Süddeutsche Zeitung

America's Cup:Das Genie bekämpft sein Trauma

  • Der Neuseeländer Dean Barker verlor vor vier Jahren auf dramatische Art und Weise beim America's Cup gegen Team USA.
  • Das Team Neuseeland hat ihn danach vor die Tür gesetzt. Obwohl er außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt.
  • Nun will er mit Team Japan Revanche nehmen - gegen seinen alten Rivalen.

Von Jürgen Schmieder, Bermuda/Los Angeles

Die Geschichte des Verlierers ist meistens faszinierender als die des Siegers. Der Gewinner macht, was Gewinner so machen: Er reißt die Arme nach oben, die Kleider vom Leib und posiert wie vorher geübt. Das Bild des Verlierers bleibt eher im Gedächtnis, vielleicht ein Leben lang, weil es nicht einstudiert wirkt, sondern spontan und echt: Bastian Schweinsteiger nach dem verschossenen Elfmeter im Champions-League-Finale 2012. Der Boxer Thomas Hearns nach seiner Niederlage gegen Marvin Hagler. Der Segler Dean Barker auf seinem Boot in der Bucht von San Francisco.

"Wer sich jahrelang auf eine Veranstaltung vorbereitet und alles in diese eine Aufgabe investiert, denkt nicht daran, was er bei einer Niederlage fühlen könnte", sagt Barker, vier Jahre nach seiner Niederlage beim 34. America's Cup. Er führte als Skipper der neuseeländischen Mannschaft bereits 8:1 und musste nur noch eine Regatta gewinnen, doch auf der vermeintlichen Siegesfahrt wurde er wegen eines nur aufgrund von TV-Verträgen eingeführten Zeitlimits gestoppt. Danach schafften die vom Software-Milliardär Larry Ellison subventionierten Amerikaner eines der unglaublichsten Comebacks der Sportgeschichte, sie siegten 9:8. Barker war der Verlierer: "Es hinterlässt ein schwarzes Loch und wird mich verfolgen, solange ich lebe."

Barker, 44, wird von diesem Freitag an erneut versuchen, den America's Cup zu holen. Er tritt in Bermuda als Skipper der neu gegründeten japanischen Crew gegen Teams aus Großbritannien, Schweden, Frankreich und Neuseeland an, um sich für eine Revanche gegen die Amerikaner und seinen Erzrivalen Jimmy Spithill zu qualifizieren. Der sagt über dieses wahnwitzige Rennen von 2013: "Wir wollten uns gegenseitig die Kehle aufschlitzen. Genau deshalb respektieren wir uns jetzt so sehr und mögen uns mittlerweile sogar ein bisschen." Die Geschichte des Verlierers Barker wird erst jetzt so richtig faszinierend.

Es ist wichtig zu wissen, dass Barker ein Genie ist. Wissenschaftler haben ihm mal nacheinander sechs Bilder für je eine Hundertstelsekunde gezeigt. Gewöhnliche Menschen können sich danach an zwei erinnern, Weltklasse-Sportler an vier oder fünf. Barker hingegen schaffte alle sechs, danach sieben, acht, neun, zehn. Solch eine Begabung hilft bei der Bedienung der High-Tech-Boote der AC50-Einheitsklasse, die in diesem Jahr eingesetzt werden. Es sind Katamarane mit Kufen und raffinierten Segelkonstruktionen, die in diesem Naturtheater in Bermuda eine Geschwindigkeit von knapp 100 Kilometern in der Stunde erreichen und noch schnellere Entscheidungen und waghalsigere Manöver erfordern als in der launigen Bucht in Nordkalifornien.

Jimmy Spithill, Segler aus den USA, über den Rauswurf seines Rivalen Dean Barker in Neuseeland

"So kann man nicht mit einem umgehen, der sich stets loyal verhalten und alles für sein Land gegeben hat"

Von Barker heißt es jedoch auch, dass er in wichtigen Rennen die Nerven verliert. Bei Neuseelands Triumph im Jahr 2000 durfte er das letzte Rennen als Skipper bestreiten - da stand es jedoch bereits 4:0. Er verlor 2003 und 2007 jeweils gegen das Schweizer Team Alinghi, vor vier Jahren unterlag er dann Spithill. Nach dem ersten America's Cup am 22. August 1851 um die Isle of Wright fragte Queen Victoria von England, wer denn Zweiter geworden sei. Die Antwort war: "Ähem, Majestät, es gibt keinen Zweiten." Nur der Sieger zählt bei dieser Regatta, es gibt keine Silbermedaille. Wer nicht gewinnt, der hat verloren.

