Analyse des Bayern-Spiels:Der Herrschaftsverlust des FC Bayern

Analyse-Daten belegen die negative Entwicklung des Rekordmeisters. Fast überall lässt die Effizienz nach - und Arjen Robben wird schmerzlich vermisst.

Von Philipp Selldorf, Köln

Aus seiner Zeit als Fußball-Profi hat Stefan Reinartz gelernt, dass die öffentliche Meinung entweder zu früh oder zu spät dran ist, wenn es darum geht, Entwicklungen von Mannschaften zu bewerten: "Man wird immer im falschen Moment kritisiert", sagt der 27-Jährige. Diesen empirischen Eindruck fand Reinartz nach dem 1:0-Sieg von Borussia Dortmund gegen den FC Bayern bestätigt.

Nach der Niederlage bekam der Meister und zurzeit nur noch ehemalige Tabellenführer viele unangenehme Ansichten zu hören, "man muss nicht mal einen guten Tag erwischen, um gegen die Bayern zu gewinnen", machte beispielsweise zeit.de einen allgemeinen Niveauverlust aus. Reinartz hält dagegen: "Vor dem Spiel war Kritik an den Bayern angebracht, nach dem Spiel eher nicht."

Der frühere Mittelfeldspieler beruft sich dabei auch auf die statistischen Daten, die seine Firma während der Partie ermittelt hat. Reinartz betreibt mit Partnern in Köln das Unternehmen "Impect", dessen Motto lautet: "Erfolg im Fußball messbar machen". Während der EM im Sommer machte die ARD als Kunde das Publikum mit dem neuen statistischen System vertraut. Unter anderem werden nicht mehr bloß die Pässe gezählt, die den Mitspieler erreichen, sondern auch die Anzahl der Gegenspieler, die durch den Pass überspielt werden.

Im Verhindern von Kontern waren die Bayern unter Guardiola besser

Es geht also um den Faktor Produktivität, das Prinzip orientiert sich an Qualität statt Quantität. Bei der Bewertung wird außerdem zwischen den Zonen differenziert, in denen die Bälle den Abnehmer erreichen: So ist es für den Torerfolg logischerweise wichtiger, gegnerische Abwehrspieler als Stürmer zu überspielen.

Was Letzteres angeht, hätten die Bayern in Dortmund den Sieg durchaus verdient gehabt, sie waren im Prinzip das gefährlichere Team, sagt Reinartz unter Verweis auf die Datenlage. Sie haben deutlich mehr Gegner in deren Defensive überspielt als es dem BVB auf der Gegenseite gelang. In neun von zehn Fällen führt diese Überlegenheit zum Sieg, das Samstagsspiel repräsentierte den Ausnahmefall.

Dies ist allerdings die einzige schmeichelhafte Botschaft der Analysten für die Bayern. Ansonsten belegt das zahlenbezogene Leistungsbild die Argumente der Kritiker, die den Bayern unter Carlo Ancelotti einen Niveau- bzw. Systemabfall gegenüber der Zeit mit Pep Guardiola nachsagen: "Bayern München hat sich den normalsterblichen Mannschaften angenähert", befindet Reinartz, "derzeit setzen die Münchner nicht mehr den Maßstab in der Bundesliga, sowohl hinsichtlich der Spielidee als auch der objektiven Daten." Auch die in den Vorjahren praktizierten Automatismen seien nachweislich "relativ schnell" abhanden gekommen.

Arjen Robben, das "Nonplusultra der Liga"

Herrschaftsverlust äußert sich sowohl in Werten der Abwehr- wie der Angriffsarbeit. Im Verhindern von Kontern seien die Bayern, "gruppentaktisch schlechter geworden", so Reinartz. So sinnvoll es ist, Gegner offensiv zu überspielen, so schlecht ist es, defensiv selbst überspielt zu werden: Auf diesem Feld sind die Münchner, unter Guardiola stets einsam und eisern führend, im Liga-Vergleich zurückgefallen. Eintracht Frankfurt, Hertha BSC und Köln weisen bessere Werte auf.

Dass die Münchner dennoch die wenigsten Gegentore erhalten haben, erklärt Reinartz mit der besonderen Qualität von Spielern wie Neuer, Boateng, Hummels und Lahm. Die Frankfurter Abwehrstärke führt er auf die Entwicklung unter Trainer Kovac zurück, unter Vorgänger Veh war die Eintracht in dieser elementaren Disziplin Liga-Letzter.

Auch für die Offensive lässt sich der Eindruck belegen, dass die Münchner Brillanz verblichen ist. Aufs komplette Spielfeld bezogen, stehen die Daten der Bayern zwar weiterhin für Dominanz, dies gilt aber nicht mehr für die Zone, in der Torgefahr kreiert wird: Hoffenheim und Leipzig überspielen pro Partie durchschnittlich 48, respektive 47 Verteidiger, die Bayern 45. Auch in dieser Kategorie haben sie ihre bisher unangefochtene Vormachtstellung eingebüßt. Das liegt einerseits an einer - tendenziell unguten - Entwicklung, andererseits an Personalien.

Die häufige Abwesenheit von Arjen Robben, laut Reinartz "das absolute Nonplusultra der Liga, weil er mit seinen Dribblings und Pässen die meisten Gegenspieler hinter sich lässt", trübt das Bild. Den durchschnittlichen Bestwert (neun überspielte Verteidiger) hält derzeit Leipzigs Naby Keita - als zentraler Mittelfeldspieler. In Verbindung mit seinen starken Balleroberungs-Werten sehen ihn die Impect-Analysten derzeit als effektivsten Spieler - abgesehen von den Goalgettern Modeste (Köln) oder Aubameyang (BVB).

Bei Thomas Müller, als verhinderter Torjäger in der Diskussion, ist statistisch übrigens kein Wertverlust gegenüber dem Vorjahr erkennbar, mit seinen kuriosen Laufwegen nimmt er als Passempfänger pro Partie weiter mehr als 60 Gegner aus dem Spiel. Ein Trost für seine Ligaflaute (null Tore) ist das kaum.

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