André Myhrer bei Olympia:Vier Jahre Arbeit für 100 Sekunden

André Myhrer bei Olympia: Alter Schwede: André Myhrer ist nun doch Olympiasieger.

Alter Schwede: André Myhrer ist nun doch Olympiasieger.

(Foto: AFP)

Von Johannes Knuth, Pyeongchang

Und dann brach noch mal Hektik aus im Zielraum von Yongpyong, in dem schon alles bereit war für die Zeremonie der Sieger. Henrik Kristoffersen war gerade als Letzter gestartet, er sah zunächst wie der kommende Olympiasieger aus - dann stolperte er plötzlich in den Schnee. Und das wirbelte das Protokoll noch mal kräftig durcheinander. Der Österreicher Michael Matt, der im Ziel minutenlang kernige Flüche abgesetzt hatte, angesichts seines drohenden vierten Platzes, war plötzlich Dritter, er spurtete durch die Mixed Zone zurück zur Siegerzeremonie. Dort traf er auf zwei Fahrer, die ebenfalls im Glück badeten: Der Schweizer Ramon Zenhäuser, der bislang nur bei einem Parallelslalom auf dem Podium gestanden hatte, rückte auf den Silberrang vor. Und der Schwede André Myhrer war auf einmal Olympiasieger.

Olympiasieger?

Großereignisse wie Olympia sind oft so groß, dass die Sportler unter dieser Last sehr schnell sehr klein werden können. Der Slalom am Donnerstag war eigentlich für Marcel Hirscher und Kristoffersen bereitet gewesen; sie hatten in diesem Winter fast alle Weltcups unter sich ausgehandelt, mit einem kräftigen Handelsplus für Hirscher: sechs zu eins. Aber der Österreicher war nun schon im ersten Lauf gestrandet, und jetzt war ein schwedischer Skirennfahrer Olympiasieger, der zweite nach Ingemar Stenmark. "Er ist eine Institution in Schweden", sagte Myhrer über seinen Vorfahren, "mit ihm genannt zu werden, ist eine große Ehre." Auch sonst sei für ihn "ein Traum wahr geworden", natürlich.

In Sotschi schied er noch aus

Nur bei einer Sache geriet er ins Grübeln: "Ich habe mal gesagt, dass ich mir für jeden Sieg eine Gitarre kaufe. Ich bin nicht ganz sicher, was eine olympische Goldmedaille in Gitarren wert ist." Myhrer sinnierte kurz über den Wechselkurs, dann sagte er: "Vielleicht kaufe ich jetzt zwei."

Olympia ist auch ein Ort, an dem alte Ordnungen einreißen und darauf etwas Neues wächst, aber bei den Alpinen wurden in Pyeongchang eher die verdienten Mitarbeiter für ihre lange Dienstzeit entlohnt: Hirscher, 28, Sieger in der Kombination und im Riesenslalom. Aksel Lund Svindal, mit 35 Jahren der älteste Olympiasieger überhaupt. Myhrers Landsfrau Frida Hansdotter, 32, und nun eben Myhrer. Der 35-Jährige war einst unter den schwedischen Slalom-Größen Jens Byggmark, Markus Larsson und Mattias Hargin groß geworden, von den Spielen 2010 in Vancouver kann er mit Bronze nach Hause (nachdem er, der Gitarrist, zuvor ein Lied aufgenommen hatte mit dem Titel: Kommer hem med metall - ich komme mit einer Medaille heim).

In Sotschi vor vier Jahren schied er aus. Sotschi war hart, sagte Myhrer am Donnerstag, er war noch immer in die schwedische Fahne gehüllt, von der Zeremonie. Dann sagte er: "Ich wusste, dass ich noch eine Chance haben würde." Vier Jahre Arbeit für 100 Sekunden.

Eigentlich hätte Sotschi sein Moment sein sollen. Er war damals in der Form seines Lebens, dann verletzte er sich am Knie, der Start war ungewiss. Myhrer fuhr doch, nach dem ersten Lauf war er Zweiter. Und dann? "Ist alles zerbrochen." Der zweite Durchgang war schwer gesetzt, zu schwer für sein malades Knie. Myhrer stürzte, aber er machte weiter. Weit zu kommen ohne anzukommen, das kam nicht infrage.

Die Geschlagenen nahmen ihre Niederlagen gefasst zur Kenntnis

Ein Olympiasieg taucht alles in ein anderes Licht. Wer Olympiasieger ist, hat alles richtig gemacht. In der Zeit nach Sotschi, als Myhrer den Anschluss an die Spitze verlor, oder in den vergangenen Wochen, als ihm sein achter Weltcup-Sieg gelang. In Pyeongchang war ihm sowieso alles gelungen, er stimmte seine Ski am besten auf den weicheren, trockenen Schnee ab und zeigte zwei blitzsaubere Läufe. Es gab wohl kaum einen, der Myhrer den Erfolg nicht gönnte, er ist beliebt bei den Kollegen, vor allem bei den Jungen, mit denen er sein Wissen teilt. Und er war ja immer zurückgekommen, auch nach seinen Rückenproblemen. Olympiasieger wird man nur unter großen Mühen, Frida Hansdotter konnte auch einiges davon erzählen.

Hansdotter, die neue Olympiasiegerin im Slalom, hatte die vergangenen Jahre eine Karriere im Schatten von Mikaela Shiffrin geführt. "Ich fahre in erster Linie für mich", sagte sie in Pyeongchang, "aber ich hatte immer auch die Motivation, schneller als Mikaela zu sein." Das ist freilich ein Geschäftsmodell mit Tücken, denn die Amerikanerin verliert im Slalom so gut wie nie. Und jetzt? Man spürte, dass Hansdotter mit ihrer Goldmedaille ein wenig Ballast abwarf, die Sprüche von der ewigen Zweiten, solche Sachen. "Ich bin sehr stolz auf meine Karriere", sagte sie, "aber dieser Sieg heute ist magisch. Heute hat sich die lange, harte Arbeit ausgezahlt."

Die Geschlagenen nahmen ihre Niederlagen erstaunlich gefasst zur Kenntnis. Kristoffersen, der nach einer Schlappe gegen Hirscher zuletzt mal das Mobiliar im Zielraum einem Stresstest unterzogen hatte, befand: "Es ist nur ein Skirennen." Er sei glücklich mit seiner Silbermedaille im Riesenslalom, nach Bronze in Sotschi. Hirscher hatte sich zuvor bei der Materialauswahl verheddert, seine kurzen, kraftvollen Schwünge verpufften am Donnerstag auf dem weicheren Schnee. Aber er reiste mit zwei olympischen Goldmedaillen ab, seinen ersten beiden überhaupt. Das spende ihm "große Genugtuung". Im kommenden März wird er wohl zum siebten Mal den Gesamtweltcup gewinnen, hintereinander.

Und die Deutschen? Linus Straßer schied im ersten Lauf aus, Fritz Dopfer, weiter gehandicapt von seiner Schien- und Wadenbeinverletzung, zeigte einen guten zweiten. Auch wenn sich Platz 20 für einen ehemaligen WM-Zweiten weniger schmeichelhaft liest. "Ich hoffe, dass sich gerade in solchen Situationen zeigt, ob ein Team wirklich funktioniert", sagte Dopfer; die verletzen Stefan Luitz und Felix Neureuther kommen erst im nächsten Winter zurück. Am Samstag steht noch der Teamwettbewerb im Programm.

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