Süddeutsche Zeitung

American Football:Kontaktloser Kollisionskurs

Bis zu 13 von 16 Vereinen der German Football League haben sich dafür ausgesprochen, die Saison gar nicht erst zu beginnen - doch die Liga plant dagegen, ab September wieder American Football zu spielen.

Von Christoph Leischwitz

Es klang geradezu verzweifelt, wie der deutsche Footballverband im April die Saison zurückschreiben wollte. In einer Pressemitteilung des AFVD hieß es, dass es sich beim Football um einen "Kollisionssport" handele, und nicht um einen Kontaktsport - um wenige Zeilen später zu schreiben, dass jede Kollision sich ja lediglich "auf einen kurzen Kontakt" beschränke. Weil die Spieler durch Helme und lange Kleidung geschützt seien, käme es nie zu einem direkten Hautkontakt, das Gesichtsgitter des Helmes trage zum Schutz bei, außerdem könne man sich Skimasken aufziehen. In einem Mehrstufenplan zur Wiederaufnahme des Trainings solle dann der obligatorische Corona-Abstand eingehalten werden.

Wie das beim American Football gehen soll, haben sich nach dem Lesen viele gefragt. Deutlich wurde jedenfalls, dass der Verband für seine Stellungnahme viel Häme in den einschlägigen Foren erntete. Sie wurde mittlerweile von der Homepage genommen. Seitdem befinden sich viele Vereine und der Verband auf einer Art kontaktlosem Kollisionskurs: In Videokonferenzen wird besprochen, wie es weitergehen soll, Streit scheint programmiert zu sein.

In der ersten Liga, der German Football League (GFL), ist das Meinungsbild so eindeutig wie in kaum einer anderen Sportart. Nach SZ-Informationen hatten sich bis zu 13 von 16 Vereinen dafür ausgesprochen, die Saison 2020 gar nicht erst zu beginnen, zehn von ihnen erklärten dies gegenüber dem Verband in einem Positionspapier. Der planmäßige Saisonstart wäre Anfang Mai gewesen. Ungefähr zu jener Zeit, als die Vereine dies kundtaten, veröffentlichte der AFVD aber eine neue Stellungnahme: "Football-Deutschland soll ab September wieder spielen", lautete die Überschrift. Dieser Beschluss wurde neben dem Präsidium auch vom Ligadirektorium "als die Vertretung der GFL- und GFL 2-Vereine" mitgetragen. Nicht aber von den Vereinen selbst.

Die Klubs sehen den Stichtag aus mehreren Gründen als problematisch an. "Für uns müsste die Basis für einen fairen Wettbewerb gegeben sein", sagt Adolf Hölzli, Präsident der Allgäu Comets in Kempten. Das sei im Moment schon deshalb nicht gewährleistet, weil Vereine in Baden-Württemberg und Hessen schon wieder trainieren dürften, die drei bayerischen Erstligisten aber noch nicht oder erst seit kurzer Zeit. Sechs Wochen Trainingsvorlauf müssten es schon sein, um diese Fairness gewährleisten zu können; und damit ist Training gemeint, in dem es auch krachen darf. Footballspieler ohne ausreichende Fitness gelten als sehr verletzungsgefährdet. Das Problem ist, dass es sich zwar um eine Amateursportart handelt, aber eben um eine, in der trotzdem sehr viel Geld im Spiel ist. Hölzli bestätigt, dass in den Gesprächen mit dem Verband auch um mögliche Regressforderungen geht, wenn die Saison nicht gestartet wird - womöglich speist sich aus dieser Sorge auch die Energie des Verbandes, die Saison baldmöglichst zu beginnen. Auch TV-Verträge würden sonst wohl nichtig.

Noch gar nicht besprochen wurde die Frage, ob die in der GFL recht hohen Lizenzgebühren von knapp 10 000 Euro pro Verein zurückgezahlt werden, wenn kein einziges Spiel stattfindet oder nur eine Mini-Saison gespielt wird. Einig sind sich allerdings fast alle, dass Training und Freundschaftsspiele immens wichtig wären. "Grundsätzlich würden wir sehr gerne noch ein paar Spiele spielen, sonst wird das Loch zu groß", sagt Michael Dohrmann, sportlicher Leiter beim Zweitliga-Aufsteiger Fursty Razorbacks aus Fürstenfeldbruck. Genau genommen gibt es mehrere Löcher: Es fehlen Zuschauereinnahmen, öffentliche Aufmerksamkeit - und die Spielpraxis in einem hochkomplexen Sport.

Viele Vereine haben während der Warterei laufende Kosten. Und logistisch gesehen ist der Ligabetrieb enorm aufwändig: Eine einzige Partie benötigt mehr als 170 Spieler und Helfer. Je nach Hygienekonzept dürfte schon allein deswegen die Besucherzahl stark eingeschränkt sein - doch ohne Zuschauereinnahmen und Catering überlegt kaum ein Verein.

Wie unrealistisch aber eine Aufnahme des Lizenz-Spielbetriebs ist, macht ein Blick zum amerikanischen Bruder Baseball deutlich: Die Kader sind deutlich kleiner, die Etats deutlich niedriger, doch selbst der weitgehend kontaktlose Sport ist noch mindestens anderthalb Monate von einem Spielbetrieb entfernt. Der Verein schätzt das Meinungsbild so ein, dass die meisten Vereine auch auf Geisterspiele verzichten würden. Auch wenn die Zuschauereinnahmen sehr gering seien, es seien trotzdem die wichtigsten Erlöse. Weil aber Baseball tatsächlich deutlich kontaktärmer möglich ist als etwa American Football, kann hier schon einmal realitätsnäher trainiert werden. Es gibt zu den üblichen Auflagen nur zwei weitere große Ausnahmen: Pitcher und Catcher, also Werfer und Fänger, müssen ohne gegnerischen Schlagmann zwischen ihnen trainieren - dieser stünde zu nah am Catcher. Zweitens darf der Pitcher vor dem Wurf seine Finger nicht mit Spucke befeuchten, um einen besseren Grip zu bekommen. Diese Auflagen klingen weitgehend durchführbar.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2020
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