Süddeutsche Zeitung

American Football:Schwarz, erfolgreich, undankbar? Was hinter dem Hymnen-Protest in den USA steckt

  • Ein Dutzend NFL-Spieler schließen sich am ersten Spieltag dem Protest von Colin Kaepernick an.
  • Die Anfeindungen sind zahlreich und teilweise rassistisch.
  • Für erfolgreiche schwarze Sportler ist es schwierig, gesellschaftliche Probleme offen anzusprechen.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Während der amerikanischen Nationalhymne kniet Colin Kaepernick erneut nieder, sein Teamkollege Eric Reed schließt sich ihm an. Dann nimmt der Quarterback der San Francisco 49ers auf der Bank Platz. Sein Team gewinnt 28:0 gegen die Los Angeles Rams, Kaepernick kommt nicht zum Einsatz.

Und doch gehörten ihm die Schlagzeilen. Dabei ist Kaepernicks politische Mission nicht einfach in Sieg oder Niederlage einzuteilen.

Am ersten Spieltag der NFL schlossen sich ein Dutzend schwarze Spieler seinem Protest gegen den strukturellen Rassismus in den USA an. Sei es knieend oder durch die gereckte Faust - jenem Solidaritätsgruß, der häufig mit dem schwarzem Nationalismus der Black Panther in Verbindung gebracht wird.

Das ist angesichts Hunderter NFL-Profis nicht viel, allerdings hatte die NFL am Sonntag den 9/11-Jahrestag auch für eine der inzwischen bis ins Klischee überdimensionierten Patriotismus-Darbietungen genutzt. Protestgesten jeder Art schüren da schnell den mit schlimmsten Verdacht, den das so stolze Land kennt: Unamerikanismus.

"Genau das, was dieses Land ausmacht"

Dieser Vorwurf wird Kaepernick seit Beginn seiner Hymnen-Verweigerung gemacht. Dabei sei der Protest doch "genau das, was dieses Land ausmacht", wie Arian Foster von den Miami Dolphins erklärte. Er hatte sich am Sonntag mit drei Team-Kollegen solidarisch auf den Boden gekniet: "Anderswo werden Menschen für so etwas enthauptet, gefoltert (...). Hier können die Menschen mir zustimmen oder nicht, aber sie müssen mein Recht zum Protest respektieren."

Auch die NFL verweist auf dieses Recht und sowohl Kritik als auch die verbale Unterstützung anderer Spieler fällt inzwischen nuancierter aus (dass Kaepernick aus dem ursprünglichen "Sitzenbleiben" ein "aufs Knie gehen" machte, hat die Geste zudem entschärft).

In den sozialen Netzwerken allerdings übertrifft die Kritik beinahe noch die Giftigkeit des Präsidentschaftswahlkampfs. Konservative weiße NFL-Fans sprechen von Undankbarkeit, ja sogar von Amerikafeindlichkeit und überschreiten nicht selten offen die Grenze zum Rassismus; rechte Portale streuen das (falsche) Gerücht, der gläubige Christ Kaepernick sei zum Islam konvertiert.

Die NFL ist nicht farbenblind

Die heftigen Reaktionen werfen ein Schlaglicht darauf, dass die NFL längst keine farbenblinde Organisation ist: Die Fans sind zu 80 Prozent weiß, während zwei von drei NFL-Spielern schwarz sind. Die Spielergewerkschaft der finanziell erfolgreichsten Liga der Welt gilt jedoch als die schwächste im US-Profisport - und das bei deutlichen Indizien, dass viele Football-Spieler bleibende Hirnschäden von der harten Sportart davontragen. Narrative wie "Afroamerikaner sind keine guten Quarterbacks" hielten sich noch bis in dieses Jahrhundert.

Keines der 32 Teams hat außerdem einen schwarzen Mehrheitseigentümer. Bei den Basketballern der NBA sind sogar drei Viertel der Spieler Afroamerikaner, mit Michael Jordan gibt es nur einen einzigen schwarzen Team-Eigentümer.

