Nationaltrainer von Israel:Auf zwei Punschkrapferl mit Andi Herzog

Israels Nationaltrainer Herzog

An der Seitenlinie gegen sein Heimatland: der Österreicher Andreas Herzog.

(Foto: Robert Jaeger/dpa)
  • Der Österreicher Andreas Herzog trifft am Donnerstagabend als israelischer Nationaltrainer auf sein Heimatland.
  • In Wien findet ein wegweisendes Spiel um die EM-Qualifikation statt.
  • Als Coach ist er sehr unpolitisch, aber er hat einen politischen Auftrag.

Von Christof Kneer, Wien

Der Mann am Nebentisch hat eine Weile zugehört, aber jetzt hält er es nicht mehr aus. Ob er kurz stören dürfe, sagt der Mann vom Nebentisch zu Andi Herzog, sie hätten ja eine gemeinsame Bekannte, die Tante vom Herrn Sowieso, den der Andi Herzog bestimmt auch kenne. Da schau her, sagt der Andi Herzog und tut nahezu glaubwürdig so, als wüsste er, worum es geht. Ja, er sei im Moment wieder daheim bei der Familie, sagt der Andi Herzog, aber morgen früh gehe schon wieder sein Flieger nach Tel Aviv.

"Alles gut bei den Israelis?", will der Mann vom Nebentisch noch wissen. "Passt eh", sagt der Andi Herzog.

Es ist ein schöner Donnerstagmittag Ende September, Andreas Herzog sitzt in der k.u.k. Hofzuckerbäckerei Heiner in Perchtoldsdorf bei Wien. Natürlich kennen ihn die Menschen in diesem Café, dessen Name von der Redaktion keineswegs geändert wurde. Sie finden, dass er immer einer von ihnen geblieben ist, selbst als er Profi bei Rapid Wien wurde und später diese Erfolge bei den Piefkes drüben hatte, bei Bayern München und noch weiter droben in diesem Bremen. In der k.u.k. Hofzuckerbäckerei Heiner gibt es enorm rosafarbene Punschkrapferl, allerdings meint Andi Herzog, sie seien a bisserl klein.

24 Stunden später sitzt Andi Herzog in Tel Aviv im Zimmer einer Apartmentanlage, in die ein bombensicherer Raum eingebaut ist. Es ist der Raum, den ihm der Makler beim Besichtigen gleich als erstes gezeigt hat. Der Gazastreifen ist keine 100 Kilometer entfernt, und als Herzog einmal mit seinem österreichischen Co-Trainer Klaus Lindenberger beim Mittagessen saß, begann sein Handy zu brummen. "Coach, alles okay?" fragten die Leute, "ja klar, warum nicht", schrieb er zurück. Dann schrieben die Leute, dass vom Gazastreifen offenbar eine Rakete Richtung Tel Aviv fliege. "Klaus, was mach mer?", hat Herzog seinen Kollegen gefragt, und dann haben sie weiter gegessen.

Andreas Herzog, 51, lebt im Moment in zwei unterschiedlichen Welten. Am Donnerstagabend im Ernst-Happel-Stadion treffen beide Welten aufeinander. Die österreichische Nationalmannschaft bestreitet ein Heimspiel in der EM-Qualifikation, aber das ist eher indirekt der Grund, warum Andreas Herzog auch da sein wird.

Man muss wissen, dass Herzog einen österreichischen Rekord hält, noch nie ist jemand so oft nicht österreichischer Nationaltrainer geworden wie er. Noch ein Rekord: Noch nie wurde es jemand so oft fast. Andreas Herzog muss selber nachrechnen, wie oft er beim österreichischen Verband schon als Teamchef im Gespräch war, "drei Mal?, na: vier Mal", sagt er.

Konkrete Versprechungen habe es nicht gegeben, sagt Herzog zwischen zwei Bissen Punschkrapferl, womit das Krapferl vollständig verspeist ist, "aber man hat mir beim österreichischen Verband immer signalisiert: Wir pushen dich, du bist jetzt bald dran. Inzwischen glaub' ich aber, dass ich immer nur so eine Art Notplan für die war. Die wussten: Wenn alle Stricke reißen und wir keinen anderen finden, dann nehmen wir halt den Herzog. Ich war wahrscheinlich nie der Topkandidat."

Er bestritt mehr Länderspiele als Krankl und Schneckerl Prohaska

Genommen haben sie dann eh immer einen anderen. Erst Karel Brückner, einen Tschechen, dann Didi Constantini, einen Österreicher, dann Marcel Koller, einen Schweizer. Und zuletzt den immer noch aktuellen: Franco Foda. Einen Piefke.

