Skifahrer Andreas Sander:Bereit für den ganz großen Satz

Men's Downhill

Auf dem Sprung: Andreas Sander bei der Abfahrt in Val d'Isère.

(Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Thomas Dreßen fehlt verletzt, Viktoria Rebensburg ist zurückgetreten - doch es gibt eine frohe Botschaft für das deutsche Team: Plötzlich fährt Abfahrer Andreas Sander gnadenlos schnell.

Von Johannes Knuth

Abdrücken, anschieben, erster Druck auf die Skikanten. Und dann war es auf plötzlich schon da, sagte Andreas Sander, dieses ganz spezielle Gefühl.

Abfahrer im alpinen Rennsport gelten oft als wilde Hunde, es ist ein Mythos, der sich aus einer wilden Vergangenheit speist und ein wenig auch aus der Dichtung. In Wahrheit ruhen Abfahrer meist in sich selbst, sonst würden sie diesen Sport auf der Kante gar nicht lange überstehen; manche sind auch sehr sensibel: Kaum ist der Skischuh einen Zentimeter weiter vorne auf der Skiplatte montiert, glaubt der Fahrer, der am Vortag noch schwer gehadert hatte, dass er mit seinem Arbeitsgerät verschmolzen ist. So in etwa muss sich auch Andreas Sander gefühlt haben, als er zuletzt die erste Abfahrt dieses WM-Winters in Val d'Isère hinunterbrauste: "Mega happy" sei er, ein "mega Einstand" sei das gewesen, "mega viel Selbstbewusstsein" nehme er nun mit zu den nächsten Rennen an diesem Wochenende in Gröden. Für den 31-Jährigen aus Ennepetal-Rüggeberg, der selbst seine Fortschritte nicht gerade mega bejubelt, war das durchaus eine Emotionsarie.

Die ganz großen Erfolge beschafften bislang die Teamkollegen

Siebter war Sander in der Abfahrt geworden, nach Rang acht im Super-G. Klingt unspektakulär, aber so umkämpft wie die Alpinrennen seit Jahren sind, geht so ein siebter Platz, drei Zehntelsekunden hinter dem Dritten, schon mal als heimlicher Podestbesuch durch. Das war auch eine willkommene Nachricht für den Deutschen Skiverband, dem mancher Podiumsgarant zuletzt abhanden gekommen war, in Felix Neureuther, Viktoria Rebensburg (Rücktritt) und Thomas Dreßen (Hüft-OP); eine Ausnahme war zuletzt der starke Technikspezialist Alexander Schmid. Vor allem aber war der Speed-Auftakt in Frankreich auch eine kleine Befreiung für Sander, wie er später am Telefon erzählte: Er habe oft gehadert, "dass ich im Rennen nicht die Schwünge durchziehe, die ich im Training eigentlich jedes Mal durchziehe." Diesmal, da habe er sich sofort überwunden. "Das", sagte er, "war ein ganz großer Schritt in die richtige Richtung."

Sander ist einer, der seit Jahren für den Aufschwung der deutschen Abfahrer steht, ein oft gesehener Gast unter den besten Zehn im Weltcup, aber die ganz großen Erfolge beschafften bislang die Teamkollegen: Josef Ferstl gewann 2019 den Super-G in Kitzbühel, 40 Jahre, nachdem Vater Sepp auf der wirklich ruppigen Streif-Abfahrt triumphiert hatte; fast schon zu kitschig war das. Und Thomas Dreßen erst, der vor drei Jahren ebenfalls die Streif als Schnellster zähmte. Wobei wenige heute noch wissen, dass Sander damals bis kurz vor dem Ziel noch schneller war, ehe seine Kraft verdampfte, wegen muskulärer Beschwerden. Er stand noch nie auf einem Weltcup-Podest, sein bester Ertrag war ein fünfter Platz im Super-G in Gröden. Mal fehlten ein paar Zehntelsekunden, mal bremsten ihn Verletzungen. "Bei mir geht es meist nie von null auf 100", sagt Sander, weder in seiner Karriere, die auf einem 300 Meter hohen Hügel im Sauerland begann und bald nach Bayern führte, noch in den Wintern. Seine Bestform hob er sich oft für die Klassiker im Januar und Februar auf, wie einen schicken Anzug für den Abschlussball.

Und nun: der Spätzünder in Frühform?

"Ich bin schon ein bisschen ein spezieller Fahrer", sagt Sander, einer, der "brutales Vertrauen" spüren müsse. Wenn Skischuh, Bindung, Platte und Ski vom ersten Schwung so abgestimmt seien, dass er alles wie gewünscht steuern könne, "dann gebe ich sofort mehr Gas". In Val d'Isère hatte er kurz vor der Abfahrt am Schuh getüftelt, schon war es da, dieses spezielle Gefühl. Aber nur das Material, das war es ja auch nicht. Das hatte in den Jahren zuvor oft schon gepasst, trotzdem war Sander noch nie so gut in eine Saison aufgebrochen.

Diesmal stimmte auch der Angriffsgeist, "Körpersprache", wie Sander zu Recht reklamiert. Er selbst führt das auf viele "Feinheiten" zurück: Das gute Sommertraining, er habe sich mit seinem Servicemann noch besser eingespielt, auch mit Andreas Evers, der die deutsche Speed-Mannschaft im zweiten Jahr betreut. Der Österreicher moderiert seine Arbeit noch etwas ruhiger als sein Vorgänger Christian Schwaiger, der Cheftrainer der DSV-Alpinmänner. Sander findet: "Ich bin da recht ähnlich von der Mentalität her." Er habe aber lernen müssen, dass der Austausch erst gelinge, wenn er Evers auch an seinem Seelenleben teilhaben lässt: "Dass ich nicht nur für mich arbeite", sagt Sander, "sondern auch erzähle, woran ich gerade arbeite."

Evers wiederum, und das ist wohl der Knackpunkt, hat dabei offenbar jene Kompetenz gestärkt, an der es Sander bis zuletzt oft mangelte: dem letzten Funken an Gnadenlosigkeit. Sander ist einer, den die Trainer bei den Pisteninspektionen gerne als eine Art Co-Kapitän heranziehen, kaum einer schätze die Sprünge und die Ideallinie so gut ein wie er. Aber wer nach ganz oben will, muss auch mal weg von der Idealspur, Abfahrten am Limit erfordern oft spontane Kurskorrekturen. Oder in Evers' Worten: "Er braucht die Überzeugung, dass er obi geht, wo er obi muss" - also dort frech hinunter, wo es hinuntergeht. Wie nun in Val d'Isère. Und jetzt?

Er höre das gerade sehr oft, bestätigt Sander: Dass er jetzt endlich bereit sei für das Podium. Aber er findet halt auch: "Solange ich nicht dahinfahre, bin ich's nicht." Ihm sei das schon wichtig, so eine Podestvisite, er sei sich auch "ziemlich sicher, dass das in meiner Karriere irgendwann passieren wird". Aber: "Ich bin viel zufriedener, wenn ich mich fahrerisch deutlich steigere, als wenn ich mit viel Glück einen Podestplatz herausfahre."

Und wenn es bald doch klappt: Einen gebürtigen Westfalen oder eine gebürtige Westfalin auf einem alpinen Weltcup-Podium, das hat es seit Katja Seizinger nicht mehr gegeben.

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