American Football:Die Kaepernick-Theorie des Donald Trump

Eli Harold, Colin Kaepernick, Eric Reid

Sein Protest richte sich nicht gegen Soldaten oder Polizisten, erklärt Kaepernick (Mitte), sondern gegen ein System, das Schwarze unterdrücke.

(Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)
  • Das Magazin Time hat Footballer Colin Kaepernick am Donnerstag in die Liste der weltweit 100 einflussreichsten Menschen des Jahres aufgenommen.
  • Kaepernick hatte im vergangenen Jahr für Debatten gesorgt, als er beim obligatorischen Abspielen der Nationalhymne vor den Partien niederkniete, um so gegen Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern zu protestieren.
  • Nun ist der Footballer arbeitslos - US-Präsident Donald Trump führt das stolz auf sich selbst zurück.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jobs, Jobs, Jobs. Das hat Donald Trump seinen Landsleuten im vorigen Sommer versprochen, als er noch nicht Präsident der USA war, sondern ein twitterwütiger Fernsehclown mit politischen Ambitionen. Zu seiner America-first-Doktrin gehörten auch Botschaften gegen Colin Kaepernick, damals politisch aktiver Spielmacher des American-Football-Klubs San Francisco 49ers. Trump empfahl ihm, er solle sich gefälligst "ein anderes Land suchen, in dem es ihm besser gefällt. Er wird nur keines finden". Nun ist Kaepernick auf Jobsuche - und Trump glaubt, den Grund dafür zu kennen: "Ich habe gelesen, dass die Besitzer ihn nicht verpflichten wollen, weil sie Angst vor einem bösen Tweet von Donald Trump haben. Sie fürchten, dass viele Fans protestieren, wenn ich mich dazu äußere."

Kaepernick war im vorigen Sommer ein Protagonist der politischen Debatten in den USA und damit auch Teil des Präsidentschaftswahlkampfes. Statt stehend die Hand aufs Herz zu legen, wie es üblich ist, kniete er beim obligatorischen Abspielen der Nationalhymne vor den Partien nieder, um so gegen Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern zu protestieren; viele andere Athleten schlossen sich an. "Ich kann nicht stolz sein auf ein Land, das Farbige unterdrückt", sagte Kaepernick: "Da liegen Leichen auf den Straßen und niemand wird zur Verantwortung gezogen. Ich werde so lange weitermachen, bis die Flagge wieder dafür steht, wofür sie stehen soll."

Der damalige Präsident Barack Obama nannte den Protest das "verfassungsmäßige Recht" von Kaepernick, der eine Million Dollar an gemeinnützige Organisationen wie Black Youth Project 100 spendete und ein Flugzeug mit 60 Tonnen Nahrung nach Somalia sendete. Die einen erklärten Kaepernick zum Helden, andere nannten ihn Landesverräter und schickten ihm Morddrohungen. Es gab keine Grauzone damals, und es gibt keine Grauzone heute. Als Trump kürzlich seine Kaepernick-Theorie bei einer Rede im Bundesstaat Kentucky ("Hier stehen die Leute für die Flagge auf!") präsentierte, tobte der Saal.

Sportliche Argumente für Kaepernicks Arbeitslosigkeit sind Quatsch

Das Magazin Time hat Kaepernick im vorigen Jahr auf der Titelseite abgebildet, am Donnerstag nahm es ihn in die Liste der weltweit 100 einflussreichsten Menschen des Jahres auf. "Er war zunächst alleine bei diesem Protest", schreibt sein früherer Trainer Jim Harbaugh in der Laudatio: "Seine Bereitschaft, trotz persönlicher Nachteile für etwas einzustehen, gehört jetzt zur amerikanischen Geschichte." Ob ihm das bei der Jobsuche hilft, ist fraglich.

Die Profiliga NFL ist ein Sportbetrieb mit einem Jahresumsatz von derzeit 13,5 Milliarden Dollar. Die 32 Klubs dienen auch der Geltungssucht ihrer Besitzer, die Trump verblüffend ähneln: Es sind bis auf wenige Ausnahmen alte, hellhäutige, stinkreiche Männer, die über TV-Rechte, Ticketverkäufe und Werbeeinnahmen möglichst viel Geld verdienen und mit dem Jubel der Massen ihr Ego streicheln möchten. Robert Kraft, der Eigentümer des Super-Bowl-Gewinners New England Patriots, bezeichnet Trump gern als engen Freund.

