American Football: NFL:Keiner kommt vorbei

Der deutsche NFL-Profi Sebastian Vollmer gilt als Besonderheit im Football: Er wiegt so viel wie zwei Fußballer, ist ebenso schnell - und könnte zum ersten deutschen Stammspieler in den USA werden.

Christoph Leischwitz

Es ist ein Kompliment, wenn man sagt: Sebastian Vollmer hat unauffällig gespielt. Denn auf seiner Position kann man im American Football eigentlich nur mit Fehlern auffallen. Vollmer ist dafür zuständig, den Quarterback vor Angriffen des Gegners zu schützen, er ist einer von mehreren Offense Tackles. Er spielt bei den New England Patriots, sein Quarterback heißt Tom Brady, einer der erfolgreichsten Quarterbacks der Geschichte, im ersten Saisonspiel der National Football League (NFL) aber bisweilen mit erheblichen Problemen. An Vollmer liegt das nicht: Die New England Patriots gewannen mit 25:24 Punkten gegen die Buffalo Bills, immerhin bei zehn Patriots-Punkten war Vollmer auf dem Feld gewesen.

American Football: NFL: Sebastian Vollmer könnte zum ersten deutschen Stammspieler in der amerikanischen Profiliga NFL werden.

Sebastian Vollmer könnte zum ersten deutschen Stammspieler in der amerikanischen Profiliga NFL werden.

(Foto: Foto: dpa)

Wobei es nicht ganz zutreffend ist, ihn unauffällig zu nennen. Der 25-Jährige ist 2,03 Meter groß, wiegt 145 Kilogramm. "Alles Muskeln, kein Gramm Fett", wie sein ehemaliger Agent aus College-Zeiten sagt. Vor allem aber ist Vollmer bei diesen Maßen flink wie ein 90-Kilo-Sprinter. An ihm konnten die Patriots bei der Spielerauswahl nicht vorbei. Jetzt zeigt sich, dass die Gegner es auch nicht können.

Exot und Seiteneinsteiger

Schön, da macht also ein Deutscher bei einem Footballspiel in den USA mit. Er ist nicht einmal der erste Deutsche, dem das gelang. Trotzdem hat seine Verpflichtung besondere Bedeutung. Vollmer hat American Football nicht in den USA, sondern in Deutschland gelernt, und außerdem erst mit 14 Jahren begonnen. Er ist also Exot und Seiteneinsteiger zugleich - und die NFL hat nicht gerade den Ruf, jemandem mal eben mitspielen zu lassen, weil er groß und stark ist. Wie Baseball lebt dieser Sport davon, dass man Bewegungsabläufe früh gelernt hat, dass man sich unterordnen kann, und dass man seine, nun ja, kulturelle Bedeutung für die Fans verstanden hat. Die New England Patriots heißen nicht zufällig so: Sie haben stolze Fans. Nach dem Spiel sagt Sebastian Vollmer: "Klar war ich beim Einlaufen nervös. Aber die Fans auf den Rängen und die Düsenjets über dem Stadion - wenn man da nicht alles geben kann, dann weiß ich auch nicht."

Über Vollmer sagen viele, dass er Stammspieler oder sogar mehr werden könnte, einer für die Pro Bowl, einer Auswahl der Besten zum Saisonende. Vollmer kann links wie rechts spielen, was im Football eine Besonderheit ist und ihn bei der ersten Verletzung eines "Starters" zum Stammspieler machen wird. Ein deutscher Stammspieler in der NFL, das war bis vor Kurzem, untertrieben formuliert, ziemlich unwahrscheinlich.

Nach dem Spiel gegen die Bills sieht Sebastian Vollmer müde aus. Er hat kaum geschlafen, es war das Montagabendspiel, ein langer Tag also, und dazu die Nervosität. Vollmer lebt seit über fünf Jahren in den USA, er tut sich schwer, Deutsch zu sprechen. Zu seiner Leistung will er aber sowieso nicht viel sagen, nur: "Wenn man die Videoanalyse noch nicht gesehen hat, ist es schwer, sich selbst Noten zu geben." Es dauert eine Weile, dann fällt er doch zurück in seinen rheinischen Dialekt - das ist aber das Einzige, was noch Deutsch an ihm wirkt.

Vollmer wurde im April als 58. von mehreren hundert Spielern ausgewählt. 58, das ist sehr früh für einen Mann auf seiner Position. Vollmer hat hart dafür gearbeitet. An der University of Houston erzählen sie, dass Vollmer nie die Augen vom Trainer genommen hat, wenn der etwas gesagt hat, und dass er nie Freizeit hatte - oder haben wollte. Er gilt als schneller Lerner und als einer, der seine physischen und psychischen Grenzen noch nicht erreicht hat in diesem Sport.

Doch die Patriots haben ihn hauptsächlich aus einem Grund ausgewählt, für den er streng genommen nicht verantwortlich ist: "Sie haben seinen Körper gedraftet", sagt Steffen Breuer, Vollmers erster Jugendtrainer bei den Panthern. Der Körper ist im Sport manchmal dann doch noch wichtiger als Talent. Ende Oktober wird Vollmer mit den Patriots im Londoner Wembleystadion auflaufen, ein Ligaspiel, das die Fans in Europa bei Laune halten soll. "Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, ob ich Zeit habe, nach Deutschland zu fahren", sagt Vollmer. Er wird sie nicht haben, und er weiß es. Bei den Patriots hat er einen 13-Stunden-Tag, sieben Tage die Woche. Er tut alles, was ihm gesagt wird, und er glaubt es selbst, wenn er sagt: "Ich habe hier noch gar nichts erreicht."

An diesem Satz erkennt man, wie amerikanisch Vollmer schon geworden ist. Aus deutscher Sicht ist er am Ziel der Träume. Aus amerikanischer Sicht ist er nur ein "Rookie", ein Anfänger, der vor ein paar Wochen eine eigene kleine Wohnung bezogen hat. Und seit dieser Woche endlich auch einen eigenen Spind in der Kabine - schräg gegenüber von Tom Brady. Die besten Tackles bekommen irgendwann den Platz direkt neben dem Quarterback.

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