Süddeutsche Zeitung

Anand bei der Schach-WM:Der Tiger kehrt zurück

Er ist nicht kleinzukriegen: Viswanathan Anand gewinnt überraschend das Kandidatenturnier für die Schach-WM im November und darf sich auf eine Revanche gegen Titelverteidiger Magnus Carlsen freuen. Sportpolitisch brisant wird die Frage, wo das Finale gespielt wird.

Von Johannes Aumüller

Viswanathan Anand hat sich im Laufe seiner Schachspielerjahre schon diverse Spitznamen erarbeitet. Zu Beginn seiner Karriere nannten sie ihn "Lightning Kid", weil er so unwahrscheinlich schnell seine Züge kalkulierte und ausführte. Später war er "das schnellste Gehirn der Welt" und der "Tiger von Madras". Doch nun macht sich die Schachszene Gedanken, ob sie dem früheren Weltmeister (2007 bis 2013) nicht irgendeinen neuen Beinamen verpassen müsste. Einen, der eine unerwartete Wiederkehr an die Weltspitze ausdrückt.

An diesem Wochenende hat der 44-jährige Inder das Kandidatenturnier gewonnen, was ihm im November das Recht auf einen WM-Kampf gegen Amtsinhaber Magnus Carlsen einbringt - damit hatten nur wenige gerechnet. Acht Großmeister spielten im sibirischen Chanty-Mansijsk über 14 Runden, zwei Mal jeder gegen jeden. Wladimir Kramnik, ebenfalls ein früherer Weltmeister, hatte als Favorit gegolten, auch der Armenier Lewon Aronjan, dazu jüngere russische Spieler als Außenseiter.

Aber Anand? Schon seit einiger Zeit zeigte seine Kurve tendenziell nach unten, beim WM-Kampf gegen Carlsen im vergangenen Jahre war er chancenlos, und noch vor wenigen Wochen ließ sich aus seinen Äußerungen schließen, dass er das Kandidatenturnier auslassen würde. Dann sagte er doch zu - und gewann souverän, womit Anand seinen Platz in der Schachhistorie festigte.

Schon 1995 hatte er seinen ersten WM-Kampf gespielt, den er gegen Garri Kasparow verlor; nun kommt es 19 Jahre später zur Herausforderung von Carlsen. Dass ein Schachspieler sich über eine solche zeitliche Distanz in der absoluten Weltspitze hält, ist äußerst selten.

Die Möglichkeit zu seiner neuerlichen Titelchance erspielte sich Anand dabei mit typischem Anand-Schach: stets solide, eher reduziertes Risiko, aber herausragendes positionelles Spiel. Die Partie in Runde 13 gegen den Russen Sergej Karjakin war die erste, in der er zwischenzeitlich in etwas Bedrängnis geriet, doch am Ende wickelte er sie souverän ab und sicherte sich den halben Punkt, der ihm noch zum Turniersieg fehlte.

Die anderen Kandidaten hingegen zeigten, herausgefordert durch Anands stabilen Auftritt, riskante Manöver - oder seltene Patzer, vor allem Kramnik. Auch die politischen Entwicklungen spielten eine Rolle in Chanty-Mansijsk: Kramnik hat enge Verbindungen in die Ukraine, unter anderem, weil es die Heimat seiner Mutter ist. Manche Beobachter fanden, die Vorgänge dort hätten ihn belastet. Karjakin hingegen euphorisierte die Lage auf der Krim eher. Er kam in Simferopol auf die Welt und wechselte erst 2009 aus der Ukraine nach Russland; die Eingliederung der Krim bejubelte er via Twitter.

Nun kommt es also in wenigen Monaten zum Rückkampf zwischen Anand und dem allerdings klar favorisierten Carlsen. Wo das Duell stattfindet, ist noch unklar, bis zum 30. April läuft die Bewerbungsfrist. Zu vernehmen war bereits, dass Norwegen seinem allseits gefeierten Schachpopstar Carlsen gerne einen Heimkampf ermöglichen würde; allerdings ist auch das in der Schachwelt einflussreiche Russland immer ein möglicher Kandidat.

Erst recht, da die Auswahl auch unter dem Eindruck zweier sportpolitischer Aspekte geschieht. Zum einen führt den russischen Verband seit Kurzem der ambitionierte Transport-Oligarch Andrej Filatow. Und zum anderen geht gerade der Kampf ums Präsidentenamt im Weltschachverband in die heiße Phase: Garri Kasparow fordert den umstrittenen Amtsinhaber Kirsan Iljumschinow heraus.

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SZ vom 31.03.2014/jbe/rus
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