"Er dürfte noch besser sein als zuletzt", preist ihn sein früherer Coach Chip Kelly an

Ein Querulant wie Kaepernick, wegen dem sich Fans möglicherweise vom Klub abwenden und keine Tickets oder Trikots mehr kaufen, stört da. Es heißt, dass manche Besitzer den Quarterback auch deshalb nicht verpflichten, um eine Botschaft an andere Profis zu senden, politische Proteste gefälligst sein zu lassen.

Öffentlich sagt das freilich niemand außer Trump, es werden stattdessen sportliche Gründe für Kaepernicks Arbeitslosigkeit angeführt: Die explosive Spielweise, die vor ein paar Jahren noch als revolutionär galt, passe nicht zur taktischen Ausrichtung vieler Klubs, Kaepernick sei als Veganer nicht mehr kräftig genug, er habe seinen Zenit überschritten, wie die vorige Saison mit nur einem Sieg gezeigt habe. All diese Argumente sind wahr - und dennoch Quatsch. Die Chicago Bears haben gerade einen gewissen Mike Glennon verpflichtet, sie werden ihm in den kommenden drei Jahren insgesamt 45 Millionen Dollar bezahlen. Wahrscheinlich glaubt nicht einmal Glennon selbst, dass er so gut ist wie Kaepernick.

"Er gehört noch immer zu den besten Quarterbacks der Welt"

Der ist 29 Jahre alt, er war in den vergangenen fünf Jahren Stammspieler und führte die 49ers 2013 ins Endspiel, den Super Bowl. Er ist nach drei Operationen wieder genesen, er hat seinem in der vergangenen Spielzeit eher dürren Körper so viele Muskeln verpasst, dass sich 102 Kilo auf 1,93 Meter verteilen. So einer wie Kaepernick, erfahren und dennoch jung sowie für einen Footballspieler erstaunlich unversehrt, der wird gewöhnlich gejagt. "Er gehört noch immer zu den besten Quarterbacks der Welt, er dürfte jetzt noch besser sein als zuletzt", sagt Chip Kelly, in der vergangenen Saison Trainer der 49ers: "Er hat das Zeug, Stammspieler bei einem Playoff-Kandidaten zu sein."

Es gibt im Leben freilich nicht nur diese eine Wahrheit, schon gar nicht im Sport, wo es mehr Gurus und Wahrsager gibt als Profis. Womöglich fürchten die Besitzer wirklich einen bösen Trump-Tweet und finanzielle Verluste wegen wütender Fans; womöglich passt er tatsächlich nicht ins taktische Gefüge mancher Trainer.

Wahr ist jedoch auch, dass Kaepernick nicht unschuldig ist an seiner Arbeitslosigkeit. Er selbst hat auf eine Vertragsverlängerung mit den 49ers verzichtet, er möchte nun eine Garantie als Stammspieler und mindestens neun Millionen Dollar pro Jahr verdienen. Solche Forderungen sind nicht ungewöhnlich für einen Spielmacher mit seinen Fähigkeiten, schränken die Optionen allerdings erheblich ein - zumal er sich auch noch nicht öffentlich dazu geäußert hat, ob er künftig bei der Nationalhymne wieder stehen oder weiter knien will.

Es gibt nur 32 Klubs in dieser Liga, etwa drei Viertel davon haben sich bereits auf einen Stamm-Spielmacher für die kommende Spielzeit festgelegt. Die Houston Texans und die Kansas City Chiefs könnten Interesse an einer Verpflichtung haben, sie könnten aber bei der Wahl der besten Nachwuchsspieler in drei Wochen auch gleich in der ersten Runde einen jungen Quarterback verpflichten. Es gilt nun als wahrscheinlich, dass die Klubs die sogenannte Draft abwarten und danach analysieren, ob sie Kaepernick brauchen. Die Wahrheit ist, und daran wird auch Donald Trump nichts ändern, dass in dieser Liga gerade für Spielmacher etwas sehr selten ist: Jobs, Jobs, Jobs.

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