American Football:Die neue amerikanische Front im Sport

San Francisco 49ers outside linebacker Harold, quarterback Kaepernick and free safety Reid kneel in protest during the playing of the national anthem before a NFL game against the Arizona Cardinals in Santa Clara

Der Auslöser: Die Footballer der San Francisco 49ers Eli Harold (58), Colin Kaepernick (7) und Eric Reid (35) knieten im vergangenen Jahr während der Hymne.

(Foto: USA Today Sports/USA Today Sports)
  • Mit unflätigsten Äußerungen beschimpft Donald Trump schwarze Footballspieler in der NFL, die sich gegen Rassismus und Polizeigewalt auflehnen.
  • Auch weiße Athleten unterstüzten den Protest.
  • Dem US-Präsidenten hilft der Konflikt, weil er so von seinen Problemen ablenken kann.

Von Hubert Wetzel, Washington

Es gibt in Amerika Kleinstädte, in denen sind in den Gehwegen rund um den Marktplatz kleine Löcher. Der Grund dafür wird jeden Freitag klar. Dann werden Fahnen in diese Löcher gepflanzt, auf denen "Go Buffalos" oder "Go Bears" steht, oder wie immer die Football-Mannschaft der örtlichen Highschool auch heißt. Am Abend sitzt dann die halbe Stadt im Stadion und schaut zu, wie gepanzerte Siebzehnjährige gegeneinander krachen. In manchen Gegenden werden die Schulspiele sogar im Fernsehen übertragen.

Das gibt einen Eindruck davon, wie wichtig Football in den USA auch jenseits des viele Milliarden Dollar schweren Profigeschäfts ist. Vor allem in den ländlichen, konservativen und überwiegend weißen Regionen, von Texas bis Ohio, ist Football ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Kultur und des gesellschaftlichen Lebens. In der Stadt, wo die Eltern Angst vor Gehirnerschütterungen und Knochenbrüchen haben, spielen die Kinder Soccer. Auf dem Land, wo es kerniger zugeht, regiert hingegen American Football.

Der Präsident will, dass einer der Clubchefs durchgreife und "den Hurensohn vom Feld wirft"

Und das "American" im Namen der Sportart ist dabei mindestens ebenso wichtig. Kaum ein Sport in den USA ist so patriotisch aufgeladen wie Football. Gebet, das Sternenbanner, Fahneneid und Nationalhymne gehören bei Spielen dazu, und dieser Nationalstolz ist nicht nur Dekoration oder Folklore, sondern ernst gemeint.

Ländlich, konservativ, patriotisch und weiß - das ist auch das politische und soziale Milieu, das Donald Trump gewählt hat. Und genau dieses Milieu, seine Kernwähler, hatte der amerikanische Präsident in den vergangenen Tagen im Blick, als er über einige professionelle Football-Spieler herzog, die angeblich keinen Respekt für Fahne und Land zeigen. Aus Protest gegen Diskriminierung und Polizeigewalt hatten einige schwarze Spieler - angeführt von Colin Kaepernick, dem ehemaligen Spielmacher der San Francisco 49ers - schon vor etlichen Monaten begonnen, während der Nationalhymne nicht mehr zu stehen, sondern zu knien. Für Trump war das freilich zu viel der eigenen Meinung. Er hoffe, so wetterte der Präsident vorige Woche, dass endlich mal einer der Besitzer der Mannschaften durchgreife und "den Hurensohn vom Feld wirft. Gefeuert!"

Seitdem liefert sich Trump mit diversen prominenten Sportlern und der Football-Profiliga NFL, der National Football League, ein Hin und Her von heftigen Twitterattacken und Gegenvorwürfen. Bei den Spielen am Wochenende knieten aus Protest gegen den Präsidenten Dutzende Spieler während der Nationalhymne, einige Teams kamen erst danach aus der Kabine. Selbst die schwarzen Popmusiker Stevie Wonder und Pharrell Williams knieten während eines Konzerts in New York demonstrativ nieder. In den Vereinigten Staaten, so scheint es, ist eine neue Front im Kulturkampf aufgebrochen: Sport.

