Tischtennis-Bundesliga:Bad Königshofen in Flammen

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Starke Rückhand, gute Nerven und eine brachiale Vorhand: Bad Königshofen freut sich auf Andre Bertelsmeier. (Foto: MaJo/Imago)

Andre Bertelsmeier, das zurzeit begehrteste deutsche Tischtennistalent, hat sich für einen Wechsel nach Unterfranken entschieden. Dort soll der 19-Jährige einen Routinier ersetzen.

Von Andreas Liebmann

Natürlich hat sich Andreas Albert damals irgendwie mitgefreut, die Zuschauer in Linz flippten ja regelrecht aus vor Begeisterung. Andererseits: Gar so übertrieben gut hätte es der Junge dort an der Tischtennisplatte auch wieder nicht machen müssen – vor aller Augen! „Toll“, grummelte der Teammanager vor dem Livestream, „jetzt wird die ganze Liga hinter ihm her sein …“

Schon vor jener Einzel-Europameisterschaft im Oktober hatte Andre Bertelsmeier als herausragendes deutsches Talent gegolten, trotzdem lag Alberts fränkischer Erstligaklub, der TSV Bad Königshofen, zu diesem Zeitpunkt noch sehr gut im Rennen um eine Verpflichtung des Teenagers, der in der zweiten Liga für den 1.FC Köln spielt und vor wenigen Wochen 19 wurde. Auch vor manch zahlungskräftigerer Konkurrenz also, nur: Unterschrieben war eben noch nichts.

Tischtennis
:Eine Frage des Talents

Koharu Itagaki hat schon mit 13 in der ersten Frauen-Bundesliga debütiert. Sie tritt dort für Jena an, international sammelt sie für Deutschland Medaillen. In Bad Königshofen, wo sie von ihrem Vater trainiert wird, hat sie am Sonntag ihr erstes echtes Heimspiel erlebt.

Von Andreas Liebmann

Und dann kämpfte sich Bertelsmeier in Linz bei seiner ersten Erwachsenen-EM nicht etwa nur durch die Qualifikation, nein, er machte Schlagzeilen durch einen Sieg gegen den Rumänen Ovidiu Ionescu, den EM-Zweiten von 2018. Und anstatt sich dann wenigstens heimlich, still und leise gegen den Favoriten Felix Lebrun zu verabschieden, zwang er Frankreichs Star beim 1:4 im Achtelfinale gleich in drei von fünf Sätzen in die Verlängerung. Lebrun ist sogar noch etwas jünger als Bertelsmeier, hatte aber gerade erst bei Olympia in Paris Bronze erobert und ist bereits der beste Europäer in der Weltrangliste. Seinen Satzgewinn schloss der junge Deutsche dann auch nicht irgendwie ab, sondern mit einem spektakulären Notschlag, der nun in jeden gut sortierten Jahresrückblick gehört: Er verblüffte Lebrun mit einem Treffer hinter dem Rücken.

Alberts Sorgen waren nicht unbegründet: Bis hin zu Rekordmeister Borussia Düsseldorf sollen die Erstligisten um Bertelsmeier gebuhlt haben. Seit Freitag aber ist offiziell: Der in Hamm geborene Rechtshänder mit den rotblonden Haaren hat sich für die Unterfranken entschieden. Tomasz Kasica, der als neuer Markenentwickler des TSV den ersten Kontakt hergestellt hatte, bestätigt das und sagt: „Es ist ein sehr gehypter Wechsel. Es ist viel darüber spekuliert worden, und wir freuen uns, dass er für zwei Jahre zu uns kommt.“ Zum entscheidenden Gespräch mit dem dreiköpfigen Management des TSV war Bertelsmeier ganz alleine erschienen, in Düsseldorf, wo er am Leistungszentrum trainiert. Man habe ihm von Darko Jorgic erzählen können, der seine erste Profistation mit 18 Jahren ebenfalls in Bad Königshofen antrat, berichtete Albert, und ihm versprochen, dass auch er sich hier ohne Druck weiterentwickeln könne. Die bekannt euphorischen Fans des TSV waren Bertelsmeier schon selbst aufgefallen.

Bei der Junioren-WM erreicht er das Viertelfinale, Trainertochter Itagaki holt sogar eine Medaille

In Bad Königshofen soll er den Platz des Japaners Jin Ueda übernehmen, der die Franken nach zwei Jahren verlassen wird. Der Vertrag mit TSV-Routinier Bastian Steger, 43, soll dagegen verlängert werden. Steger trainiert wie Bertelsmeier in Düsseldorf, eine ideale Trainings- und Fahrgemeinschaft zeichnet sich also ab, zu der auch Kilian Ort zählen würde, sofern dem von einem Bandscheibenschaden gebremsten TSV-Eigengewächs die Rückkehr in den Profisport gelingt. Bertelsmeiers „brachiale Vorhand“ und seine guten Nerven, die ihn auch in engen Situationen kein Risiko scheuen ließen, gefallen Albert am besten, Kasica betont dessen „beidseitig spektakuläres Spielsystem“ und eine „unfassbare Entwicklung“. Damit hat er es bereits bis auf Position 115 der Welt gebracht. „Wir sind absolut von ihm überzeugt“, sagt Kasica.

Nach zwei Jahren in Franken wird Jin Ueda mit seiner Familie zurück nach Japan ziehen. (Foto: Patrick Wichmann/Imago)

Bei der EM in Linz erreichte Bertelsmeier übrigens auch im Mixed und im Doppel mit Mia Griesel und Fanbo Meng jeweils das Achtelfinale. Zuvor hatte er bei der U19-EM Silber mit dem Team und bei der U21-EM Einzelbronze gewonnen, und gerade eben endete die Junioren-Weltmeisterschaft im schwedischen Helsingborg, wo Bertelsmeier, der im Frühjahr sein Abitur ablegte und ein Studium plant, im Viertelfinale ausschied. Die Tochter seines künftigen Klubtrainers Koji Itagaki schnitt bei der WM noch besser ab: Die 14-jährige Koharu Itagaki, die in der Frauen-Bundesliga für Dachau spielt, gewann in der Altersklasse U15 Bronze nach einem umkämpften Halbfinale gegen eine Chinesin.

Für den TSV Bad Königshofen verläuft die Saison bislang sehr ordentlich. Am Mittwoch gewann der Vorjahresvierte in Saarbücken 3:1, er liegt nun mit 10:6 Punkten im oberen Mittelfeld der Tischtennis-Bundesliga, ein neuerlicher Playoff-Einzug ist möglich. Die große Chance, erstmals das Pokal-Final-Four zu erreichen, vergab das Team vor drei Wochen allerdings, als es im Viertelfinale vor eigenem Publikum dem Aufsteiger Bad Homburg unterlag. Den nächsten Anlauf kann der TSV dann mit Andre Bertelsmeier nehmen. Mit dem Neuen verbindet Albert die Hoffnung, dass erst gar keine Routine im Umfeld aufkommen kann: „Dass die Fans neugierig auf ihn sind“, wie der Manager sagt, und er den Verein frisch „entflammt“.

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