Süddeutsche Zeitung

American Football:Unterdruck

Eine Million Dollar Geldstrafe für die New England Patriots, vier Partien Sperre für ihren Spielmacher - die NFL fällt in einem skurrilen Skandal ein unbefriedigendes Urteil.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Ist Tom Brady ein Lügner und Betrüger? Ziemlich wahrscheinlich. Zu diesem unbefriedigenden Urteil kamen die Ermittler in einem der skurrilsten Skandale im amerikanischen Profisport. Monatelang hatten sie in der mit Deflate-Gate umschriebenen Affäre nach Beweisen gesucht, um zu klären: Hat der Footballklub New England Patriots auf dem Weg zum Titelgewinn in der vergangenen Spielzeit geschummelt - und falls ja, wusste sein Spielmacher Tom Brady, 37, davon?

Im 243-Seiten-Bericht heißt es nun, dass zwei Mitarbeiter der Patriots vor Heimpartien ziemlich wahrscheinlich Luft aus den Bällen gelassen hätten, um sie griffiger zu machen und damit der Offensive um Brady einen unlauteren Vorteil zu verschaffen. Dazu muss man wissen, dass die Profiliga NFL vorschreibt, dass die Footbälle mit einem gewissen Luftdruck aufgepumpt sein müssen, Brady sie aber lieber etwas weicher hat, weil sie sich dann besser werfen und fangen lassen. Auch deshalb sei es ziemlich wahrscheinlich, dass Brady zumindest grundsätzlich über die Vorgänge informiert war. Die NFL hat New England deshalb mit einer Geldstrafe von einer Million Dollar belegt - die höchste in der Liga-Geschichte gegen einen Klub - und Brady für die ersten vier Partien der kommenden Saison gesperrt.

Der Fall wiegt umso schwerer, weil die Patriots schon einmal des Betrugs überführt worden sind

Ziemlich wahrscheinlich, das klingt so wie ein bisschen schwanger oder vielleicht verliebt - weshalb es kaum einen Sportfan in den USA gibt, der sich nicht über dieses Urteil echauffiert. Für viele Amerikaner ist Brady ein Held, die Inkarnation der Vorstellung, dass einer mit ein bisschen Talent und Glück, vor allem aber mit ganz viel Ehrgeiz seine Träume verwirklichen kann. Er ist ein freundlicher Mensch, seine Manieren sind so makellos wie seine Zähne oder die Ehe mit dem Model Gisele Bündchen. Aufgewachsen in Kalifornien, ausgebildet an der University of Michigan, ausgewählt vom Team an der Ostküste. Er überwand an der Uni Depressionen, setzte sich in New England entgegen aller Wahrscheinlichkeiten durch und gewann im Februar den vierten Titel seiner Karriere. Er ist der All-American-Boy, dessen Vermächtnis nun ohne Beweise besudelt wird.

Die Brady-Gegner argumentieren, dass die Ermittler immerhin Indizien wie Textnachrichten der mutmaßlichen Luft- Auslasser oder für sie signierte Tom-Brady-Andenken präsentieren, die nahelegen: Brady wusste Bescheid, sein Abstreiten war eine Lüge. Der Fall wiegt umso schwerer, da die Patriots bereits vor acht Jahren des Betrugs überführt worden waren. Beim sogenannten Spygate hatten sie unerlaubterweise die Ansage von Spielzügen bei gegnerischen Teams gefilmt und ausspioniert. Manche forderten deshalb eine Suspendierung für die ganze nächste Saison oder auch die Aberkennung des Titels.

Brady wird vorgeworfen, seine Titel und Rekorde nicht nur durch harte Arbeit, sondern durch das stete Bewegen an den legalen Grenzen dieser Sportart und durch gelegentliches Überschreiten erreicht zu haben. Das Herantasten an diese Grenzen, das vorsichtige Verschieben wird in der amerikanischen Sportkultur durchaus als Ehrgeiz honoriert - wer aber ertappt wird, hat sich reumütig zu geben. Der darf nicht leugnen und auch nicht schweigen, der muss gestehen. Brady aber hat sich bislang nicht zur Sperre geäußert, das überlässt er seinem Agenten Don Yee. Der hat, wie die Patriots, die Ermittlungen als fehlerhaft und einseitig bezeichnet und bereits Einspruch gegen das Urteil angekündigt.

Vier Spiele und eine Million Dollar sind eine typische NFL-Strafe: hart genug, um sich für das vermeintlich konsequente Durchgreifen selbst auf die Schulter klopfen zu können. Weich genug, damit eine der populärstem Figuren dieser Liga in den entscheidenden Momenten der kommenden Saison wieder auf dem Spielfeld stehen wird. Es ist ein forsch geschwungener Besen, mit dem dieser Skandal letztlich doch nur unter den Teppich gekehrt wird. Denn: dass die Sperre und die Geldstrafe noch reduziert werden, dass sich spätestens Mitte der kommenden Saison niemand mehr für diesen Vorfall interessiert und Brady wieder eher als Idol denn als Betrüger wahrgenommen wird - das alles ist ebenfalls ziemlich wahrscheinlich.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2476479
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.05.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.