubszeit, in der viele mit ihren Kindern aus Kiel in die Ferne reisen oder an den Stränden ihres Heimat-Bundeslandes Schleswig-Holstein Entspannung suchen. Sechs Leute. "Das wundert mich", sagt Hella Rathje und lächelt. Vielleicht war das ja doch so etwas wie ein Angelique-Kerber-Effekt, der Anfang einer neuen Tennis-Bewegung, die ihren Ursprung am Samstag hatte, als Angelique Kerber, 30, einst Mitglied der TG Düsternbrook, in Wimbledon das wichtigste Turnier der Welt gewann. "Ich weiß es nicht", sagt Hella Rathje und lächelt immer noch.

Irgendwo nimmt jede Sportlerkarriere ihren Anfang, und die von Angelique Kerber hat hier begonnen: am Karolinenweg in Kiel-Düsternbrook, nur einen verzogenen Aufschlag von Landtag und Förde entfernt, auf der schönen, prunklosen Erbpacht-Anlage des Stadtteil-Klubs TG Düsternbrook von 1898. Hella Rathje sitzt auf der Terrasse des Klubhaus-Restaurants. Es ist ein warmer Abend, die Schatten der Bäume werden länger. Von den Sandplätzen weht das Ploppen der Tennisbälle herauf. Hella Rathje schaut immer wieder hinunter auf die bewegte Idylle der Felder, als wolle sie, die fürsorgliche Chefin, ihren Verein während des Gesprächs nicht aus den Augen lassen. Auf allen Plätzen spielt jemand. Der Verein lebt. Alles in Ordnung.

Und jetzt fällt also auch noch ein bisschen etwas vom Wimbledon-Glanz auf die TG. 2016 waren auch schon Medien hier, als Hella Rathje und andere Mitglieder an einem Januar-Morgen um fünf im Klubrestaurant zusammenkamen, um Angelique Kerbers ersten Grand-Slam-Erfolg zu erleben, damals, bei den Australian Open in Melbourne. Aber ein Wimbledon-Sieg ist eine weitere Steigerung, das macht die frühere Vereins-Teamspielerin noch berühmter - und die TG damit auch. Oder?

Hella Rathje, 61, ist eine bedächtige Frau mit Humor. Sie hält wenig davon, sich mit fremden Lorbeeren zu schmücken. Stimmt schon, Angelique Kerber hat ihre ersten Bälle auf der Düsternbrooker Anlage gespielt, da war sie drei. Aber ist das schon ein Verdienst, wenn ein Klub für ein Talent das ist, was er aus seiner Natur heraus für andere auch ist, nämlich eine Stätte für Training, Spiel und Wettbewerb?

Ihr Vater Slawek brachte sie damals mit, ein früherer polnischer Spitzenspieler und Tennistrainer, den die TG 1988, in Angeliques Geburtsjahr, aus Bremen nach Kiel geholt hatte. Hella Rathje erinnert sich gut an die kleine, willensstarke Angelique. "Sie war immer mit den Eltern auf dem Platz." Mutter Beata arbeitete im Tenniscenter an der Christian-Kruse-Straße, dort wohnten die Kerbers auch. Angelique wurde also praktisch in das Spiel hineingeboren, und später entwickelte sie einen Ehrgeiz, der sie von anderen Kindern abhob. "Wenn keiner Zeit hatte, mit ihr zu spielen, dann ist sie eben an die Wand gegangen oder hat gegen die Garage gespielt", sagt Hella Rathje. Zum 100. Jubiläum führte der Verein ein Jugendranglisten-Turnier ein, das Angelique prompt zwei Mal gewann.

Mit Zwölf spielte sie im Landesliga-Team der Frauen. Mit 13 musste sie weiterziehen. "Dann konnten wir das vom Geld her nicht mehr", sagt Hella Rathje. Der Einstieg in die Tenniskarriere ist teuer. Training, Wettkampfreisen, Startgebühren. Angelique brauchte mehr als die familiäre Atmosphäre der TG, die sich wiederum nicht von ihren Prinzipien verabschieden wollte. "Im Grunde muss man als Verein mit seiner Gemeinnützigkeit aufpassen, dass man einzelne Personen nicht besonders unterstützt. Deswegen waren bei uns irgendwann die Grenzen erreicht."

Und deswegen möchte Hella Rathje ihren Klub jetzt auch nicht zu hell erstrahlen lassen im Lichte der Kerber-Erfolge. Immer wieder ist Hella Rathje gefragt worden, ob der Verein stolz sei auf das frühere Düsternbrooker Deern Kerber. Immer wieder antwortete sie: "Wir sind nicht stolz, wir freuen uns." Sie erklärt, warum sie das so sieht: "Stolz hat damit zu tun, dass man zu einem Erfolg beigetragen hat. Es wäre eine Anmaßung, wenn wir sagen würden, wir haben sie da hingebracht."

Auf Anfrage schickt Angelique Kerber Autogramme. Im Gastraum hängt ein unterschriebenes Foto von ihr mit dem Australian-Open-Pokal. Aber dass Angelique Kerber noch viel mit ihrem Jugendklub zu tun hat, kann man nicht sagen. Hella Rathje findet das okay, zumal ja auch ein 550-Mitgliederverein sein Eigenleben hat. Er muss Räume für Bewegungserziehung und aktive Freizeitgestaltung schaffen mit seinen Trainern und Programmen. "Wir passen uns den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen immer zeitnah an", sagt Hella Rathje. Ballschule für Bambinis. After-Work-Training für berufstätige Individualisten. Lady-Treff für junggebliebene Seniorinnen. Die TG geht an Schulen, um das Spiel zu verbreiten. 2016 unternahmen die Mitglieder das Wagnis, für eine Million Euro eine eigene Halle zu bauen. Und der größte TG-Star kommt aus einer anderen Zeit: Kay Lund spielte 1937 im Daviscup. Das jährliche TG-Turnier und das Restaurant im Klubhaus tragen seinen Namen.

Die Kerber-Siege sind trotzdem eine Hilfe für den Verein. Sie bringen Abwechslung in den Alltag der Ehrenamtlichen, gemeinsamen Jubel, ein Thema, über das man sich austauschen kann. Hella Rathje mag diese Momente, in denen die TG Düsternbrook mit ihren weltlichen Problemen ein Hauch von großer Tenniswelt anweht. Aber sie mag es auch, dass Tennis mehr ist als Profisport. Neulich gastierten die Special Olympics auf der TG-Anlage, die Spiele der Menschen mit geistiger Behinderung. Hella Rathje erzählt von schönen Spielen und rührenden Begegnungen. Sie schwärmt davon mehr als vom gelungenen Wimbledon-Finale mit Angelique, das sie auch gerne gesehen hat.

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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