Angelique Kerber:"Die 1 ist nur eine Zahl"

Wie verwandelt man als Weltranglistenerste Druck in positive Energie? Angelique Kerber hat sich viele Gedanken gemacht - bei den French Open will sie endlich die Erfolge von 2016 bestätigen.

Von Gerald Kleffmann, Paris/München

Im Foyer des Versicherungskonzerns Generali drängten sich die Mitarbeiter, fast jeder wollte auf dieses Selfie, mit ihr, der Markenbotschafterin. Angelique Kerber sah fesch aus, Seidenblüschen, schwarze, enge Hose, wallendes Haar, sie lächelte entspannt, während eine Person nach der anderen sich neben sie stellte. Klick. Klick. Ein Star zum Umfassen, sagen Marketingleute zu solchen Momenten, und ein bisschen war in diesem Moment, bei Kerbers letztem Werbetermin bei einem ihrer Sponsoren in München vor der Abreise nach Paris, dieses Gefühl spürbar, dieses Gefühl von 2016: Kerber ist auf der Welle. Und andere freuen sich mit.

Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Jetzt ist ja die Lage jener Sportlerin, die im vergangenen Jahr zwei Grand Slams gewann, eine neue. Sie wird deutlich, als Kerber sagt: "Das Jahr ist allgemein für mich ein anderes. Eine Superherausforderung." Sie sagt, zu ihren Zielen bei den French Open, die an diesem Sonntag beginnen: "Manchmal ist es gut, wenn nicht so mit einem gerechnet wird. Und man ein bisschen überraschen kann." Kerber ist übrigens die Nummer eins der Welt. Wie kann man da überraschen?

Italian Open tennis tournament in Rome, Italy - 17 May 2017

Das Jahr 2017 ist für sie die größte Herausforderung: Angelique Kerber, hier bei ihrem frühen Aus in Rom vor zwei Wochen.

(Foto: Ferrari/EPA)

Ja, zwischen Schein und Sein hat sich eben etwas bewegt im Kosmos von Kerber. Im vergangenen Jahr war sie lange nicht die Nummer eins, spielte aber meist wie eine. In diesem Jahr ist sie nun die Nummer eins, spielte aber eher wie die Nummer 35. Sie hat noch keine ihrer Top-Ten-Kolleginnen besiegt, weil sie in Turnieren kaum in Verlegenheit kam, auf eine zu treffen. Sie verlor zwölf Mal, oft früh. In Madrid gab sie bei 3:6, 0:5 gegen die Kanadierin Eugenie Bouchard auf. In Rom führte sie gegen die estnische Qualifikantin Annett Kontaveit 4:2 - Ende: 4:6, 0:6. "Ich habe vielleicht diesen Kick gebraucht", sagt Kerber, die nach ihren Oberschenkelproblemen wieder fit ist. Sie wolle "kein großes Drama draus" machen. Sie habe gemerkt, dass es gut war, Gelegenheit zum Reflektieren gehabt zu haben. "Man braucht Zeit, um sich neu zu orientieren. Man geht drei Schritte zurück, dann aber auch vier Schritte nach vorne." Sie klang klar wie lange nicht.

Zu Hause in Puszczykowo, Polen, wo sie lebt, hat sie mit Trainer und Manager viel geredet. Zaghaft deutet sie an, dass ein "Champion", eine frühere Tennis-Größe, eventuell mal ins Team kommen könnte, wie es bei den Männern seit längerem populär ist. Mit Steffi Graf hat sie schon zwei-, dreimal trainiert. Aber sie wird keinen feuern, schon gar nicht den loyalen Coach Torben Beltz. Ihr Bewusstsein scheint dafür neu justiert zu sein. Es hatte schon fast etwas Kokettes, wie Kerber über ihre seit zwei Jahren schlechte Bilanz auf Sand ohne Strenge sprach, wie sie zugab, dass die "1 nur eine Zahl vor meinem Namen" sei. Kerbers größte Hürde war und ist es stets, Druck zu kanalisieren. "Da habe ich sicher noch die meiste Luft nach oben", räumt sie ein. Man kann an der Last der 1 verzweifeln. Oder sich sagen: Dann sollen die anderen sich jetzt zeigen! Und: Gut auch, dass in Alexander Zverev ein deutscher Mann in den Fokus rückt! Das nimmt auch Druck weg! Kerber versucht es jetzt genau mit dieser Perspektive. Und hat regelrecht Freude an ihr. "Das ist alles auf sehr hohem Niveau", sagt sie über ihre Zweifel. Sie lächelt dazu.

Makarowa und Verdasco: Erstrunden-Ansetzungen der French Open

Frauen

Kerber (Kiel/Nr. 1) - Makarowa (Russland)

Görges (Bad Oldesloe) - Brengle (USA)

Barthel (Neumünster) - Pironkowa (Bulgarien)

Witthöft (Hamburg) - Davis (USA/25)

Beck (Bonn) - Sewastowa (Lettland/17)

Petkovic (Darmstadt) - Lepchenko (USA)

Maria (Bad Saulgau) - Ying-Ying Duan (China)

Männer

A. Zverev (Hamburg/Nr. 9) - Verdasco (Spanien)

Kohlschreiber (Augsburg) - Kyrgios (AUS/18)

Struff (Warstein) - Berdych (Tschechien/Nr. 13)

Brown (Winsen/Aller) - Monfils (Frankreich/15)

M. Zverev (Hamburg) - Qualifikant

Mayer (Bayreuth) - Carreno Busta (Spanien/20)

In Paris hat sie nichts zu verteidigen, letztes Jahr verlor sie gleich gegen die Niederländerin Kiki Bertens, diesmal startet sie zwar gegen eine sehr schwere Gegnerin, die Russin Jekaterina Makarowa, die einst Halbfinalistin in Melbourne war und ebenfalls Linkshänderin ist. Aber ansonsten fehlen die schwangere Serena Williams und Maria Scharapowa, weil sie nach ihrer Dopingsperre keine Wildcard erhielt. Und auch wenn Petra Kvitova nach einer überstandenen Messerattacke bereits in Paris zurückkommt, so sind Favoritinnen doch nicht auszumachen.

Ob das Feld offen sei, also auch ihre Chance? Normalerweise bestätigt Angelique Kerber dann immer genau dies. Jetzt sagt sie aber: "Ich denke nur an meine Matches." Sie will sich nur auf sich besinnen. Denn eines gibt sie auch zu: "Ich kann Druck nicht wegzaubern." Also muss sie endlich lernen, mit dem neuen als Weltranglisten-Erste umzugehen.

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