Andri Ragettli:"Es ist unglaublich, wie er Ski fährt"

19 03 2017 Ski Stadium Sierra Nevada ESP FIS Freestyle Ski and Snowboard WM Sierra Nevada 2017; Andri Ragettli

Schweizer Flugkünstler: Freeskier Andri Ragettli, 19, hat sich bereits in der Weltspitze etabliert.

(Foto: imago/Eibner Europa)
  • Freeskier Andri Ragettli wurde durch seine akrobatischen Youtube-Videos bekannt.
  • Für die Olympischen Winterspiele plant der 19-Jährige etwas Spezielles.
  • Dann muss er auch die Kampfrichter überzeugen - bei denen er nicht immer gut ankommt.

Von Emil Bischofberger, Zürich

Sogar die britische Boulevardpresse ringt mal um Worte. Der Daily Mirror beendete im September einen Artikel wie folgt: "Merkt euch diesen Namen: Andri Ragettli. Unglaublich."

Einige Stunden zuvor hatte der Schweizer Freeskier ein Video auf Youtube hochgeladen. Es zeigte ihn nicht wie üblich mit den Skiern kopfüber durch die Luft wirbelnd. Sondern in einer nüchternen Turnhalle. Der 19-Jährige hatte sich mit allerlei Turngeräten einen komplexen Hindernisparcours aufgebaut, den er balancierend und saltoschlagend absolvierte.

Das Video wurde zum viralen Hit, unzählige Male geteilt und bis heute mehr als 80 Millionen Mal angeschaut. Ragettli hat ein Händchen für solche Aufnahmen. Bereits vor einem Jahr hatte er auf ähnliche Weise einen Hit gelandet, auch damit sammelte er bis heute 60 Millionen Views.

Doch Ragettli ist viel mehr als ein Klickmillionär. Eine breitere Öffentlichkeit mag nun wohl glauben, dass die kühne Artistik seine Sache ist. Tatsächlich ist das nur so etwas wie Ragettlis Aufwärmprogramm. Beim täglichen Werk fliegt er zwar auch durch die Luft, aber deutlich wilder. Für den Freeskier sind Sprünge mit dreifachen Überschlägen - Triplecorks oder kurz Triples - Routine.

"Es ist unglaublich, wie er Ski fährt. An einem Trainingstag auf dem Berg macht er erst linksherum ein paar Triples, dann rechtsherum. Andere Fahrer machen an einem Tag vielleicht zwei oder drei. Andri halt zehn." Das sagt nicht sein erster Fan, sondern Misra Noto, der Schweizer Nationaltrainer der Freeskier. Seine Einschätzung lieferte Noto telefonisch aus Font-Romeu, wo die Freeskier vor Weihnachten am Fuß der Pyrenäen ihren letzten Weltcup des Jahres bestritten - ohne Ragettli. Der trainierte zuletzt in Engelberg in der Schweiz, wo er das Sportgymnasium besucht. Ragettli sagt: "Die Pause tut mir gut, so kann ich ein letztes Mal Abstand nehmen, um mich auf andere Sachen zu konzentrieren."

Schulstress und Olympia

Ragettli steht im letzten Schuljahr am Sportgymnasium, nach der Olympiasaison folgen die Abschlussprüfungen. So konnte er in den vergangenen Wochen den Rückstand, den er sich seit Sommer bereits wieder eingehandelt hatte, etwas verkleinern. Athleten wie er, die früh in die Weltklasse vorstoßen, fehlen bis zu 40 Tage, was beträchtlich ist angesichts der 180 Schultage pro Jahr.

Die Pause gehört allerdings nicht zu einem ausgeklügelten Saisonplan. Beim Big-Air-Weltcup in Mailand im November war Ragettli zwar auf den dritten Platz gesprungen, verletzte sich aber bei einer nicht optimalen Landung am Knie. Er erlitt leichte Zerrungen am Innenband und eine Meniskusverletzung.

Nervös macht ihn die Pause nicht, die Rückkehr in seine Welt, die Freeski-Welt, ist absehbar. Am 4. Januar fliegt er mit seinen Teamkollegen nach Nordamerika, wo die letzten Wettkämpfe vor den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang (9. bis 25. Februar) stattfinden. Qualifikationsstress hat er nicht, dessen entledigte er sich bereits im August bei der ersten Gelegenheit, mit einem zweiten Platz beim Weltcup in Neuseeland.

Ragettli fehlt laut den Judges der Style

Ragettli ist erst 19, doch hat er sich in den vergangenen Wintern etabliert. Als er vorletzte Saison als 17-Jähriger die erste Weltcup-Kristallkugel gewann, wunderte man sich in der Szene über den rotbackigen Jungen. Heute kämpft er nur noch bei einer Personengruppe um etwas mehr Anerkennung. Bei jener allerdings, die im Freeski entscheidet: den Judges, den Kampfrichtern.

Bislang erhielt Ragettli oft etwas tiefere Punktzahlen als Konkurrenten für ähnliche Darbietungen. Die diffuse Begründung: Ihm fehle der Style. Der Schweizer Nationaltrainer Noto spricht von "Flow" und "Smoothness", vage Kategorien, in denen Ragettli noch zulegen könne. Diese Begriffe exakt zu übersetzen, ist ähnlich schwierig wie herauszufinden, was exakt die Kritiker verbessert sehen wollen. Der Versuch einer Erklärung: Es reicht nicht, die Sprünge sauber zu landen. Der Athlet hat das Spektakel auch so elegant und mühelos wie nur möglich aussehen zu lassen. Was eben deutlich schwieriger ist, wenn man wie Ragettli diverse Höchstschwierigkeiten zeigt, die längst nicht jeder Konkurrent beherrscht.

Daran arbeitet Ragettli, denn die Tricks für Olympia hat er längst verinnerlicht. "Ich weiß schon recht genau, was ich zeigen werde. Du musst sicher mit den Dreifachsaltos kommen", sagt er: "Und etwas Spezielles sollte auch dabei sein. Ein Sprung mit dem Wow-Effekt." Daran sollte es bei ihm definitiv nicht scheitern. Eine Medaille will er in Südkorea gewinnen, "das ist ganz klar so". Zu ausführlich will er über dieses Ziel nicht sprechen, die Erwartungen steigen früh genug.

Ragettli erforscht den "perfekten Post"

Vielleicht ist es also gut, dass auch sonst noch einiges los ist. Seit dieser Saison produziert er seinen eigenen Video-Blog, in englischer Sprache. Warum? "Ich finde es wirklich spannend." Auch in seiner Matura-Arbeit in der Schule beschäftigt er sich mit Sozialen Medien, der Titel lautet: "Der perfekte Post." Ragettli weiß: "Als Sportler kannst du dich auf diesen Plattformen vermarkten, deinen Namen größer machen."

Schon als Zwölfjähriger veröffentlichte der Junge aus Laax in Graubünden erste Videos, die qualitativ manchen Hobbyfilmer neidisch machen dürften. Die Professionalität zieht sich durch den Alltag. Im Sommer 2016 entschied er sich, fortan auf Süßgetränke zu verzichten, seither trinkt er Wasser statt Cola und Fanta.

Wie schrieben es jüngst die Briten? Ragettli! Merken! Unglaublich!

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