"Bei jeder Niederlage lernt man etwas über sich als Segler und als Mensch. Ich habe nach der Verlust des Pokals im Jahr 2003 behauptet, es sei die schlimmste Zeit in meinem Leben gewesen. Dann habe ich vier Jahre später eine noch schlimmere Niederlage kassiert - und dann kam die Regatta vor vier Jahren", sagt Barker: "Ich kann mich nicht in meinem Unglück suhlen. Ich muss weitermachen, weil ich sonst ein miesepetriger Typ werden würde."

Die Neuseeländer haben ihn nach der Niederlage regelrecht entsorgt und durch den erst 26 Jahre alten Olympiasieger Peter Curling ersetzt. Barker erfuhr von seinem Rauswurf aus den Medien, selbst danach sprach keiner der Verantwortlichen mit ihm - es gab nur eine knappe E-Mail. "Das war enttäuschend, ich kann die Art und Weise noch immer nicht nachvollziehen", sagt Barker. Selbst Spithill stimmt zu: "Wenn eine Mannschaft sportliche Veränderungen vornehmen will, ist das in Ordnung. Aber so kann man nicht mit einem umgehen, der sich stets loyal verhalten und alles für sein Land gegeben hat."

Das führt zurück zu diesem kalifornischen Software-Milliardär, der wahrlich nicht im Verdacht steht, sentimental zu sein. Larry Ellison erkannte, dass sich die Werbeflächen in Bermuda schwieriger verkaufen lassen als in San Francisco, er wollte zudem unbedingt den asiatischen Markt erschließen - und wäre die Möglichkeit einer Revanche zwischen Barker und Spithill nicht eine wunderbare Geschichte? Ellison fädelte einen Deal mit dem neu gegründeten Team Japan ein, das seinem Milliardärs-Freund Masayoshi Son gehört und das Katamaran-Design von den Amerikanern bekommt. Die Rivalen Barker und Spithill wurden quasi zu Kollegen. Sie teilten sich ein paar Monate lang ein Büro in Bermuda, sprachen über die Konstruktion der neuen Katamarane und trainierten miteinander. "Ich glaube, dass wir beide darüber nachgedacht haben, was der andere damals durchgemacht hat", sagt Spithill: "Ich war der Sieger, klar - aber ich habe live mitbekommen, wie er verloren hat."

Die Rennen werden in Great Sound ausgetragen, einer Bucht in der Nähe der Hauptstadt Hamilton, die auf drei Seiten von Land umgeben und auf der zum Atlantischen Ozean geöffneten Seite von einem Riff geschützt ist. Es dürfte kaum hohe Wellen, unberechenbare Winde oder gar Regen wie in San Francisco geben, dafür packende Duelle zwischen ebenbürtigen Teams. Beim Training in der vergangenen Woche kollidierte kürzlich das britische Boot mit dem aus Neuseeland; seitdem wird gestritten, ob es ein Missgeschick oder Absicht war. "Es zeigt auf jeden Fall, wie aggressiv bereits im Training gefahren wird", sagt Barker.

Seine Mannschaft gilt als Außenseiter dafür, sich für den am 17. Juni beginnenden America's Cup zu qualifizieren. Er sagt jedoch: "Was ich beim Training gelernt habe: Es gibt keinen Favoriten. Jeder kann jeden schlagen." Barker hat wieder mal alles in den America's Cup investiert, seit zwei Jahren lebt er mit seiner Familie nur deshalb in Bermuda. Unter dem Wappen des Atlantik-Archipels steht: "Quo Fata Ferunt" - wohin uns das Schicksal treibt. Dieser Satz gilt nun auch für Barker.

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Quelle:
SZ vom 26.05.2017/schm
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