Jedes Land hat seinen Kennedy-Moment, einen Augenblick, der sich im kollektiven Bewusstsein verewigt. Es sind oft Momente der Erschütterung und Angst, im Falle Spaniens zum Beispiel: der faschistische Putschversuch vom 23. Februar 1981. Am Dienstag sagte ein 40-jähriger Mann dem Fußball Lebewohl, der seinem Land eine andere Art Kennedy-Moment bescherte, einen Augenblick unauslöschlichen Glücks: Andrés Iniesta, der am 11. Juli 2010 den ersten (und bislang einzigen) Weltmeistertitel Spaniens sicherte, indem er im WM-Finale von Johannesburg in der 116. Minute gegen die Niederlande den Siegtreffer erzielte. „Ich war dort, um zu vollenden. Aber dieses Tor haben wir alle erzielt“, sagte Iniesta. „Es war nur möglich dank der Magie aller.“
Etwas Ähnliches gilt auch für den anderen „Iniestazo“, das zweite unauslöschliche Iniesta-Tor: den Treffer an der Stamford Bridge von 2009, durch den sein damaliger Verein, der FC Barcelona, den FC Chelsea aus der Champions League warf und das Finale erreichte. Es irrte, wer meinte, Iniesta würde die Treffer hierarchisieren, „unmöglich“. Jedes Tor symbolisiere „in seinem jeweiligen Kontext und in seiner Größe“ das fußballerische Leben Iniestas, „die Auswahl und Barça“.
Was für einen Klang beide damals hatten: Spanien holte nicht nur die WM 2010, sondern auch die EM-Titel von 2008 und 2012; Barça gewann 2009 erstmals in der Vereinsgeschichte das Triple, unter dem späteren Bayern-Trainer Pep Guardiola und mit Lionel Messi und Xavi Hernández. Nur eine Trophäe blieb Iniesta verwehrt: der Ballon d’Or für den Weltfußballer des Jahres. Ja, so ein goldener Ball wäre schön gewesen, sagte er. „Aber für mich war das Foto mit Leo und Xavi Preis genug, dass da (2010) drei Spieler aus dem gleichen Hause auf dem Podium waren“, sagte Iniesta. Denn Messi, Xavi und Iniesta waren in der Masía groß geworden, dem Nachwuchszentrum Barcelonas.
Wenn es nach Iniesta gegangen wäre, hätte er bis zum 90. Lebensjahr weitergespielt
Iniesta war dort im Alter von zwölf Jahren eingezogen, er kam aus einem Ort namens Fuentealbilla in La Mancha, den damals niemand kannte und der heute jedem Spanier geläufig ist. Auf der 460 Kilometer langen Strecke habe man Rast gemacht, doch niemand habe essen können, erzählte der Vater. Zu groß sei die Furcht des Buben vor der Einsamkeit gewesen, zu groß die Sorgen der Eltern vor der Zukunft. Sie hielt 40 Titel bereit, darunter vier Champions-League-Trophäen, Frührentner-Stationen in Japan und Dubai, aber auch dunkle Momente. Iniesta machte vor Jahren öffentlich, unter Depressionen gelitten zu haben. Der plötzliche Herztod seines Freundes und Kollegen Dani Jarque von RCD Espanyol, an den er in Johannesburg auf einem T-Shirt erinnerte, das er unter dem Trikot trug, ließ ihn erkranken.
Auch durch den Fußball, dem er so viel gab, fand er aus diesem Tief heraus. „Andrés ist einer der wenigen Fußballer der Geschichte, die erst Professor und erst dann Schüler waren“, sagte Llorenço Serra Ferrer, der Iniesta in die erste Mannschaft hochzog, als er 16 war. Iniesta hatte damals schon alles, was ihn berühmt machen sollte: begnadete Technik, überragende Übersicht, famoses Spielverständnis. Unter den Kameraden, mit denen er zusammengespielt hat, sei Iniesta einer „mit der meisten Magie“, teilte Messi mit.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er bis zum 90. Lebensjahr weitergespielt, sagte Iniesta, aber der Körper spielt nicht mehr mit. Er wolle dem Fußball verbunden bleiben – und seine Trainerausbildung angehen. Dem aktuellen Barça-Trainer Hansi Flick, der neben Vorgänger Xavi und Präsident Joan Laporta unter den Ehrengästen war, droht darob keine Gefahr. „Ich hoffe, dass der Míster sehr viele Jahre bleiben kann, es wäre ein großartiges Zeichen für unseren Klub und dafür, dass die Dinge laufen. Wir sind sehr glücklich mit ihm“, sagte Iniesta. „Ich habe keinen Zweifel, dass seine Arbeit fantastisch ist und bleiben wird. Das einzige, was wir Außenstehenden tun können, ist, ihn zu unterstützen“. Doch dass er zu gern zum FC Barcelona zurückkehren würde, das sagte Iniesta auch.