Andreas Herzog trainiert seit August 2018 die Nationalmannschaft Israels, und mit dieser Mannschaft kommt er nun zum Auswärtsspiel in ein Stadion, das sich wahrscheinlich nicht beschweren würde, wenn man es Andi-Herzog-Stadion genannt hätte. Herzog hat 103 Länderspiele für Österreich bestritten, mehr als die sagenumwobenen Hans Krankl oder Schneckerl Prohaska, von dem das Internet übrigens lächerlicherweise behauptet, er heiße Herbert. Andi Herzog war zu jung, um schon mitzuspielen, als die Österreicher bei der WM 1978 in Cordoba die Piefkes besiegten, aber er hat die Legenden längst überholt. Herzog ist Österreichs Rekordnationalspieler, vor Toni Polster, von dem dasselbe Internet behauptet, er heiße Anton.

Wäre Herzog österreichischer Nationaltrainer, müsste er sich jetzt womöglich mit den Legenden rumschlagen, die immer so herrlich vergiftete Punschkrapferl in ihren Zeitungskolumnen verstecken (aufgrund eines noch nicht näher untersuchten Zufalls gibt es in Österreich ungefähr so viele Boulevardkolumnen, wie es Helden von Cordoba gibt). Die Österreicher sind Dritter in der EM-Qualigruppe G, hinter den favorisierten Polen und den gar nicht favorisierten Slowenen. Nur zwei Teams qualifizieren sich, dieses Szenario liefert Stoff für wunderbare Wiener Kaffeehausprosa.

Andreas Herzog, der Nationaltrainer von Israel, hat am Tag vor dem großen Spiel nicht richtig trainieren können, erst abends, nach Sonnenuntergang. Von Dienstag- bis Mittwochabend haben seine Spieler Jom Kippur begangen, den höchsten jüdischen Feiertag, an dem Fasten und strenge Ruhe vorgesehen sind. Der Fußballtrainer Herzog, der in seinem Fußballleben bisher nur Fußballlogik gewohnt war, hat sich am Mittwoch also fast alleine auf dieses Spiel vorbereitet, das seine Mannschaft sehr dringend gewinnen muss, wenn sie in der EM-Qualifikation noch eine Chance haben will. Während die jüdischen Spieler im Kader eine Synagoge in Wien besuchten, hat der Trainer noch mal ein paar Fußballvideos geschaut und noch mal seine Taktik fürs Spiel überprüft.

Andreas Herzog hat einen Job, in dem er sich am Tag vor dem Spiel um mehr kümmern muss als um das, was Schneckerl Prohaska meint.

Herzog vereint sechs Juden und fünf Araber in einer Elf

In Wien haben sie Herzog als Nationalcoach immer hingehalten und nie gewollt, in Tel Aviv wollen sie ihn unbedingt. In Wien haben sie kürzlich gleich die Kabarettisten in Stellung gebracht, als Herzog nach Israels 2:3-Niederlage in Slowenien vor laufender Kamera losgrantelte, in Tel Aviv waren sie nahezu entzückt. "We are not professionell!", rief Herzog in feinstem k.u.k.-Hofzuckerbäckerei-Englisch, und als der Reporter anmerkte, er wirke ja ziemlich aufgebracht, rief Herzog ziemlich aufgebracht: Schällabiehepppie? ("Shall I be happy?"; Anmerkung für Piefkes). Vor lauter Wut über seine naiv verteidigende Elf soll Herzog Flaschen durch die Kabine geworfen und Stühle zerlegt haben, so wurde es berichtet; ein paar Spieler hätten aus Angst vor dem Trainer geheult.

Wahrscheinlich auch deshalb wollen die Leute am Nebentisch der Hofzuckerbäckerei zurzeit immer wissen, ob alles okay ist mit Herzog und den Israelis.

Natürlich sei er nach diesem Spiel "ein bisschen lauter geworden in der Kabine", sagt Herzog, inzwischen kann er lachen über die Version, die über diesen Abend in Umlauf ist. "Ich habe mich geärgert, weil wir ständig durch einfache Fehler Punkte verschenken, aber ich habe bestimmt keine Flaschen durch die Gegend gefeuert. Nicht mal auf den Tisch gehauen hab' ich. Und dass Spieler wegen mir geheult haben, ist lächerlich. Unser 20-jähriger Manor Salomon hat nach dem Spiel auf dem Platz geweint, er hat gesagt: 'Trainer, warum verlieren immer wir diese Spiele?' Ich bin hin und hab' ihn getröstet."

Als er Spieler bei Werder Bremen war, hat Andi Herzog mal ein paar Monate unter Felix Magath trainiert, seitdem möchte er eines auf gar keinen Fall: dass Spieler Angst vor einem Trainer haben. Er hat erlebt, wie das war, damals. Die jungen Spieler haben gezittert, wenn Magath zur Tür reinkam, wenn er sie unheilverkündend anschwieg und anschließend ein paar tausend Diagonalsprints befahl.

