Amateurfußball:Sonntags droht der Kollaps

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Vielleicht sollte das Verfassungsgericht auch die Arbeit der Fußballprofis einschränken. Ihre vielen Sonntagsspiele führen zu Besucher-Schwund in den Amateurligen.

Johannes Aumüller

Am Sonntagabend dürfte die Arena auf Schalke mal wieder ausverkauft sein. Zwar ist um 17:30 Uhr lediglich Tabellenschlusslicht Hertha BSC Berlin zu Gast, doch schon jetzt gibt es nur noch einige Restkarten, die Geschäftsstelle rechnet mit vollen Rängen und 61.673 Zuschauern. Das freut die Bosse des Klubs, weil wieder etwas Geld in die klammen Kassen fließt. Das freut die Spieler, weil sie mit viel Unterstützung rechnen dürfen. Und das freut die Fans im Stadion, weil die Stimmung mal wieder blendend werden dürfte.

Diese Forderung konnten die Amateurvertreter nicht durchsetzen. (Foto: Foto: ddp)

Doch es gibt in und um Gelsenkirchen viele Fußballanhänger, denen diese Partie gar nicht passt, genauer die Anstoßzeit dieser Partie - nämlich die Funktionäre und Aktiven zahlreicher Amateurvereine, die traditionell am Sonntagnachmittag spielen. Denn ein Sonntagsspiel von Schalke bedeutet für die Amateurvereine in der Region weniger Zuschauer bei ihren eigenen Spielen. Weniger Zuschauer bedeuten weniger Einnahmen. Und weniger Einnahmen bedeuten finanzielle Sorgen.

Horst Haneke gehört zu denen, die besonders große Sorgen haben. Haneke ist Vorsitzender des Traditionsvereins Westfalia Herne und er weiß derzeit nicht, wie die Zukunft des Klubs aussieht. Es gibt viele, die ob des Epitheton "Traditionsverein" schmunzeln, denn heutzutage taucht der Fünftligist Herne nur noch in der bundesweiten Fußball-Berichterstattung auf, wenn die Schiedsrichterherkunft-Fetischisten unter den Fernsehkommentatoren darauf hinweisen, dass der Unparteiische Torsten Kinhöfer aus Herne eine Partie leitet.

Früher sah das anders aus. Vor 50 Jahren wurde der Verein Westdeutscher Meister und kämpfte um die Deutsche Meisterschaft. In den siebziger Jahren steckte der Mineralölhändler Goldin so viel Geld in den Klub, dass er bis in die zweite Liga aufstieg. Zudem kickten eine Reihe prominenter Namen für die Westfalia: Werner Lorant zum Beispiel, Michael Steinbrecher oder Sönke Wortmann - aber vor allem Hans Tilkowski, einer der besten deutschen Torhüter aller Zeiten. Von 1956 bis 1963 spielte Tilkowski für Herne und erlebte dort seinen Aufstieg zum Nationalkeeper. 219 Mal stand er für den Klub zwischen den Pfosten, 18 seiner 39 Länderspiele bestritt er als Torhüter von Westfalia.

Doch Tilkowski, zweite Liga und sportlicher Glanz sind lange vorbei. Im Jahr 2009 drücken den NRW-Ligisten Herne massive finanzielle Probleme, selbst das Stichwort Insolvenz machte schon die Runde.

Eine Bemerkung ist dem Vorsitzenden Haneke wichtig: "Ich will nicht den DFB und die neuen Anstoßzeiten alleine dafür verantwortlich machen." Es gibt wie immer im Leben natürlich ein Konglomerat an Gründen. Die Ligenreform im Landesverband, wegen der es vermehrt weite Auswärtsfahrten gibt. Die Tatsache, dass in der Klasse nun vier zweite Mannschaften von Profiklubs spielen, die immer besonders wenige Zuschauer mitbringen. Der im März entlassene Ex-Trainer, dem auch noch Gehalt zusteht. Die Auswirkungen der Finanzkrise, wegen der sich die Sponsorenbereitschaft von lokalen Unternehmen in Grenzen hält. Das gesunkene Interesse am Amateurfußball allgemein.

Auf der nächsten Seite: Was der DFB zu der Problematik sagt - und wie viel Geld Herne wegen der geringeren Zuschauerzahlen durch die Lappen geht.

