Andre Agassi in Stuttgart:Bereit für einen Fünfsatzkrimi

Andre Agassi

Andre Agassi kann die Bälle von der Grundlinie mit der Vor- und der Rückhand noch immer so schnell beschleunigen wie zu seinen besten Zeiten.

(Foto: Getty Images)
  • Er scheucht Thomas Muster von einer Ecke zur anderen: Andre Agassi zeigt im Rahmen des Stuttgarter Tennisturniers, dass er nichts verlernt hat.
  • Auch spicht der frühere Weltranglistenerste über sein Leben nach dem Sport.
  • Ob er Trainer werden will? Dazu hat der Mann von Steffi Graf eine klare Meinung.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Andre Agassi schweigt zu Hause beharrlich. Er will nicht, dass Steffi Graf davon erfährt. Es soll sein Geheimnis bleiben. Agassi möchte seine Gattin in dem Glauben lassen, dass die deutsche Sprache noch immer so fremd für ihn klingt wie Chinesisch oder Russisch. "Nur ein bissken" könne er Deutsch, brummt der 44-Jährige bei seinem Besuch in Stuttgart: "Ich kann es Jahr für Jahr immer besser verstehen, aber ich will nicht riskieren, es zu sprechen."

Der US-Amerikaner aus Las Vegas war auch nicht in die baden-württembergische Landeshauptstadt gekommen, um einen Deutschkurs zu belegen oder sich sogar ein paar schwäbische Worte anzueignen. Er war gekommen, um das zu tun, was er am besten beherrscht in seinem Leben: Tennis spielen. "Es ist schön, mal wieder ausschließlich Zeit mit dem Sport zu verbringen", sagt Agassi.

Muster: Agassi spielt so platziert wie früher

Und wie schon die ersten Ballwechsel seines Schaukampfes am Montagabend im Rahmen des Stuttgarter Frauenturniers gegen Thomas Muster zeigen sollten, hat die ehemalige Nummer eins der Welt nichts von ihrer Kunst verlernt. Es war fast schon zu erstaunlich, wie der achtmalige Grand-Slam-Turniersieger seinen Gegenüber so extrem von einer Ecke in die andere scheuchte, dass dieser nach dem verlorenen ersten Satz auf der Bank alle Viere von sich streckte und so schwer atmete, als hätte er gerade einen 100-Kilometer-Lauf absolviert. "Andre spielt immer noch extrem schnell und platziert", stöhnte der Österreicher anerkennend.

Bei Agassi war es wirklich so, als wäre die Zeit stehengeblieben, er kann die Bälle von der Grundlinie mit der Vor- und der Rückhand noch immer so schnell beschleunigen wie zu seinen besten Zeiten. Seine Aufschläge erreichten phasenweise sogar 202 km/h - diese Geschwindigkeiten hatte er früher überhaupt nicht im Repertoire.

"Das Gefühl für den Ball ist noch immer da", sagt Agassi, "wenn sie mich vor dem Match fragen, dann bin ich bereit für einen Fünfsatzkrimi, aber die Frage in meinem Alter ist ja, wie man sich danach fühlt. Und wie ich mich bewege, das hat sich ziemlich geändert."

Einer, der mehr riskierte als die anderen

Der alte Agassi erinnert beim 6:2, 6:2-Sieg gegen Muster aber noch sehr an den jungen. Dieser wird als der Spieler in die Sportannalen eingehen, der mit seinen wuchtigen Schlägen und seinen auffälligen Outfits das Tennis in die moderne Zeit führte und auf ein zuvor nie dagewesenes Niveau hievte. Er war der erste Berufsspieler, der die Bälle extrem früh traf, schon im Aufsteigen. Er riskierte mehr als die anderen, auch dann, wenn sein Gegner aufschlug. Die Returns von Agassi sind legendär. "Ich musste so auf die Bälle draufgehen, weil ich stark limitiert war", sagt er heute. Der Größte war er mit 1,80 Metern als Profi tatsächlich nie, auch seine Aufschläge waren nicht mehr als ordentlich.

Viel Zeit auf dem Platz verbringt er heute nicht mehr. Er kümmert sich in erster Linie um seine Kinder Jaden Gil, 13, und Jaz Elle, 11, sowie um seine Stiftung, die "Andre Agassi Foundation for Education". Sein Herzensprojekt ist dabei die öffentliche Schule in Clark County (Nevada), die er vor 14 Jahren gegründet hat, um sozial benachteiligten Kindern die gleichen Bildungschancen zu ermöglichen wie den Sprösslingen aus wohlhabendem Hause. "Ich will diesen Kindern, an die unsere Gesellschaft nicht glaubt, eine Wahl geben", sagt Agassi.

Er selbst hatte nie eine Wahl. Sein überehrgeiziger Vater sah in Agassi schon nach dessen Geburt den späteren Wimbledonsieger, er drillte ihn täglich und gönnte ihm kaum Pausen. Wegen der Plackerei auf dem Platz schmiss Agassi in der neunten Klasse die Schule, der Vater hatte ihn in seiner Abneigung noch bestärkt. "Ich habe mich schließlich oft genug selbst gefragt, was ich mit meinem Leben getan hätte, wenn ich hätte selber entscheiden können." Seine beiden Kinder genießen alle Freiheiten. Und sie schätzen ihren Vater. "Daddy rocks" steht auf der Halskette, die er trägt und die sie ihm gebastelt haben.

Keine Trainer-Ambitionen

Mit ihnen schlägt er ab und an auch einige Bälle, aber ohne Druck, nur zum Spaß. Tennis spielt im Hause Agassi-Graf nur eine Nebenrolle. Agassi denkt deshalb überhaupt nicht darüber nach, anders als Boris Becker, Stefan Edberg oder Michael Chang, als Trainer auf die Tour zurückzukehren. "Das wäre nichts für mich", bekennt er. "Du musst dich ja während des Finalwochenendes nicht nur in die Box setzen, Boris und die anderen müssen sich täglich um ihre Spieler kümmern."

Bevor Andre Agassi wieder nach Hause fliegt, muss er aber in Stuttgart noch ein Match überstehen - mit der Weltranglistenzweiten Maria Scharapowa. "Das wird schwer für mich", kündigte er mit einem Lächeln an. "Weil ich da nur Augen für sie und nicht für den Ball haben werde." Steffi, gesteht Agassi kleinlaut, habe er von diesem Rendezvous vor dem Abflug allerdings nichts erzählt.

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