Deshalb, bitte: Seine Spieler haben nicht geheult. Das ist Andreas Herzog wirklich wichtig. Sie haben auch keine Angst vor ihm. Er ist doch "Coach Andy", so nennen sie ihn in Israel.

Mit Staunen hat Herzog zur Kenntnis genommen, welche Karriere sein Schällabiehepppie in Israel gemacht hat: "Nach der Niederlage in Slowenien hätte ich erwartet, dass die Kritik los prasselt, dass die Journalisten mir Vorwürfe machen. Aber dann steht der erste Reporter auf und sagt, ich soll um vier Jahre verlängern! Vier Jahre! Bis zur übernächsten EM-Qualifikation! Alle sagen: Einen Trainer wie diesen Österreicher, der so mit dem ganzen Herzen dabei ist, haben wir noch nie gehabt."

Als Herzog vor mehr als einem Jahr das Angebot aus Israel prüfte, hat er noch gedacht wie ein Fußballtrainer: "Ich wusste, dass die israelischen Spieler kreativ und gut am Ball sind, ein bisschen wie ich früher. Ich seh' mich da manchmal selber auf dem Feld." Inzwischen ist aus dem Fußballtrainer ein Politiker geworden, allerdings einer der unpolitischsten Politiker, die die Geschichte je erlebt hat. "Ich bin völlig unbedarft an den Job ran", sagt Herzog, "und zwar mit Absicht. Ich wusste natürlich, dass es verschiedene Gruppierungen und Glaubensrichtungen gibt, dass in der Mannschaft zum Beispiel Juden und Araber spielen, aber ich wollte bewusst nicht zu tief in diese Geschichte eintauchen. Ich will mich nicht beeinflussen lassen, konzentriere mich aufs Wesentliche - und das ist meine Mannschaft." Herzog leistet sich den Luxus, manches nicht zu verstehen; und so muss er sich manchmal vorkommen wie Forrest Gump, der wirklich nichts Historisches vorhat und plötzlich neben dem Präsidenten im Bild steht.

Um Genugtuung geht es Herzog nicht

Nach dem Heimsieg gegen Albanien hatte ihn ein Reporter gefragt, Coach Andy, wissen Sie eigentlich, dass heute zum ersten Mal in der Geschichte des israelischen Fußballs sechs Juden und fünf Araber gemeinsam in einer Mannschaft standen?

"Ich habe das nicht gewusst", sagt Andreas Herzog.

Jemand hat ihm später erzählt, was die Jerusalem Post darüber schrieb, "da stand wohl, es habe erst ein Österreicher kommen müssen, um Israel zu zeigen, wie Juden und Araber harmonisch zusammen Fußball spielen". Das schönste Lob sei das gewesen, sagt Herzog, "auch wenn es als politisches Statement von mir ja gar nicht beabsichtigt war. Als Trainer stelle ich immer die elf Spieler auf, die für die Mannschaft am besten sind, und das war ein wunderbarer Nebeneffekt".

Wenn er nicht aufpasst, der Andi Herzog, dann gewinnt er mit seinem radikalen Es-lebe-der-Sport-Ansatz aus Versehen noch den ein oder anderen Friedenspreis. Aber vorher will er bitte schon noch dieses Spiel gewinnen, in und gegen Österreich.

Nein, um Genugtuung gehe es ihm im Happel-Stadion nicht, sagt Herzog noch, er würde einfach gerne mal happy sein, wenn der Reporter danach was fragt. Sein Team hat sich extrem verbessert, seit er da ist, das Hinspiel gegen Österreich haben sie 4:2 gewonnen. Aber zuletzt haben sie eben diese naiven Fehler gemacht und aus drei Spielen nur noch einen Punkt geholt, obwohl sie oft nur ein Punschkrapferl vom Sieg entfernt waren. Vierter sind die Israelis nur noch in der Gruppe G, sie müssen jetzt im Grunde jedes Spiel gewinnen.

Ob die Österreicher ihn irgendwann doch noch mal fragen, ob er nicht ihre Mannschaft trainieren mag?

"Mittlerweile schmunzle ich über dieses Thema", sagt Herzog, "wenn es mal sein sollte, ist es okay, wenn nicht, auch okay." Inzwischen ist der Peter Schöttel Sportdirektor beim österreichischen Verband, ein alter Spezl von ihm, "aber ein Reporter hat zu mir gesagt: Jetzt, wo der Schöttel da ist, wirst in Österreich eh kein Teamchef mehr. Ich frag: Warum nicht? Er sagt: Zwei Rapidler, das akzeptieren die Leute nicht".

Andreas Herzog hat es geschafft, dass sechs Juden und fünf Araber miteinander Fußball spielen. Aber zwei Rapidler, das wird schwer.

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