Und doch fühlen sich angesichts von Beispielen wie Westfalia Herne nun all die Pessimisten bestätigt, die im Frühjahr davor warnten, die Anstoßzeiten der Bundesliga und der zweiten Liga zu reformieren. Der Sonntagnachmittag gehörte mal den Amateuren, diese Zeiten sind vorbei. Schon vor Jahren wurde das 17:30-Uhr-Spiel eingeführt, im Sommer 2009 auch noch die 15:30-Uhr-Partie. Viele Protestaktionen gab es damals, viele Beiträge in den Medien, viele Gespräche mit den Verantwortlichen.

Allein: Genutzt hat das alles nichts. Der DFB glaubt auch heute noch, dass die Reform sinnvoll war: "Die Landesverbände sind sehr flexibel und reagieren auf die Sonntagsspiele bei den Spielansetzungen. Vereinzelt laufen Beschwerden bei uns im Haus auf, aber der große angekündigte Sturmlauf ist ausgeblieben", sagt Pressesprecher Stephan Brause.

Der Eindruck in den unteren Ligen ist ein anderer: Wenn sonntags der FC Schalke, Borussia Dortmund oder der VfL Bochum zu Hause spielt, fahren viele Fußballfans aus dem Ruhrgebiet ins Stadion oder schauen sich das Spiel im Fernsehen an. Sie haben keine Zeit mehr, zum Heimspiel ihres Amateurvereins zu gehen. Westfalia Herne hatte bis zum vergangenen Jahr einen Schnitt von knapp 700 Zuschauern. Jetzt kommen gerade mal 330 - weniger als die Hälfte, und das nicht peu à peu, sondern "auf einen Schlag" wie der Vorsitzende sagt. Das sind, inklusive Catering-Einnahmen, rund 8000 Euro pro Monat weniger.

"Es werden sich einige wundern"

Anfang November war die Lage besonders dramatisch. Herne drohte die Insolvenz, der Vorstand ging an die Presse, und der öffentliche Appell fruchtete zumindest ein bisschen: Zu den beiden anschließenden Heimspielen kamen wieder so viele Zuschauer wie in der vergangenen Saison, der VfL Bochum bestritt ein Testspiel gegen den belgischen Verein Charleroi zu Gunsten der Westfalia, Firmen und Fans unterstützten den Verein mit Einmalzahlungen. Gut 35.000 Euro kamen so zusammen, die Insolvenz steht nicht mehr unmittelbar im Raum, "aber über den Berg sind wir noch lange nicht", sagt Haneke.

Norbert Bauer befürchtet, dass die problematische Situation von Westfalia Herne kein Einzelfall bleibt. Bauer ist ein Vertreter jenes Gelsenkirchener Arbeitskreises, der nach der Reform der Bundesliga-Anstoßzeiten im Sommer wiederholt und öffentlichkeitswirksam auf die möglichen Folgen für die Amateurklubs aufmerksam gemacht hat. Nach ein paar Wochen mit den neuen Anstoßzeiten lautet seine Bilanz: "Viele Vereine nagen am Hungertuch."

Von überall höre er, dass die Zuschauerzahlen zurückgingen. Natürlich nicht von 700 auf 330 wie beim NRW-Ligisten Herne, aber dann eben von 300 auf 150 oder von 150 auf 75. "Manchmal lohnt es sich schon gar nicht mehr, die Grillbude oder den Getränkestand aufzumachen", sagt Bauer.

Dass sich in Sachen Sonntagsspiele noch einmal etwas ändert, glaubt er nicht. Den Arbeitskreis auflösen möchte er trotzdem nicht. In Zukunft wollen er und seine Mitstreiter sich anderen Themen widmen: "Der Verband steht dem Amateurfußball auch in anderen Dingen sehr inhuman gegenüber. Wir achten darauf, dass der Verband mit den Amateurvereinen nicht alles macht, was er will", sagt Bauer. Er ist auch der Meinung, dass die neuen Anstoßzeiten nicht nur bei den kleinen Klubs, sondern auch auf Verbandsebene negative Folgen haben: "Es werden sich einige wundern, wenn die nächsten Wahlen anstehen."

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