André Schürrle bei der WM:Löws einzige Spezialkraft

World Cup 2014 - Brazil - Germany

André Schürrle freut sich über sein Tor zum 6:0 gegen Brasilien

(Foto: dpa)

Er gibt der Mannschaft einen Schubser, lenkt die Verteidiger ab und schießt Tore: Für André Schürrle läuft die WM optimal - auch wenn er bei Joachim Löw nur Einwechselspieler ist. Im Finale könnte die Mannschaft den 23-Jährigen nun mehr brauchen denn je.

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Wenn die Spezialkraft kommt, hat das Spiel längst eine Richtung. Manchmal ist alles schon entschieden, dann kann sie munter ihre Schnelligkeit zeigen. Einmal benötigte die Mannschaft einen erheblichen Schubser und sogar ein Tor mit der Hacke. Auch das lieferte sie. Und gegen Brasilien, nun ja, da klappte halt einfach alles.

Bundestrainer Joachim Löw hatte in der ersten Turnierphase von den "Spezialkräften" gesprochen, in der Mehrzahl. In den klimatisch schwierigen Bedingungen suchte er nach Spielern, die in der zweiten Halbzeit auf ein Feld voll ermatteter Profis kommen und alles neu justieren können. Die mit frischer Kraft auf die erhitzten gegnerischen Verteidiger rennen und diese damit schlicht überfordern.

Vor dem Finale am Sonntag gegen Argentinien muss Löw bilanzieren, dass ihm nur noch eine wirkungsvolle Spezialkraft übrig geblieben ist: André Schürrle. Die anderen haben sich mitten im Turnier mehr oder weniger verabschiedet (Mario Götze und Lukas Podolski), eine ist nie richtig angekommen (Julian Draxler). Und Miroslav Klose hat sich von der Spezial- zur Normalkraft zurück entwickelt, er spielt nun von Beginn an. "Es ist sehr wichtig, dass wir Spieler haben, die nach ihrer Einwechslung was bewegen können. André bringt immer wieder neuen Schwung in unser Spiel", sagte Löw nach dem Halbfinale.

Schürrle hatte in der zweiten Halbzeit den Fußball-Wahnsinn gegen Brasilien mit zwei Treffern abgerundet, das sechste und siebte Tor für Deutschland erzielt. "Ich wollte einfach reinkommen und wusste, dass ich meine Chancen bekommen werde. Zwei Tore im WM-Halbfinale - das ist unglaublich für mich", sagte der 23-jährige Chelsea-Spieler danach.

Schürrle ist damit zum effektivsten Fußballer der Weltmeisterschaft aufgestiegen. Vor den zwei Halbfinal-Toren hatte er das eminent wichtige 1:0 in der Verlängerung gegen Algerien erzielt. Mit der Hacke. Zum 2:0 lieferte er etwas umständlich die Vorarbeit, als er frei am Torwart gescheitert war und Özil den Nachschuss verwandelte. Das gleiche gilt für das 4:0 gegen Portugal. Drei Treffer und zwei Torbeteiligungen in nur 155 Minuten Spielzeit.

Da könnte manch einem in diesem auf Strahlkraft setzenden Kickergewerbe die Forderung nach einem Startplatz entwischen. Nicht so Schürrle. Der Profi des FC Chelsea hat sich für diese Weltmeisterschaft mit seiner Rolle angefreundet. "Natürlich würde ich gerne von Beginn an spielen, das ist doch klar. Aber ich stelle mich in den Dienst der Mannschaft. Und wenn es so gut funktioniert wie derzeit, dann passt es", erklärte er.

Wieder einen Platz gefunden

André Schürrle hat in seinem Fußballerleben wieder einen Platz gefunden. Zu Beginn seiner Karriere hatte er einen bei den sogenannten Bruchweg-Boys gehabt. Beim FSV Mainz 05 lief er nach jedem Tor mit Adam Szalai und Lewis Holtby zur Eckfahne, die drei spielten den Zuschauern ein imaginäres Lied. Schürrle war der an der Luftgitarre. Sie hatten sogar einen Auftritt im Aktuellen Sportstudio, weil sie so viele Tore schossen und so oft musizierten. Das war eine spaßige Zeit.

Es folgte Leverkusen und man wusste bald nicht mehr, wo der Platz des André Schürrle war. Es schien so, als hätte ihn der Werksklub-Virus infiziert, der zu matter Körpersprache und gebremstem Ehrgeiz führt. Seine Stärken hatte er jedoch nie verloren. Schürrle kann mit dem Ball am Fuß auf einen Gegenspieler zusprinten wie kaum ein anderer, und er hat mit dem rechten Fuß einen genauen Torschuss. Doch in Leverkusen sah man immer seltener etwas davon. Immerhin so oft, dass der FC Chelsea anrief.

Schürrle wollte schon 2012 nach London wechseln, aber Leverkusen ließ ihn nicht gehen. Ein Jahr später nahm der Klub dann die kolportierten 21 Millionen Euro und Schürrle ging. Der Transfer war mutig. Das Risiko, in dem edlen Kader unterzugehen durchaus vorhanden. Doch der 23-Jährige nahm die Herausforderung an. Ähnlich wie in Brasilien bei der Nationalmannschaft.

Er legte mehr als fünf Kilogramm Muskeln zu. Er trainierte verbissen, gehörte zwar selten zur Startelf, doch wie Löw wollte auch Trainer José Mourinho fast nie auf die Spezial-Einwechselkraft aus Deutschland verzichten. Schürrle akzeptierte auch das, sieht es als Lernprozess. Nachdem er in der WM-Qualifikation in Schweden drei Treffer erzielt hatte, sagte er: "Ich glaube, der Wechsel zu Chelsea hat mir gut getan für mein Auftreten. Ich fühle mich gut, bin körperlich fit und selbstbewusst."

Bei der WM ist er bislang in sechs Spielen fünf Mal eingewechselt worden. Nur gegen Ghana blieb er draußen, da gaben Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose dem Spiel die entscheidende Wende. Inzwischen dürften die Mitspieler fast darauf warten, dass an der Seitenlinie der Mann aus Ludwigshafen auftaucht. Sie wissen, dass er seine Schnelligkeit und seinen Willen nutzt, um dem Gegner ganz neue Aufgaben zu stellen. "Mit seiner Dynamik und seinem Torabschluss bringt er jede Mannschaft weiter", lobte ihn Philipp Lahm.

Im einem WM-Finale von der Ersatzbank zu kommen, ist nicht die schlechteste Option. Sollte die deutsche Mannschaft in Schwierigkeit sein, vielleicht sogar zurückliegen, wird sie André Schürrle mehr brauchen denn je.

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