Amateurfußball:Eingequetschte Kirchenmaus

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"Horror-Runde": Bis der FC Bayern Alzenau als Schlusslicht der Regionalliga Südwest feststand, musste der Verein (von links Marco Ferukoski und Daniel Haritonov) viel mitmachen. (Foto: HMB Media/imago images/HMB-Media)

Profis über Nacht: Das sonderbare Los des Regionalliga-Grenzvereins FC Bayern Alzenau während der Corona-Pandemie.

Von Christian Bernhard, Alzenau/München

Dem Zwitschern nach haben die Vögel nichts an der strahlenden Sonne auszusetzen, während Karl-Heinz Frank an der rechten Stehtribüne des Alzenauer Stadions Unkraut jätet. Wenige Tage zuvor fand hier in der Main-Echo Arena das vorerst letzte Regionalliga-Spiel des FC Bayern Alzenau statt, jenem Verein, dem Frank seit mehr als 50 Jahren treu verbunden ist; erst als Spieler, dann als Trainer und nun als Vorstandsmitglied. Beim Alzenauer FCB nennen den 76-Jährigen alle nur Kalle, er ist für den Verein das, was man im Sport gerne ein Urgestein nennt. Frank weiß deshalb ganz genau: Auch nach Saisonende will ein Stadion gepflegt werden. Unkraut kennt kein Corona.

Der FC Bayern Alzenau dagegen hat die Pandemie auf besonders üble Weise zu spüren bekommen. Geht es nach dem Klubvorsitzenden Andreas Trageser, hat es womöglich keinen Fußballverein in Deutschland derart hart erwischt. Trageser spricht von einer "Horror-Runde", die hinter dem FC Bayern Alzenau liegt. Alzenau ist eine 19000-Einwohner-Gemeinde im bayerischen Rhein-Main-Gebiet, die Grenze zu Hessen ist nur einen Kilometer entfernt. Deshalb gehört Bayern Alzenau seit mehr als 30 Jahren dem hessischen Fußballverband an - und spielt mittlerweile in der Regionalliga Südwest. Trageser bezeichnet das Alzenauer Fußballer-Dasein zwischen Bayern und Hessen als das einer "eingequetschten Kirchenmaus". Und diese wurde in den vergangenen Monaten von Pandemie und Politik besonders in die Mangel genommen. Oder um es in den Worten des 76-jährigen Karl-Heinz Frank zu sagen: "So etwas habe ich noch nicht erlebt."

Weder die hessische Landeshilfe noch Unterstützung aus Bayern kamen in Alzenau an

Die hessischen Vereine der Regionalliga Südwest etwa bekamen Landeshilfe in Form von zinslosen Darlehen. Die Alzenauer nicht, weil sie ein bayerischer Verein sind. Auf der anderen Seite kam die finanzielle Unterstützung, die der große FC Bayern München den bayerischen Regionalligisten zukommen ließ, auch nicht in Alzenau an, weil sie nicht Teil der Regionalliga Bayern sind. Das Alzenauer Unheil nahm seinen Lauf im Spätherbst 2020. Damals stand der FCB als Tabellenzehnter noch gut da, ehe die Corona-Unterbrechung kam. Große Profiklubs wie die Kickers Offenbach drängten daraufhin, die Regionalliga Südwest als Profiliga einzustufen, um den Spielbetrieb trotz des bundesweiten Corona-Lockdowns fortsetzen zu können. Mitte Dezember kam es so - Bayern Alzenau wurde quasi über Nacht zum Profiverein. Allerdings nicht für die bayerische Landesregierung, die dem Verein keine Ausnahmeregelung für den Trainings- und Spielbetrieb erteilte. Alzenau musste deshalb über die Landesgrenze ins 50 Kilometer entfernte hessische Waldorf, wo trainiert und zweimal auch gespielt wurde. Frank erinnert sich daran, wie die Spieler sich dort vor dem Training bei Kälte im Freien umziehen mussten, weil die Umkleiden für sie nicht zugänglich waren. "Das kann man eigentlich keinem Trainer und Spieler zumuten", sagt er. Die "Trainingseinheiten im Exil", wie Trageser sie nennt, wurden aufgrund des organisatorischen Aufwandes auf drei pro Woche reduziert, von da an sei es sportlich "schleichend abwärts gegangen".

Im Januar erteilte die bayerische Staatsregierung dem Verein schließlich doch die Trainings- und Spielgenehmigung in Alzenau, sechs Heimspiele in Serie sollten den sportlichen Aufschwung bringen. Doch es gelang nicht ein Heimsieg. "Das war dann der sportliche Abgesang", sagt Trageser. Trainer Artur Lemm wurde entlassen und durch den ehemaligen Gladbach-Profi Fabian Bäcker ersetzt. Doch auch dem gelang kein Ligasieg mehr. Die sportliche Schreckensbilanz im Kalenderjahr 2021: 27 Ligaspiele, null Siege. Dazu passte, dass sich sowohl die Nummer eins als auch der zweite Mann im Tor Operationen unterziehen mussten und kein Saisonspiel bestritten. Insgesamt beendete der Verein die Spielzeit mit sechs Torhütern.

15 Pflichtspiele in 49 Tagen und eine zweiwöchige Quarantäne, da acht Spieler positiv auf das Coronavirus getestet wurden, zehrten zu sehr an den Kräften. "Es war alles zu viel", betont Trageser, auch der Spaß blieb auf der Strecke. "Es war nur ein Abarbeiten von Trainingseinheiten und Spielen". Der sofortige Wiederaufstieg sei nach dem Weggang des Trainers und von 28 Spielern "überhaupt nicht" das Ziel, sagt Trageser, es gehe darum, sich in der Hessenliga zu konsolidieren. Um irgendwann wieder in der Regionalliga Südwest mitreden zu können, "müssen wir uns infrastrukturell und personell noch ein bisschen steigern". Frank sagt beim Unkraut jäten im Stadion noch, dass die Alzenau-Spieler in der turbulenten Saison "Erfahrungen fürs Leben" gemacht hätten. Und er hofft mit all seiner Lebenserfahrung, dass sie so etwas nicht noch einmal erleben müssen.

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