Und nicht wenige Kritiker weisen darauf hin, dass der Großteil der Drogen-, Vergewaltigungs- und Gewaltskandale der vergangenen Jahre weit weniger Schlagzeilen und Reaktionen produzierte als der politische Protest eines schwarzen Spielers. Dass Kaepernick weder konkrete Kritik äußert, noch Forderungen erhebt - er wolle nicht einer Nation salutieren, die "schwarze und farbige Menschen unterdrückt", so die Aussage - unterscheidet ihn von schwarzen Sportlern wie Muhammed Ali oder den beiden Sprintern Tommie Smith und John Carlos, die Ende der Sechziger aktiv protestierten.

Zugleich knöpft der Hymnen-Boykott aber auch daran an und folgt einer zunehmenden Politisierung junger Afroamerikaner, inklusive der Profisportler: Der Tod von Trayvon Martin führte in der NBA zu Kapuzenpulli-Solidarität, nach den tödlichen Schüssen auf den Teenager Michael Brown trugen NBA- und NFL-Spieler Solidaritätsshirts oder machten auf dem Spielfeld die "Hands Up Don't Shoot"-Geste.

Nun geht es unabhängig eines aktuellen Falls um Grundsatzkritik und die Frage, ob die USA wirklich ohne jede Reflexion vom "Land der Freien und Heimat der Tapferen" singen können. Profisportler sind während ihrer Karriere nur selten politisch aktiv, in den USA gleichen sie dies oft durch die Einrichtung gemeinnütziger Stiftungen aus. Afroamerikaner, ob in Unterhaltung, Politik oder Sport, befinden sich allerdings als Minderheit in einer sehr komplizierten Situation: Ihr Aufstieg ist die Ausnahme von der Regel der amerikanischen Gesellschaft, die Schwarze strukturell benachteiligt.

Der Atlantic-Autor Adam Server schreibt von dem "faustischen Pakt", den viele erfolgreiche Afroamerikaner in den USA eingehen müssen, wenn sie für ihre Privilegien im Gegenzug auf Kritik an der - mit dem eigenen Erfolg keinesfalls widerlegten - Ungerechtigkeit des Systems verzichten.

Sponsorenvertrag gekündigt

Tiger Woods oder Michael Jordan sind Beispiele für Megastars, die während ihrer aktiven Zeit politische Fragen ausklammerten und so eine Welt verkörperten, in der Rassismus bereits überwunden schien. Und der ehemalige NFL-Profi und spätere mutmaßliche Mörder O. J. Simpson erklärte einmal: "Mein größter Erfolg ist, dass mich Menschen zuerst als Menschen sehen, nicht als schwarzen Menschen."

Dass diese Gleichheit von Schwarz und Weiß im Alltag eine Illusion ist, zeigen die publik gewordenen Polizeiübergriffe gegen Afroamerikaner und der strukturelle Rassismus in der US-Gesellschaft, der im Zuge der neuen Bürgerrechtsbewegung wieder offen thematisiert wird. Und auch der Rassismus, der Kaepernick und seinen Unterstützern entgegenschlägt, zeigt den weiten Weg, den die USA noch zu gehen haben.

Inzwischen haben Sportler anderer Disziplinen, aber auch Highschool-Footballer die Protestgeste nachgeahmt. Dass dies allerdings im Falle der NFL-Profis - anders als die Liga nahelegt - auch der Karriere schaden kann, musste Brandon Marshall von den Denver Broncos erfahren. Der Linebacker hatte sich am Donnerstag beim Eröffnungsspiel während der Hymne hingekniet. Am Tag darauf kündigte die "Air Academy Federal Credit Union", eine Bank mit vielen Kunden aus dem Militär, den Sponsorenvertrag mit ihm.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3159504
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/ebc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.