Es ist kein Zufall, dass es schwarze Sportler trifft

Während Trumps Gegner das in der US-Verfassung verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung und friedlichen Protest hochhalten und betonen, Sport solle vereinen und nicht spalten, schwingt der Präsident die Patriotismuskeule. "Die Spieler haben Rechte. Sie verdienen sehr viel Geld. Und ich neide es ihnen nicht. Ich sage nur, sie müssen unserer Flagge Respekt zollen, und sie müssen unserem Land Respekt zollen", sagte Trump am Sonntag.

Aber natürlich ist das eine Ausrede. Denn es ist sicher kein Zufall, dass der Präsident sich für seine Angriffe zunächst ausschließlich schwarze Sportler ausgesucht hat. Trump hantiert immer wieder mit rassistischen Ressentiments, zuletzt nach dem Aufmarsch von Neonazis in der Stadt Charlottesville. Und es ist ebenso wenig ein Zufall, dass er versucht, den stillen Protest dieser schwarzen Sportler gegen Polizeiwillkür in eine Geste der Respektlosigkeit gegenüber Fahne und Land umzudeuten. Für Trumps Anhänger ist das eine Art Sakrileg, bei dem es nichts mehr zu diskutieren gibt. Und das gilt weit über die verbohrten Kernwähler des Präsidenten hinaus: Selbst gemäßigte Republikaner, die noch vor einigen Wochen Trumps Weigerung kritisiert hatten, die Rassisten und Neonazis in Charlottesville eindeutig zu verdammen, schweigen derzeit.

Trump legt sich mit Stephen Curry und LeBron James an

Insofern ist das politische Risiko, das Trump eingeht, eher gering, auch wenn er sich mit Sportstars wie den Basketball-Spielern Stephen Curry und LeBron James anlegt, die ihren Football-Kollegen zur Seite gesprungen waren. Curry - Mitglied der amtierenden Meistermannschaft, der Golden State Warriors - hatte seine Teilnahme an einem Empfang im Weißen Haus abgesagt, James hatte den Präsidenten auf Twitter als "Penner" beschimpft. Er hat dort fast 39 Millionen Anhänger, kaum weniger als Trump. Curry hat gut zehn Millionen Twitter-Anhänger, zusammen übertreffen die Basketballer den Präsidenten also deutlich. Doch Trumps Bauchgefühl, dass auch bei beinharten Sportfans im Zweifelsfall der Patriotismus schwerer wiegt, dürfte stimmen.

Zugleich - und auch das kennt man von Trump - lenkt der selbst ausgelöste Streit davon ab, dass der Präsident politisch relativ wenig zustande bringt. In dieser Woche könnte im Senat ein weiterer Versuch der Republikaner scheitern, die verhasste Gesundheitsreform des früheren Präsidenten Barack Obama rückgängig zu machen. Bei einer Vorwahl für einen republikanischen Senatskandidaten in Alabama könnte an diesem Dienstag der von Trump unterstützte Bewerber scheitern. Beides wäre peinlich für den Präsidenten. Deswegen kann es aus seiner Sicht nicht schaden, vorab schon ein bisschen politisches Kapital bei seinen Stammwählern anzusammeln, und sei es durch rassistische, vulgäre Tiraden über unpatriotische "Hurensöhne".

Und bei allem Protest von Spielern und NFL-Funktionären gegen Trump, bei allen Bekenntnissen zu Meinungsfreiheit und Einigkeit - das Schicksal von Colin Kaepernick muss für alle Sportler eine Warnung sein: Der 29-Jährige war in den vergangenen Spielzeiten viel verletzt, in der Saison 2016 war seine Leistung dürftig. Das nutzten die Manager der Mannschaft, um seinen Vertrag neu zu verhandeln, woraufhin Kaepernick kündigte. Nicht wenige Beobachter vermuten, dass die 49ers auf diese Weise auch einen politischen Störenfried loswerden wollten. Für die laufende Saison hat Kaepernick bei keinem anderen Team einen Vertrag bekommen.

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